Zusammenarbeit in Kriegszeiten

ukrainische Flagge weht im Wind

Millionen von Menschen sind nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine in andere Länder geflohen. Unter ihnen waren auch viele Forschende und Studierende. Ein Überblick über Unterstützungsangebote in Deutschland und deren Effekt.

Seit Beginn der russischen Invasion hat das ukrainische Hochschul- und Wissenschaftssystem schweren Schaden genommen: Beschädigte und zerstörte Universitätsgebäude und wissenschaftliche Infrastruktur sowie die Abwanderung von Forschenden und Studierenden sind nur einige Herausforderungen eines Landes im Krieg. Viele Studierende und Forschende haben die Ukraine Richtung Europa und speziell Deutschland verlassen und sind hier auf große Hilfsbereitschaft gestoßen. Der Krieg dauert an, und nach rund zwei Jahren ist es Zeit für einen ersten Rückblick auf die Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen ukrainischer und deutscher Wissenschaft.

Hilfe in der akuten Krise

Nach Beginn des russischen Angriffs und der folgenden Flucht ukrainischer Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierender nach Deutschland sahen sich auch die deutschen Hochschulen mit mehreren Herausforderungen konfrontiert: Sie wollten und mussten sehr schnell geflüchtete Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufnehmen und ihnen Unterstützung beim Spracherwerb, der Integration und der Entwicklung von Studien- oder Berufsperspektiven bieten. Die deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen legten in dieser Situation kurzfristig verschiedene Hilfsprogramme auf, viele Institutionen konnten sich dabei auf langjährige Beziehungen zur Ukraine stützen. Seit der russischen Annexion der Krim 2014 lagen zudem bereits Erfahrungen in der Online-Zusammenarbeit und in der Aufnahme exilierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor.

Konkrete Angebote und klare Bündelung

Zugleich wurde bereits kurz nach Russlands Überfall deutlich, dass die Vielzahl deutscher Hilfsangebote für Ukrainerinnen und Ukrainer einer zentralen Bündelung bedarf. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Kultusministerkonferenz richtete der DAAD im März 2022 dazu die Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine ein. Neben Hilfsangeboten stellt die Kontaktstelle auf ihrer Webseite Informationen zum Aufenthalt, Studium und zur Forschungstätigkeit in Deutschland bereit. Die Angebote für ukrainische Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierende decken dabei eine große Bandbreite ab: von Informations- und Beratungsprogrammen bis hin zu finanzieller Unterstützung und Stipendien. Seit dem Start der Webseite wurden über 200 Hilfsangebote aus ganz Deutschland veröffentlicht und rund 5.100 Anfragen von Ukrainerinnen und Ukrainern beantwortet.
 
Für den notwendigen schnellen Ausbau der Hilfsangebote nutzten die Hochschulen oftmals das DAAD-Programm Integra zur Integration geflüchteter Studierender. Auch Forschungseinrichtungen und Stiftungen richteten Programme für ukrainische Forschende ein: Diese reichen von finanziellen Hilfen über Forschungsaufenthalte bis hin zu Stellenangeboten und Mentoring-Programmen. Insbesondere kurz nach dem russischen Angriff lag der Fokus der Angebote von Hochschulen dabei auf der finanziellen Förderung des Aufenthalts, zumeist mit Förderdauern von wenigen Monaten bis zu einem Jahr. Neben der finanziellen Unterstützung stand die Orientierung der geflüchteten Forschenden im deutschen Wissenschaftssystem mit seinen Fördermöglichkeiten im Fokus. Hier erwiesen sich Mentoringprogramme wie das der „Jungen Akademie“ als sehr hilfreich, da sie über die verschiedenen Unterstützungsangebote in der deutschen Forschungslandschaft informieren, eine grundsätzliche Einführung in das deutsche Wissenschaftssystem geben und fachspezifische Beratung anbieten.

Dr. Ursula Paintner ist Direktorin Kommunikation des DAAD und leitet die Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine.

