KI-Talente für Deutschland

Visualisierung von jungen vernetzten KI-Talenten

Das DAAD-Programm RISE Germany ermöglicht internationalen Bachelor-Studierenden aus den Natur- und den Ingenieurwissenschaften ein Praktikum an einer deutschen Hochschule. Seit einigen Jahren immer stärker nachgefragt wird der Bereich Künstliche Intelligenz.

Lange konnte sich Faye Holt eigentlich nicht vorstellen, für ihr Studium ins Ausland zu gehen. „Ich dachte einfach, da wären zu viele Hürden für mich zu nehmen. Allein die Schwierigkeit, die Sprache einigermaßen gut zu sprechen.“ Dann erfuhr sie im Herbst 2021 über einen Newsletter ihrer Hochschule Georgia Institute of Technology in Atlanta von einem interessanten Angebot aus Deutschland. Holt hatte ein Studium der Informatik an der renommierten US-amerikanischen Universität begonnen und interessierte sich besonders für Künstliche Intelligenz in der Spracherkennung und wie solche Systeme inklusiver programmiert werden können: etwa, indem man ihnen beibringt, verschiedene Dialekte besser zu verstehen.

Die Technische Hochschule (TH) Ingolstadt, so las sie, suchte für ein Sommerpraktikum Unterstützung in genau diesem Bereich. Zusammen mit einem internationalen Team sollte daran geforscht werden, wie Spracherkennungssysteme so optimiert werden können, dass sie auch in lauten Umgebungen gut funktionieren. „Das fand ich so spannend und es passte so gut zu meinen Interessen, dass ich mich beworben habe.“ Sie bekam den Platz und reiste im Sommer 2022 für zehn Wochen nach Deutschland. Von der Qualität der Forschung, aber vor allem von der Arbeitsatmosphäre an der deutschen Hochschule, war sie so begeistert, dass sie aktuell schon Pläne schmiedet, für ihren Master wieder zurück nach Ingolstadt zu gehen. „Plötzlich erschien mir das alles sehr gut machbar. Ich stehe auf jeden Fall eng mit meinem Professor in Kontakt.“

Fünf junge Studierende im Atrium einer Hochschule

Immer mehr Projekte mit KI-Bezug

Faye Holts Praktikum in Ingolstadt ist Teil des bereits 2005 gestarteten Stipendienprogramms RISE Germany, mit dem der DAAD internationale Bachelor-Studierende aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften für Deutschland begeistert. Das Besondere: Die junge Studentin aus den USA konnte sich spezifisch für den Themenbereich Künstliche Intelligenz bewerben. „Das ist in dieser Form erst seit 2018 möglich“, erklärt Michaela Hergst-Gottschling, Teamleiterin im DAAD Referat Stipendien Nordamerika/RISE. „Uns ist einfach irgendwann aufgefallen, dass immer mehr Projekte eine Schnittmenge mit Informatik und dort spezifisch mit Forschungen zum Thema KI aufweisen. Und da lag es aus unserer Sicht nahe, diesen als eigenen Fachbereich anzubieten.“

Bei den Hochschulen stieß die Idee sofort auf großes Interesse. 2018 wurden bereits 16 Projekte mit spezifischem KI-Fokus angeboten, im darauffolgenden Jahr waren es 30, inzwischen zähle man 41 Projekte, so Hergst-Gottschling. Interessant dabei: die hohe Anzahl junger Frauen bei den internationalen Bewerberinnen und Bewerbern, wohingegen unter den anbietenden Forschungsteams auf deutscher Seite Männer dominierten. Der DAAD geht davon aus, dass die Gesamtzahl der Projekte auch in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen wird. Die rasante technologische Entwicklung mache KI-Systeme immer breiter einsetzbar und damit auch relevanter für die unterschiedlichsten Forschungsbereiche. „Das steigert natürlich auch den Bedarf an talentierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern an den einzelnen Lehrstühlen“, erläutert Hergst-Gottschling.

Implantate gegen Parkinson

Davon profitierte auch der junge US-amerikanische Informatik-Student Michael Loftus von der Universität Michigan. Wie Faye Holt hat auch er den Fokus auf KI gelegt. Im Rahmen seines RISE-Praktikums im Sommer 2022 betätigte er sich jedoch in einem komplett anderen Anwendungsfeld. An der Fakultät für Informatik und Elektrotechnik der Universität Rostock durfte Loftus das Team des DFG-Sonderforschungsbereich ELektrisch Aktive ImplaNtatE – ELAINE unterstützen. Dort forscht man an Implantaten zur gezielten Stimulation bestimmter Hirnregionen, um Krankheitsbilder wie Parkinson oder Epilepsie lindern zu können. Da solche Mini-Chips per chirurgischem Eingriff recht tief ins Gewebe eingebracht werden müssen, werden in Rostock Software-Lösungen programmiert, die es möglich machen, die angestrebten Effekte im Vorfeld durch Computermodelle zu simulieren.

