Vielfalt als Bereicherung vermitteln

Die selbstentwickelten Unterrichtseinheiten zu Diversität setzten die Projektteilnehmenden mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schulformen um, hier in Indonesien.

Wie Bildungseinrichtungen den Umgang mit Diversität positiv beeinflussen können, zeigt eine deutsch-indonesische Kooperation, die durch eine DAAD-Förderung angestoßen worden ist. 

In Indonesien leben zahlreiche Ethnien, deren Angehörige Hunderte von Sprachen und Dialekten sprechen. Neben dem Islam, zu dem sich die große Mehrheit der Bevölkerung bekennt, sind das Christentum, Hinduismus, Konfuzianismus und Buddhismus offiziell anerkannte Religionen. Doch hat das Bild einer harmonischen multireligiösen Gesellschaft aufgrund zunehmender Konflikte zwischen religiösen Gruppen in der Vergangenheit und auch kürzlich Risse bekommen. „Das multikulturelle Zusammenleben muss in jeder Generation neu erlernt werden“, sagt Dr. Widyastuti Purbani, Prorektorin der Graduate School of Educational Science an der Yogyakarta State University (UNY). Und auch in Deutschland hat die kulturelle, sprachliche und religiöse Pluralität in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, besonders seit der Pandemie haben gesellschaftliche Spannungen zugenommen. „Beide Gesellschaften stehen vor der Herausforderung, geeignete Wege zu finden, um mit Diversität umzugehen“, sagt Kordula Schulze von der Universität Münster. „Bildungseinrichtungen können dabei eine Schlüsselrolle spielen.“

Die Universität Münster und die UNY sind Partnerhochschulen, die seit 2018 im Rahmen einer DAAD-geförderten Internationalen Studien- und Ausbildungspartnerschaft (ISAP) eng zusammenarbeiten. Die Frage, wie diversitätssensible Lehr- und Lernkulturen in Deutschland und Indonesien vorangetrieben werden können, stand im Mittelpunkt des binationalen Kooperationsprojekts Teaching Diversity – Diversity in Teaching, das 2021 bis 2023 durch das DAAD-Programm Hochschuldialog mit der islamischen Welt aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert wurde. „Internationalisierung der Lehramtsausbildung hilft angehenden Lehrkräften dabei, interkulturelles Verständnis zu entwickeln – was heute nötiger ist denn je“, so Schulze. 

Je rund 20 Studierende nahmen an den drei zweiwöchigen Intensive Summer Camps nahe Münster beziehungsweise Yogyakarta teil. „Wir haben von früh bis spätabends gearbeitet und diskutiert“, erinnert sich Balquis Putri El Azzah, Bachelorstudentin an der UNY. „Ich habe es richtig genossen, weil es so interessant war, verschiedene Methoden und Medien kennenzulernen. Und die Camps fanden an so schönen Orten in der Natur statt, dass es kein Problem war, auch mal den Kopf freizubekommen.“ Die Studierenden reflektierten ihre Positionen zu unterschiedlichen Aspekten von Diversität und lernten aktuelle methodisch-didaktische Ansätze dazu kennen. Auf dieser Grundlage entwarfen sie in Kleingruppen Unterrichtseinheiten, die sie dann direkt mit Schülerinnen und Schülern umsetzten. 
 

Teilnehmende des Intensive Summer Camps nahe Yogyakarta

An dem Projekt waren sehr unterschiedliche Schulen beteiligt: in Yogyakarta eine islamische Grundschule, eine inklusive Mittelschule, eine katholische High School für Jungen und eine jahrgangsübergreifende Schule in einem sozial benachteiligten Viertel; in Münster eine Montessori-Grundschule, zwei Gesamtschulen und eine Hauptschule. Auch nach dem Projektende finden weiterhin gemeinsame Präsenz- und Online-Lehrveranstaltungen statt und auch die Zusammenarbeit mit den Schulen besteht bis heute fort.

Balquis Putri El Azzah unterrichtete mit ihrer deutschen Tandempartnerin an einer High School in Yogyakarta, an der Deutsch als dritte Fremdsprache gelehrt wird. „An indonesischen Schulen wird nicht viel über Themen wie Behinderung, Migration oder LGBTQ+ gesprochen. Ich fand es sehr spannend, gemeinsam Unterrichtsideen zum Thema Inklusion zu entwickeln“, sagt die 22 Jahre alte Studentin. „Die Schülerinnen und Schüler haben sich wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt und wir haben sehr gutes Feedback von ihnen bekommen.“ Basis ihres Unterrichtskonzepts war das deutsche Bilderbuch „Lilly gehört dazu!“ über ein Mädchen mit Behinderung.

Die drei Projektverantwortlichen Kordula Schulze und Prof. Dr. Juliane Stude von der Universität Münster und Dr. Widyastuti Purbani von der Yogyakarta State University (von links).

Die gemeinsamen Forschungsinteressen in der Lehrkräftebildung hat die drei Leiterinnen des Projekts zusammengebracht: die Germanistinnen Professorin Juliane Stude und Kordula Schulze von der Universität Münster und die Anglistin Dr. Widyastuti Purbani von der UNY. „Weil Erziehung zur Diversität früh beginnen muss, ist Kinderliteratur ein sehr gutes Medium dafür“, erläutert Purbani. „Sie ist zudem ein Tor zur ,Literacy‘, die ja auch die Fähigkeit umfasst, Ideologien hinter Texten zu erkennen. Trotzdem wurde Kinderliteratur an indonesischen Hochschulen lange Zeit nicht ernstgenommen.“ Es sei eine Herausforderung gewesen, im Rahmen des Projekts das „Center for Children‘s Literature and Literacy Education“ (CCLLE) mit einem großen mehrsprachigen Bücherbestand an der UNY aufzubauen. „Aber wir haben es geschafft und unser Fachbereich bietet jetzt auch zwei Kurse über Kinderliteratur an.“ 

Am CCLLE werden Abschlussarbeiten betreut und wissenschaftliche Workshops angeboten. Agnes Clarissa Purwoko, die inzwischen an der Universität Cambridge studiert, hat 2023 zusammen mit Studentinnen aus Münster am CCLLE zwei Workshops über Bilderbücher zu Geschlechteridentitäten und -stereotypen gehalten. „Die Studierenden fanden es toll, neue Anregungen für die Unterrichtsgestaltung zu bekommen“, sagt die 23-Jährige.

Das Projekt umfasste auch drei multiprofessionelle Roundtables zur diversitätsbewussten Bildungsarbeit mit jeweils rund hundert Teilnehmenden, unter ihnen Kinderbuchautorinnen und -autoren sowie regionale Bildungsakteure. „Dort habe ich viel gelernt, zum Beispiel, wie eine Kinderbuchillustratorin arbeitet und wie ich dieses Wissen im Unterricht nutzen kann“, sagt die 24 Jahre alte Anna Gausepohl, die in Münster den Masterstudiengang Education absolviert. Das Wichtigste, was sie in den Summer Camps gelernt hat, bringt sie so auf den Punkt: „Persönliche Verbindungen und Freundschaften schaffen den Raum dafür, tiefergehendes Interesse an anderen Kulturen zu entwickeln und Stereotype zu überwinden.“

Miriam Hoffmeyer (17. Juli 2024)

 

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