„KI-Systeme müssen verlässlich sein“

Eine der größten Potenziale von Künstlicher Intelligenz liegt in der medizinischen Diagnostik. Schon heute können KI-Algorithmen Auffälligkeiten annähernd so gut erkennen wie menschliche Expertinnen und Experten. Wie das funktioniert und wie solche Systeme Diagnosen liefern, die auch verlässlich sind, erläutert Professor Daniel Rückert von der TU München und Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI (relAI). relAI wird durch den DAAD mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Herr Professor Rückert, man liest immer wieder, dass KI-Systeme inzwischen mindestens genauso gut oder in einigen Fällen sogar besser als Fachärzte Röntgen- und MRT-Bilder lesen können. Stimmt das? Und auf welchem Stand sind wir hier inzwischen?
In der Tat ist es so, dass KI-Systeme immer besser werden, radiologische Bilder zu analysieren und zu interpretieren. Das kommt vor allem dadurch zustande, dass die KI mit Millionen von Bildern trainiert wird. So kann das System lernen, selbst schwer erkennbare Abnormalitäten zu identifizieren. Dazu wäre zwar auch ein erfahrener Radiologe in der Lage. Allerdings fehlen uns diese Fachkräfte, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern sogar weltweit.
Sie haben neuartige Algorithmen entwickelt, die biomedizinische Bilder rekonstruieren, analysieren und interpretieren können. Wie genau sind Sie vorgegangen, um die Systeme zu verbessern?
Eine Herausforderung bei der Aufnahme von MRT-Bildern ist deren Dauer. Die Patientin oder der Patient muss lange im MRT-Scanner liegen bleiben und sollte sich dabei möglichst nicht bewegen. Dies ist für viele Patientinnen und Patienten mindestens unangenehm oder, wie im Fall von kleinen Kindern, so gut wie unmöglich. Wir haben deshalb KI-Systeme entwickelt, die es erlauben, nur einen Bruchteil der MRT-Sensorinformation zu benutzen und daraus qualitativ hochwertige MRT-Bilder zu rekonstruieren. Dadurch kann die Bildgebung erheblich beschleunigt werden.
Die Analyse von Bilddaten ist nur eine Möglichkeit, wie KI in der Medizin eingesetzt werden kann. Welche Beispiele gibt es darüber hinaus?
Prinzipiell können KI-Systeme in allen Bereichen in der Medizin eingesetzt werden, in denen Daten interpretiert werden müssen, zum Beispiel in der Pathologie, Genomik oder in der Labormedizin. Aber KI kann auch zur robotergestützten Chirurgie oder zur optimalen Planung von Strahlentherapie bei Krebs eingesetzt werden. Darüber hinaus kann die Künstliche Intelligenz Ärzte und Pflegepersonal entlasten, etwa durch die automatische Generierung von Arztbriefen oder Pflegedokumentationen. Ein weiterer sinnvoller Einsatz von KI ist die Vorhersage von Bettenbelegungen in Krankenhäusern, was die Planung sehr stark erleichtert und das Pflegepersonal entlastet.
Ein großes Entwicklungspotenzial im Bereich medizinischer Behandlungen wird in der zunehmenden Individualisierung von Therapiemöglichkeiten gesehen. Welche Optionen bietet hier die Künstliche Intelligenz?
In der Medizin setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass viele Krankheitsbilder, die man bislang unter einem spezifischen Typus zusammengefasst hatte, in Wirklichkeit ein sehr breites Spektrum an Ausprägungen umfassen. Sie fächern sich in viele Subtypen auf, die jeweils unterschiedliche Krankheitsmechanismen aufweisen. Unter anderem wird Demenz inzwischen genau so gesehen. Die Herausforderung ist nun, diese Subtypen korrekt zu identifizieren. Und genau dabei kann KI mit ihrer Fähigkeit, riesige Datenmengen auf bestimmte Kriterien hin zu durchsuchen, enorm helfen.
Es ist wichtig, darauf zu achten, dass KI-basierte Frühwarnsysteme keinen falschen Alarm geben.
Darüber hinaus arbeiten Sie an KI-gestützten Möglichkeiten der Prävention und Früherkennung von Krankheiten. Wie genau funktioniert das? Wie lassen sich aus medizinischen Bildern klinische Informationen extrahieren?
Die Früherkennung ist sehr wichtig, da sich viele Krankheiten im frühen Stadium besser behandeln und heilen lassen. Zur Früherkennung ist es allerdings essenziell, in Daten schon früh Abnormalitäten zu erkennen, die auf bestimmte Krankheiten hinweisen können. Auch hier spielt KI eine große Rolle. Allerdings ist es hier auch sehr wichtig, darauf zu achten, dass KI-basierte Frühwarnsysteme keinen falschen Alarm geben. Denn ein solcher kann zu psychologischen Belastungen und unnötigen Untersuchungen oder Behandlungen führen.
Ist es nicht ein Risiko, KI-Systeme medizinische Daten interpretieren zu lassen?
Künstliche Intelligenz sollte nicht das Ziel haben, Ärztinnen und Ärzten die Diagnose abzunehmen, sondern sie dabei zu unterstützen. Solche Systeme sollten natürlich trotzdem so verlässlich wie möglich funktionieren. Eines unserer Forschungsthemen an der Zuse School relAI ist genau dies: die Entwicklung von vertrauenswürdigen („trustworthy“) KI-Systemen. Bei solchen KI-Systemen steht Erklärbarkeit und Zuverlässigkeit im Vordergrund.
Die Entwicklung von transparenten und erklärbaren KI-Systemen fördert auch unser Verständnis von KI-Grundlagen.
Sie lehren an der Zuse School relAI, die als einen ihrer Schwerpunkte eben die Entwicklung zuverlässiger und verantwortungsvoller KI-Systeme definiert hat. Was genau ist in diesem Zusammenhang zu beachten?
Die Entwicklung von zuverlässigen und verantwortungsvollen KI-Systemen ist ein sehr spannendes Forschungsthema. Das merkt man auch bei Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die sich sehr stark für diese Thematik interessieren. Insbesondere ist es spannend zu sehen, dass die Entwicklung von transparenten und erklärbaren KI-Systemen auch unser Verständnis von KI-Grundlagen fördert und uns hilft, neue, bessere Systeme zu entwickeln.
Sie wurden kürzlich mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2025 ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie persönlich und für Ihre zukünftigen Forschungsprojekte?
Natürlich habe ich mich riesig gefreut über diese Auszeichnung. Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist ja der höchste deutsche Forschungspreis, und diese Ehrung bedeutet mir sehr viel. Besonders, da dieser Preis natürlich auch eine Anerkennung für die vielen Nachwuchsforschenden – Doktoranden und Post-Doktoranden – ist, mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Der Preis bedeutet natürlich auch mehr Flexibilität für die zukünftige Forschung in unserer Gruppe. Er gibt uns die Möglichkeit, neue, vielversprechende Richtungen im Bereich KI und Medizin zu erkunden.
Interview: Klaus Lüber (13. Februar 2025)