„Für mich bedeutet ‚smart‘: nachhaltig, lebenswert, sozial inklusiv“

DAAD-Alumna Mani Dhingra beschäftigt sich intensiv mit „Smart Cities“: Als Stadtplanerin hat sie an einem ehrgeizigen Projekt der Regionalregierung des indischen Bundesstaats Haryana mitgewirkt: Entlang einer 135 Kilometer langen Schnellstraße sollen fünf „supersmarte“ neue Städte entstehen. 

Mani Dhingra

Frau Dhingra, in Deutschland wird das Schlagwort „Smart City“ meist im Zusammenhang mit neuen digitalen Technologien verwendet. Warum können auch alte Städte smart sein?
Weil „smart“ so viel bedeutet wie nachhaltig, lebenswert und sozial inklusiv. Die traditionelle lokale Architektur ist ideal an die örtlichen Bedingungen und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner angepasst. Alte Städte sind oft besonders nachhaltig und sorgen für besseren sozialen Zusammenhalt. Ich habe das am Beispiel der ummauerten Stadt Alwar in Rajasthan untersucht, wo ein heißes, trockenes Klima herrscht. Die Häuser wurden aus regionalen Materialien wie Sandstein und Kalk um luftige Innenhöfe herum gebaut. Die Straßen sind eng und schattig, die dicken Wände haben unverglaste Öffnungen, was für passive Kühlung sorgt. So haben die traditionellen Baumeister mit sehr einfachen Mitteln wohltemperierte, multifunktionale Räume geschaffen, die auch den Bedürfnissen der lokalen Wirtschaft entsprechen.

Kann die moderne Stadtplanung etwas daraus lernen?
Ja, meiner Meinung nach sollten intelligente traditionelle Konzepte stark in Planungen mit einbezogen werden. Es ist nicht immer sinnvoll, alles auf dem Reißbrett zu entwerfen. Die entscheidende Frage ist, wie man moderne Technologien am besten mit traditionellen Ideen verbinden kann, damit Städte nicht nur umweltfreundlich, sondern eben auch lebenswert und sozial inklusiv werden. Auf diese drei Ziele kommt es bei der smarten Stadtplanung an, früher wie heute.

Lässt sich überhaupt messen, wie lebenswert oder wie inklusiv eine Stadt ist?
Ich denke schon. In meiner Dissertation habe ich eine Skala entwickelt, mit der man für einzelne Stadtviertel ermitteln kann, wie sicher sich die Bewohnerinnen und Bewohner fühlen, ob es ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gibt, wie vielfältig der Raum genutzt wird, ob die Straßen für Fußgängerinnen und Fußgänger geeignet sind, und so weiter. Ich hoffe, dass solche Fragen künftig stärker in die Stadtplanung einbezogen werden. Auf jeden Fall wird sich eine ganzheitliche Auffassung von Nachhaltigkeit durchsetzen – auch dank der Sustainable Development Goals, die neben der ökologischen auch die ökonomische und die soziale Dimension berücksichtigen.

Mit Ihrer Arbeit tragen Sie zur Umsetzung verschiedener dieser Ziele bei, etwa dazu, nachhaltige Städte und Gemeinden zu schaffen. Wie verbreitet ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in Indien?
In den vergangenen Jahren hat sich sehr viel getan. Als ich 2006 mein Bachelorstudium der Architektur anfing, spielte das Thema nur eine oberflächliche Rolle. Heute ist die Sensibilität für ökologische Fragen stark gestiegen. Zum Beispiel gehen viele Familien inzwischen sparsamer mit Wasser und Strom um. Eines der größten Umweltprobleme ist meiner Meinung nach die Luftverschmutzung in den Städten. In Delhi ist es so schlimm, dass man an vielen Tagen im Winter nicht besonders weit sehen kann. Deshalb sind im Verkehrs- und Energiesektor sehr große Veränderungen notwendig. Diese Probleme geht die Regierung auch an, unter anderem mit dem Bau smarter Städte.

Daran sind Sie beteiligt?
Ja, ich bin Beraterin bei der Planung von fünf Modellstädten im Bundesstaat Haryana – meine Aufgabe ist es, zwischen der Regionalregierung und privaten Beraterinnen und Beratern zu vermitteln. Die Städte sollen auf einer Fläche von je 500 Hektar entstehen. Die Corona-Pandemie hat die Projekte leider verzögert, aber wir hoffen, dass der Bau schrittweise in ein bis zwei Jahren beginnen kann. Ziel ist es, die unvermeidliche Verstädterung der Region stärker zu lenken und zu dezentralisieren. Unter anderem soll ein leistungsfähiges, energieeffizientes öffentliches Verkehrssystem für Pendlerinnen und Pendler geschaffen werden. Bisher gibt es nur in Delhi gute Bahnverbindungen, überall sonst in der Region sind die Menschen auf ein eigenes Auto angewiesen. Übrigens bin ich vom öffentlichen Nahverkehr in Deutschland begeistert!

Waren Sie während Ihrer Zeit am KIT viel unterwegs?
In meinem Raumplanungsstudiengang waren viele internationale Studierende, am Wochenende sind wir immer gemeinsam herumgefahren, um uns die Dörfer und Städte rund um Karlsruhe anzuschauen und einen Eindruck von der lokalen Planung und Architektur zu bekommen. Das war eine tolle Zeit! Ich habe in dem Semester viel gelernt, was ich heute gut einsetzen kann – bei meiner Forschung und als Stadtplanerin.

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