„Wir müssen Künstlicher Intelligenz vertrauen können“
Der KI-Standort Deutschland ist auf junge, internationale Talente angewiesen. An drei vom DAAD geförderten Graduiertenschulen finden sie ideale Bedingungen für Studium, Forschung und den anschließenden Einstieg in den Arbeitsmarkt. Wir begleiten die Masterstudentin Nil Ayday an der Zuse School relAI in München und fragen sie nach ihren Plänen.
Das natur- und ingenieurwissenschaftliche Forschungszentrum der Technischen Universität München (TUM) liegt ein bisschen außerhalb der Stadt, im Norden Münchens. Nil Ayday erreicht den Campus in Garching mit der U-Bahn. „Es ist so leicht, sich hier von einem Ort zum anderen zu bewegen“, sagt die Masterstudentin und lacht. „Ganz anders als in Istanbul!“
Als Nil Ayday zum Studium nach Deutschland kommt, ist sie 17 Jahre alt. Die Eltern ermutigen die Tochter zu einem ingenieurwissenschaftlichen Studium, sie schreibt sich für den Bachelorstudiengang Elektro- und Informationstechnik ein. „Von Künstlicher Intelligenz hatte ich damals noch gar keine Ahnung“, erzählt die heute 23-Jährige. Ein Professor weckte das Interesse der mathematisch begabten Studentin. „Auf einmal verstand ich, dass Künstliche Intelligenz im Grunde nichts anderes ist als Mathematik und Statistik – und damit beschäftige ich mich sehr gerne.“ Sie beschloss, das Thema weiter zu verfolgen.
Im Masterprogramm der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI (relAI) befasst sich Nil Ayday inzwischen intensiv mit Fragen der Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit Künstlicher Intelligenz. Die Graduiertenschule ist eine von drei Konrad Zuse Schools im Bereich Künstlicher Intelligenz, die vom DAAD mit Mitteln des BMBF gefördert werden. Die Zuse School relAI ist ein Gemeinschaftsprojekt der TUM und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), mit Aktivitäten an beiden Standorten. Nil Ayday zählt zum ersten relAI-Jahrgang, der im September 2022 startete. „In der KI-Forschung sind Frauen nach wie vor in der Minderheit“, stellt sie fest. „Auch das war ein Grund, warum ich mich für das Programm beworben habe.“
Verantwortungsvolle KI
Den größten Teil ihres Studiums verbringt sie auf dem weitläufigen Gelände des Forschungszentrums in Garching. Hier trifft sie Freundinnen und Freunde, die sie teils schon aus dem Bachelorstudium kennt, und verabredet sich zum Mittagessen. „Es ist ein grüner Campus“, erzählt sie auf dem Weg zum Mathematik-Informatik-Gebäude, wo die Kurse und Vorlesungen ihres Masterstudiengangs Robotics, Cognition, Intelligence stattfinden. Im Vorübergehen zeigt sie zu einem kleinen Park hinüber. „Im Sommer treffen wir uns häufig draußen.“ Was sie an dem Konzept der Zuse School besonders gereizt hat? „Ich kann an beiden Universitäten Veranstaltungen besuchen, die auf das Thema reliable AI zugeschnitten sind“, sagt sie. In Kombination mit dem Informatik-Schwerpunkt ihres Masterstudiums passe das perfekt.
Zum Lernen zieht sich die relAI-Masterandin gerne in die Räume der Zuse School im Munich Data Science Institute (MDSI) zurück. Im fünften Stock, oberhalb des neuen Kongresszentrums mitten auf dem Garchinger Campus, beherbergt es auch die Graduiertenschule relAI. „Hier finde ich immer einen Platz, an dem ich mich gut konzentrieren kann“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin und lässt sich auf einem der bunten Sitzwürfel in der Lounge nieder. Im Oktober 2023 feierten hier rund fünfzig Masterstudierende und angehende PhDs der Zuse School den zweiten Welcome Day und lernten sich untereinander kennen. „Wir werden sehr dazu ermutigt, Kontakte zu knüpfen und miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Nil Ayday. Was sie besonders schätzt: „Wir kommen alle aus unterschiedlichen Richtungen und profitieren von der Forschung des jeweils anderen.“
Der Kluge-Hans-Effekt
Nil Ayday klappt ihren Laptop auf, auf dem Bildschirm erscheint ein Vortragsposter. Es zeigt Ergebnisse ihrer Forschung zum Thema „Explain ability for Improving Model Reliability“ am Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik in Berlin, für das Ayday als Forschungsassistentin arbeitet. Sie tippt auf das Schwarz-Weiß-Foto eines Pferdes – über den komplizierten Grafiken und Modellen wirkt es wie aus der Zeit gefallen.
Es zeigt den sogenannten „Klugen Hans“. Der Traber wurde berühmt, weil er angeblich rechnen konnte. Stellte man ihm eine Rechenaufgabe, klopfte er die richtige Antwort mit dem Huf. Tatsächlich verfügte das Pferd aber nicht über außergewöhnliche kognitive Fähigkeiten, sondern besaß eine ausgeprägte Beobachtungsgabe. Da es die unbewussten Signale der umgebenden Menschen wahrnehmen konnte, wusste es, wann die richtige Antwort erreicht war, und stellte das Hufklopfen ein.
In der KI-Forschung steht der nach ihm benannte „Kluger-Hans-Effekt“ für ein Phänomen im Machine Learning. „Es geht darum, ein Ergebnis zu hinterfragen, auch wenn es die korrekten Werte liefert. Denn möglicherweise stützt es sich auf falsche Korrelationen und unerwünschte Annahmen in den Trainingsdaten“, erklärt Nil Ayday. Methoden aus der „Explainable AI“ zeigen, wie es dazu kommen kann. „In der medizinischen Anwendung beispielsweise ist es sehr wichtig, erklären zu können, wie KI-Modelle zu bestimmten Lösungen kommen.“
Prominente internationale Partner
Ihr Poster konnte Nil Ayday bereits mehrfach präsentieren: bei einem Treffen aller drei Zuse Schools in Dresden ebenso wie bei der großen Eröffnungsveranstaltung im Juli 2023 in der Münchner Residenz – mit hochkarätigen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In der Zuse School arbeiten die beiden Partneruniversitäten mit regionalen, aber auch mit sehr prominenten internationalen Partnern zusammen. „Eine Besucherin studierte mein Poster besonders gründlich und stellte eine wirklich anspruchsvolle Frage – ich war richtig aufgeregt“, erzählt die relAI-Masterandin. Es stellte sich heraus, dass ihre Gesprächspartnerin bei Google in einem ähnlichen Gebiet forscht.
„Dass wir Zugang zu solchen Events haben und ins Gespräch mit Leuten aus interessanten Unternehmen kommen, ist toll“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin. Einige ihrer relAI Mitstudierenden nutzen diese Möglichkeit auch schon recht aktiv. Nil Ayday hat jedoch andere Pläne. Sie will zunächst in der Wissenschaft bleiben und nach dem Abschluss ihrer Masterarbeit in der theoretischen KI an der TUM promovieren. Und danach? Nil Ayday lacht. Das liege für sie noch so weit weg in der Zukunft. „Aber wer weiß“, sagt sie. Für ein Praktikum während ihres PhDs sei sie auf jeden Fall offen. „Vielleicht gibt mir das ja eine Idee, wo ich hingehen könnte.“ Nach fünf Jahren in München fühle sie sich hier jedenfalls schon richtig zu Hause.
Dieser Beitrag ist zuerst im DAAD-Jahresbericht 2023 erschienen.
Miriam Hoffmeyer (30. Juni 2024 )