Großaufnahme eines jungen, lächelnden Studenten vor blauem Himmel

Loftus programmierte mit an der Software und war vor allem davon begeistert, wie tief er von Anfang an in das Projekt eingebunden war. „Das Team hatte einen bestimmten Bereich vordefiniert, den ich bearbeiten sollte. Und ziemlich schnell habe ich gemerkt: Das ist nicht irgendein Add-on, sondern ein relevanter Baustein, um das ganze Projekt am Ende zu realisieren.“ Eine seiner Hauptaufgaben: nach Möglichkeiten zu suchen, die Simulation auf bestimmte Patientinnen und Patienten hin anzupassen. „Das ist wirklich faszinierend. Man lädt ein bestimmtes MRT hoch und kann den Programmcode dann entsprechend dieser Vorlage entwickeln.“ Auch Loftus steht nach seinem Praktikum in engem Austausch mit seinen Mentorinnen und Mentoren. Demnächst sei die Veröffentlichung eines neuen Papers geplant, das auch auf den Computercode, den er vor Ort entwickelt hat, Bezug nehmen wird. „Darauf freue ich mich natürlich schon sehr.“

Früh für Deutschland begeistern

Für Michaela Hergst-Gottschling ist das ein gutes Zeichen. Das Besondere an RISE sei, Studierende bereits in einer sehr frühen Phase für Deutschland zu interessieren. „Undergraduate-Förderung gibt es ansonsten, zumindest im Bereich internationaler Studierender, nur noch in DAAD-Sonderprogrammen“, berichtet sie. Aber gerade für die Rekrutierung Forschender in stark nachgefragten Bereichen wie Künstlicher Intelligenz ist es wichtig, Talente bereits beim Start ins Studium gezielt ansprechen zu können. „Das erhöht die Chancen, dass wir diese ein Stück weit für die ja sehr gute Forschung an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen begeistern können.“ Dass dies grundsätzlich funktioniere, merke man an ehemaligen RISE-Teilnehmenden anderer Fachrichtungen. „Von diesen begegnen uns nicht wenige dann auch später in den Förderprogrammen für Masterstudierende.“ Oder als Teilnehmende von RISE Professional, dem RISE-Äquivalent für Masterstudierende oder Doktorandinnen und Doktoranden, das Möglichkeiten bietet, erste Erfahrungen im deutschen Arbeitsmarkt zu machen.

Nicht zu vernachlässigen sei auch der Aspekt der internationalen Vernetzung, wie Gabriele Knieps, Leiterin des Referats Stipendien Nordamerika/RISE im DAAD betont. „Es passiert immer wieder, dass RISE-Alumnae und -Alumni in ihren Heimatländern selbst zu Mentorinnen und Mentoren für deutsche Praktikantinnen und Praktikanten werden.“ Im Rahmen des Programms RISE Weltweit können sich diese in gleicher Weise auf Auslandspraktika an ausländischen Universitäten bewerben. „Das ist natürlich der Idealfall. Dann haben wir es geschafft, die Verbindung zu Deutschland gewissermaßen in beide Richtungen nachhaltig auszuprägen.“

Münster statt Silicon Valley

Wie RISE letztlich auch dazu beitragen kann, den KI-Standort Deutschland zu stärken, dafür ist Isadora White ein gutes Beispiel. White studiert Informatik an der amerikanischen Eliteuniversität Berkeley, mit ihrer Nähe zum Silicon Valley einer der weltweit am stärksten nachgefragten Talentschmieden für zukünftige Spitzenforscherinnen und -forscher im Bereich KI. Im Sommer 2021 absolvierte sie ein Praktikum bei einem großen US-Anbieter für Businesstools, merkte dann aber schnell, dass ihr das nicht reicht. „Mich interessieren Projekte, die einen positiven Impact auf die Welt haben“, sagt sie.

Eine junge Studentin steht auf einer Straße mit Kopfsteinpflaster, im Hintergrund eine Kirche im gotische Stil

Statt weiter nach Arbeitserfahrung in einem Top-Unternehmen im Silicon Valley zu suchen, entschied sich White für Deutschland. Im Sommer 2022 kam sie mit RISE an die Universität Münster und unterstützte ein Forschungsteam bei der Arbeit an einer KI-Lösung für die Content-Moderation von Webseiten. Eine extrem wichtige Arbeit, wie sie findet. „Dadurch wird es leichter, zum Beispiel gewaltsame Sprache herauszufiltern und wichtige Debatten lebendig zu halten.“ Zu ihrer Deutschland-Erfahrung sagt sie: „Ich fand die Arbeit dort klasse. Ich kann mir sehr gut vorstellen, für meinen Master zurückzukommen.“

Klaus Lüber (5. April 2023)

 

Verwandte Themen