Unterstützung vor Ort notwendig

Nach einer gewissen Zeit zeigte sich, dass neben individueller Förderung institutionelle Kooperationen zum Erhalt des ukrainischen Bildungs- und Wissenschaftssystems unerlässlich sind. Dazu wurde beispielsweise die „Cologne Bonn Academy in Exile“ gegründet, die eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und ukrainischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fördert. Auch das 2022 gestartete DAAD-Programm Ukraine digital stärkt die Kooperation deutscher und ukrainischer Hochschulen, um Studiengänge im Land zu digitalisieren und so auch im Krieg aufrechtzuerhalten. Mit dem Andauern des Krieges wird zudem die Notwendigkeit des Erhalts von Netzwerken deutsch-ukrainischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutlich: Institutionen wie die Alexander von Humboldt-Stiftung oder Bayhost bieten verschiedene Möglichkeiten, um geflüchtete Forschende untereinander und mit den in der Ukraine verbleibenden Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu bringen. In der Ukraine besteht dabei weiterhin die Sorge vor dem Abwandern einer ganzen Wissenschaftsgeneration und den Folgen für Bildung und Wissenschaft. Erste Ansätze wie das 2023 auf Initiative des Wissenschaftskollegs zu Berlin gegründete „Virtual Ukrainian Institute for Advanced Study“ fördern Fellowships in der Ukraine, um einem möglichen Braindrain entgegenzuwirken.

Versuch einer ersten Bilanz 

Rund zwei Jahre nach dem russischen Angriff lassen sich erste Rückschlüsse aus den Unterstützungsangeboten ziehen: So war die erste Reaktion des deutschen Wissenschaftssystems direkt nach Kriegsausbruch von einer beeindruckenden Unterstützungsbereitschaft, von Flexibilität und einem hohen Lösungstempo für vielfältige Herausforderungen – vom Aufenthaltsrecht bis zur Finanzierung – geprägt. Mit dem schrittweisen Übergang von kurzfristiger Hilfe zu langfristigen Wiederaufbauplänen, von der Integration von Geflüchteten zum partnerschaftlichen Engagement vor Ort, wird deutlich, dass die Solidarität von deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen trägt. Auch zwei Jahre nach Beginn des Krieges stellen sich ukrainische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterhin gemeinsam den Herausforderungen einer Zusammenarbeit in Kriegszeiten.

Zugleich sollten diese erfreulichen Befunde nicht über bestehende Herausforderungen hinwegtäuschen: Die sprachliche Integration geflüchteter Forschender und Studierender in Deutschland bleibt schwierig. Auch eine längerfristige Finanzierung vieler Unterstützungsprogramme ist weiterhin ungeklärt. Zumal die oftmals kurzen Förderzeiträume ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu zwangen, übermäßig viel Zeit für die Suche nach weiterer Finanzierung zu investieren. Zugleich besteht das Problem des sogenannten „Braindrains“ in der Ukraine weiterhin – obwohl es klare Maßgabe deutscher Unterstützung ist, einer Verschärfung der Lage im ukrainischen Wissenschaftssystem entgegenzuwirken. Auch in Deutschland konnten nicht für alle Zielgruppen gleich gute Lösungen gefunden werden: Studierende konnten rasch BAföG beantragen, für Promovierende besteht diese Möglichkeit nicht, und viele Nachwuchsforschende sahen sich mit dem Auslaufen der ersten, kurzfristigen Unterstützung mit großen finanziellen Herausforderungen konfrontiert.

Zugleich entwickeln die deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ihr Engagement in Rücksprache mit ukrainischen Partnern kontinuierlich weiter. Der Übergang von der Unterstützung Geflüchteter zu Konzepten für den Wiederaufbau ist nur der erste Schritt. Mit Blick auf den andauernden Krieg werden weitere folgen müssen.

Aus der Ukraine selbst wird die Bedeutung eines intakten Wissenschaftssystems für eine demokratische Zukunft des Landes geäußert. Neben der Wiederherstellung der zerstörten Infrastruktur wird der Fokus daher auf der weiteren internationalen Zusammenarbeit liegen, und darauf, die erzwungene internationale Erfahrung des Exils für die Ukraine nutzbar zu machen.

Das ukrainische Hochschulsystem

Mit rund 300 tertiären Bildungseinrichtungen und einer Immatrikulationsquote von über 80 Prozent spielt Hochschulbildung in der Ukraine eine wichtige Rolle. Seit 2005 ist das Land Teil des Bologna-Raums und arbeitet kontinuierlich daran, das Bildungssystem zu modernisieren. Der russische Angriff bedeutet einen herben Rückschlag: Laut ukrainischen Angaben sind mindestens zehn Prozent der Bildungseinrichtungen des Landes schwer beschädigt, darunter mehr als 80 Hochschulen. Zuletzt wurde im Januar das Hauptgebäude der Kharkiv Karazin Universität teilweise zerstört. Auch Forschungseinrichtungen und Labore im Land sind von der Zerstörung betroffen.

Dr. Ursula Paintner (03. April 2024)
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in „Forschung & Lehre“.

 

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