Genderaspekte im Vorstudium: "Wir müssen stärker auf die Frauen zugehen"

Zwei Frauen recherchieren am PC.

Die Bilder ähneln sich an allen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, die Vorstudiengänge für Flüchtlinge anbieten. Unter vielen männlichen Kursteilnehmern erblickt man in der Regel nur wenige Frauen. Die Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat sich deshalb etwas einfallen lassen, wie sie mehr weiblichen Flüchtlingen einen Weg ins Studium ermöglichen kann.

Den Anfang machte eine Informationsveranstaltung Ende 2016, mit der sich die Hochschule direkt an geflüchtete Frauen wandte. „Sie sind häufig schlechter informiert und wissen nicht, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen“, beobachtet Ulrike Herrlich, Koordinatorin im International Office der RUB. Ihr Team nutzte alle Kanäle, um Werbung zu machen, vom Infoportal der Stadt bis hin zu Studierenden, die sich ehrenamtlich in Flüchtlingsunterkünften engagieren und dort gezielt Frauen auf den Infoabend aufmerksam machten. Der Aufwand hat sich gelohnt, die Veranstaltung war mit mehr als 50 Interessentinnen sehr gut besucht. Was die Initiatorinnen besonders freute: Viele der Frauen kamen wieder und bewarben sich um einen Platz im studienvorbereitenden Programm, das an der RUB im Rahmen des Landesprogramms NRWege ins Studium umgesetzt wird.

Ein Jahr später fällt die Bilanz positiv aus, der Frauenanteil in den Vorstudiengängen für Flüchtlinge liegt im Vergleich zu anderen Hochschulen überdurchschnittlich hoch. Unter den derzeit 90 Teilnehmern des Intensivprogramms, das 20 Stunden Deutschunterricht mit vier Stunden weiteren studienvorbereitenden Veranstaltungen verbindet, sind 25 Frauen. „Und das sind richtige Powerfrauen“, stellt Ulrike Herrlich fest. „Sie sind sehr zielstrebig und schneiden im Schnitt besser ab als die männlichen Kursteilnehmer.“ Etwa die Hälfte der teilnehmenden Frauen hat kürzlich einen Zwischentest bestanden, bei den Männern war es nur ein Drittel.

Grundlage dieses Ergebnisses ist ein Konzept, das sich an den besonderen Bedürfnissen geflüchteter Frauen orientiert und entsprechende Rahmenbedingungen schafft, von der Zusammensetzung der Kurse bis hin zur Kinderbetreuung. „Im Grunde fängt es schon in der Beratung an“, sagt Ulrike Herrlich. Nicht selten kommen Bewerberinnen in Begleitung ihres Mannes, der dann auch den aktiven Part im Gespräch übernimmt. Die Beraterinnen und Berater des International Office der RUB sprechen die Frauen daher gezielt an, halten Augenkontakt und binden sie betont ein. „Wir merken auch in unseren Veranstaltungen, dass die Frauen zurückhaltender sind“, so Herrlich. „Man muss auf sie stärker zugehen als auf die Männer.“

Auf den Unterricht konzentriert

Umso wichtiger ist es, dass sich die weiblichen Kursteilnehmer aufgehoben und sicher fühlen. Bei der Einteilung der Tutorien, die die Intensivkurse ergänzen, achtet das Team der RUB konsequent darauf, dass mindestens ein Drittel der Kursteilnehmer weiblich ist, dafür nehmen sie den ein oder anderen reinen Männerkurs billigend in Kauf. Grundsätzlich wird jedoch auf eine möglichst ausgewogene Mischung geachtet. „Später im Studium gehört der Austausch der Geschlechter schließlich auch dazu“, findet Katharina Werner. Die Sozialwissenschaftlerin ist Studentische Hilfskraft im International Office und eine von sieben Tutorinnen, die an der RUB die studienvorbereitenden Kurse begleiten. Sie erlebt viele der Teilnehmerinnen als selbstbewusste Frauen, die sich engagiert am Unterricht beteiligen und sehr gewissenhaft sind. Aktivitäten, die nicht direkt Teil der Ausbildung sind, nehmen sie jedoch nur bedingt wahr. „Das ist ein deutlicher Unterschied zu den Männern, die bei Ausflügen oder im Sprachcafé gerne dabei sind“, betont die 24-Jährige. Neue Freunde und Anschluss an die Gesellschaft zu finden, dieses Anliegen habe für männliche Flüchtlinge einen extrem hohen Stellenwert. „Von einer unserer Frauen habe ich das noch nie gehört.“

Das hat möglicherweise auch mit den besonderen familiären Herausforderungen geflüchteter Frauen zu tun. Viele von ihnen haben bereits Familie, was den Zugang zu Bildung erheblich erschwert. Ein wesentlicher Baustein für die erfolgreiche Integration weiblicher Flüchtlinge an der RUB ist daher die Kinderbetreuung im Rahmen des studienvorbereitenden Programms, die das International Office unterstützt von Erzieherinnen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) anbietet. In Räumen direkt an der Hochschule wurde daher extra ein mobiles Spielzimmer mit Wickelplatz zur Verfügung gestellt. So können sich die Erzieherinnen der AWO Ruhr-Mitte um die Kinder kümmern und dafür sorgen, dass sich die Eltern voll und ganz auf ihre Kurse konzentrieren können. Was anfangs als kleines Projekt mit Honorarkräften begann, hat sich inzwischen zu einem festen Angebot entwickelt. „Wir finanzieren die Kooperation im Rahmen unserer Brückenprojekte für Flüchtlingskinder im Kindergartenalter, die noch keinen Regelplatz gefunden haben“, erklärt Jana Schlüter, die das Projekt bei der Arbeiterwohlfahrt koordiniert. Sieben Einjährige zählen an der RUB inzwischen zur Kerngruppe, die von montags bis donnerstags betreut wird. Abgedeckt werden damit auch Randzeiten und zusätzliche Kurse. Das verschafft den Müttern mehr Freiraum und kommt zugleich den Kindern zugute. „Sie brauchen diese Kontinuität, um Vertrauen aufbauen zu können“, betont Schlüter. Doch auch den Frauen falle es oft sehr schwer, sich von ihren Kleinkindern zu trennen. „Deshalb ist es gut, dass wir mit der Kinderbetreuung in demselben Gebäude sind, direkt ein Stockwerk tiefer“, sagt sie. „Für die jungen Mütter ist das auch emotional eine große Hilfe.“

Text: Gunda Achterhold