KI-Standort Deutschland

Die Postdoctoral Networking Tour in Artificial Intelligence (Postdoc-NeT-AI) eröffnet KI-Talenten aus aller Welt einen persönlichen Zugang zur deutschen KI-Community. Generative Modelle wie ChatGPT standen im Fokus der ersten Netzwerkwoche in 2023. Fellows und Forschende diskutierten über ihre Projekte, den Forschungsstandort Deutschland und inhaltliche Schnittstellen.
Noch sind dem visuellen Lernen von Maschinen Grenzen gesetzt. Das menschliche Sehvermögen wurde über Generationen darin trainiert, Objekte zu unterscheiden, Distanzen einzuschätzen, Abweichungen zu erkennen. Selbst gut trainierte neuronale KI-Modelle kommen an diese ausgereifte Wahrnehmungsleistung noch nicht heran, einen Mond könnten sie beispielsweise für eine Ampel halten. Gelänge es dagegen einem Modell, die Beziehung zwischen Himmel, Mond, Bäumen und Straße einzuordnen, würde es den Himmelskörper leicht unterscheiden können. Daran forscht die KI-Expertin Boyi Li. In ihrer Dissertation an der Cornell University (Bundesstaat New York) stellte sie eine neuartige multimodale Modellierungsmethode vor, die über das rein visuelle Lernen hinausgeht und auch Informationen wie Text oder Audio verarbeitet.
Generative KI setzt neue Maßstäbe
„Ich entwickele neue dateneffiziente Algorithmen für maschinelles Lernen und intelligente Systeme“, erklärt die 2022 als „Rising Star in Machine Learning“ ausgezeichnete Wissenschaftlerin, die inzwischen als Postdoc an der renommierten University of California in Berkeley forscht. Ziel ist es, die Generalisierungsfähigkeit und Flexibilität des Modells zu verbessern. „Wir wollen Computer dazu bringen, die Umwelt umfassend zu verstehen und angemessen mit Menschen zu interagieren.“
Die Chinesin war eine von rund 60 Teilnehmenden der Postdoc-NeT-AI-Tour im April 2023. In Einzelgesprächen und Gruppenmeetings brachte der DAAD KI-Talente aus aller Welt mit Hochschulen und Forschungsinstitutionen in Deutschland zusammen. Das jeweils siebentägige Programm findet zweimal im Jahr statt. Den thematischen Schwerpunkt dieser virtuellen Netzwerkwoche setzten „Generative KI-Modelle in Machine Learning“ – das sprachbasierte Chatbot ChatGPT ist ein besonders prominentes Beispiel.

Michael Pfeiffer, Leiter der KI-Forschung bei Bosch, nahm bereits zum dritten Mal an der Postdoc-NeT-AI-Week teil, Boyi Li stand als potenzielle Gesprächspartnerin bei ihm ganz oben auf der Liste. „Sie arbeitet bei einer exzellenten Universität, noch dazu bei Jitendra Malik, einem Superstar der KI, publiziert bei hochkarätigen Konferenzen und wird stark zitiert“, so Pfeiffer. Der gute Eindruck bestätigte sich im Einzelgespräch, über Zeitzonen hinweg. „Es kamen viele Fragen zu Bosch, zu Europa, zu Deutschland, aber sie kannte auch einige sehr prominente KI-Professoren hier in der Region.“
Deutschlandweit: Exzellenz in der KI-Forschung
Namen mit Strahlkraft, die in der internationalen KI-Szene auf Konferenzen präsent sind und viel zitiert werden, gibt es auch in Deutschland. „In der schnelllebigen KI-Forschung geht es vor allem darum, wer wozu publiziert“, sagt Forschungsleiter Pfeiffer. Nachwuchsforschende orientierten sich stark an Personen, die mit ihren Gruppen bahnbrechende neue Entdeckungen machen und als zukünftige Betreuer entsprechend attraktiv sind. „In Deutschland gibt es nicht diese weltweit bekannten Universitäten wie MIT, Stanford oder die ETH, die schon aufgrund ihres hervorragenden Namens die besten Studierenden anziehen“, so Pfeiffer. „Aber es gibt über Deutschland verteilt sehr viele gute Gruppen. Eine Veranstaltung wie die Postdoc-NeT-AI-Tour schafft einen Überblick über diese Forschungslandschaft und hilft Teilnehmenden, die vielen verschiedenen akademischen Institute und Industrielabs auf diesem Gebiet einzuordnen.“
Effektiv ist in diesem Zusammenhang auch die im Aufbau befindliche Postdoc-NeT-AI-Datenbank. Deutsche Forschungsgruppen sind mit ihren Keywords, Kontaktinformationen, Weblinks und Verweisen auf Stellenangebote vertreten. Auf diese Weise lassen sich die in bestimmten Themenfeldern besonders aktiven Forschenden in Deutschland ermitteln. „Internationale Forschende werden damit eingeladen, die gesamte deutsche KI-Forschungslandschaft zu erkunden“, sagt Christian Schäfer, Leiter des Programms beim DAAD. Ziel der Datenbank sei es, nicht nur die unmittelbar beteiligten Institutionen vorzustellen, sondern das Netzwerk auf ganz Deutschland auszuweiten. „Postdocs im Bereich KI werden weltweit wie Goldstaub gehandelt, im internationalen Wettbewerb hat es Deutschland nicht leicht“, so Schäfer. Die Postdoc-NeT-AI-Tour rege hoch qualifizierte Nachwuchsforschende dazu an, sich mit dem Forschungsstandort Deutschland auseinanderzusetzen und Möglichkeiten der Kooperation zu prüfen. Unter den Geförderten der letzten Runde waren 22 Nationalitäten vertreten.
PhD Florian Mai kommt aus Deutschland. Über die Infrastruktur der Forschung in seinem Heimatland hat er während der Tour dennoch einiges erfahren, was er vorher nicht wusste. „Interessante Vorträge der teilnehmenden Universitäten, teilweise gute Diskussionen – ich war positiv überrascht, wie gut die virtuelle Networking Week funktioniert hat.“ Bereits während seines Masterstudiums in Kiel arbeitete Florian Mai als Forschungsassistent am Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW), aktuell promoviert er an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL).

Deep Learning verändert die Gesellschaft
„Der rasante Fortschritt in der KI der letzten zehn Jahre beruht zu einem großen Teil darauf, die im Grunde gleichen Algorithmen mit mehr Rechenleistung und größeren Datensätzen zu trainieren“, so Mai. In seiner Doktorarbeit konzentrierte er sich darauf, die Effizienz von Deep-Learning-Algorithmen im Bereich des Natural Language Processing, wie sie etwa in ChatGPT eingesetzt werden, zu verbessern. „Die aktuellen Technologien sind in der Lage, die Gesellschaft grundlegend zu ändern“, davon ist der Informatiker überzeugt. Für ihn ein Grund, den Fokus künftig stärker auf die Sicherheit von KI-Systemen zu richten. „In den Einzelgesprächen wurde häufig direkt über mögliche Kooperationen und inhaltliche Überschneidungen gesprochen.“ Einige dieser Kontakte wird er während eines einwöchigen Besuchs in Deutschland vertiefen, der Teil des Programms ist. „In dieser Zeit habe ich die Möglichkeit, mich direkt und intensiv mit interessanten Labs auszutauschen.“
Auch aufseiten der Forschungsinstitutionen werden diese Besuche geschätzt. „Das Format ist individueller und intensiver als ein unverbindliches Treffen auf einer Konferenz“, sagt Professor Dr. Sebastian Houben, Professor für Robot Vision and Machine Learning an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „Man hat einen ganzen Tag reserviert, kann in die Tiefe gehen und inhaltliche Schnittstellen finden.“ Aus der Postdoc-NeT-AI-Tour 2022 entwickelte sich auf diese Weise eine Kooperation mit einer Wissenschaftlerin aus dem Bereich Social Robotics, die inzwischen eine Professur in Edinburgh angenommen hat. Das deutsche Modell der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) sei international erklärungsbedürftig, so Houben. Im Hinblick auf die Themen sei der anwendungsorientierte Ansatz für KI-Projekte jedoch interessant – vor allem dort, wo es um längere Versuchszeiträume gehe. „Postdoc-Positionen lassen sich bei uns nicht so leicht realisieren, aber dafür können wir über unsere engen Kontakte zur Industrie interessante Verbindungen knüpfen.“

Karrierechancen für junge Forschende
Arabinda Ghosh fand seinen aktuellen Job über die AI-Netzwerkwoche im Oktober 2022. Da hatte er gerade seinen PhD in Elektrotechnik am indischen National Institute of Technology Sikkim abgeschlossen. Sein Forschungsschwerpunkt sind Cyber-physikalische Systeme (CPS). Die Netzwerkwoche erlebte er als informativ und bereichernd, in mehreren Einzelgesprächen begegnete er Vertretern renommierter deutscher Forschungseinrichtungen, unter anderem des Max-Planck-Instituts für Softwaresysteme (MPI-SWS) in Kaiserslautern. „Ich wurde eingeladen, meine Arbeit im Team vorzustellen und erhielt direkt das Angebot, als Postdoc in dem Horizon-Europe-Projekt Symaware mitzuarbeiten.“ Die Teilnahme an einer der Postdoc-NeT-AI-Touren des DAAD kann er jungen Forscherinnen und Forschern nur empfehlen. „Es ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um die eigene Perspektive auf die aktuelle KI-Forschung in Deutschland zu erweitern und neue Partnerschaften in diesem Bereich aufzubauen.
Gunda Achterhold (16. Mai 2023)