Perspektiven für die Ukraine

Studierende des Bachelorstudiengang „UkrMath“ an der Universität Würzburg

Viele Geflüchtete aus der Ukraine studieren an deutschen Hochschulen – ein Weg, auf dem es einige sprachliche und bürokratische Hürden zu überwinden gibt. Das DAAD-Programm Zukunft Ukraine bietet ukrainischen Studierenden langfristige Perspektiven: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten können bis zum Abschluss in Deutschland studieren, aber auch nach einer Rückkehr an ihre Heimathochschule in der Ukraine weiter gefördert werden. 

Dank des Stipendiums habe sie nun endlich wieder ein echtes Studentinnenleben, sagt Yana Kolodach: „Ich besuche Präsenzvorlesungen und Übungen zusammen mit anderen Studierenden, kann die wunderbare Bibliothek nutzen und lerne Deutsch im Zentrum für Sprachen.“ Die heute 19-Jährige, die zahlreiche Preise bei ukrainischen und internationalen Mathematik-Olympiaden gewonnen hat, studiert seit Herbst 2022 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Als die russischen Truppen die Ukraine überfielen, hatte sie sich gerade erst an der Taras Shevchenko National University of Kyiv eingeschrieben. „Für mein Land und mich begann eine schreckliche Zeit. Russische Truppen waren rund um Kyjiw stationiert, am Himmel explodierten Bomben, Freunde und Bekannte kamen ums Leben.“ Nach ihrer Flucht nach Nürnberg konnte sie an Onlinekursen ihrer Universität teilnehmen, vermisste aber den direkten Austausch im Präsenzstudium. Dann wurde sie auf ein besonderes Angebot der JMU aufmerksam: den Bachelorstudiengang „UkrMath“, in dem alle Lehrveranstaltungen im ersten Jahr in ukrainischer Sprache stattfinden. 

Initiiert wurde „UkrMath“ von Professor Sergey Dashkovskiy und zwei weiteren ukrainischen Lehrenden am Institut für Mathematik der JMU. Wegen der nur elfjährigen Schulzeit in der Ukraine sind Studieninteressierte, die noch nicht oder erst kurze Zeit studiert haben, in der Regel verpflichtet, ein Studienkolleg besuchen, bevor sie an einer deutschen Hochschule zugelassen werden. Zudem fehlen den allermeisten die nötigen Deutschkenntnisse. „Diese jungen Leute müssen einen enormen Zeitverlust in Kauf nehmen, bevor sie in Deutschland studieren dürfen, was sehr frustrierend ist“, sagt Dashkovskiy. „UkrMath“ ermöglicht dagegen einen direkten Einstieg ins Studium. Die derzeit 15 Studierenden haben neben den Fachmodulen zwanzig Stunden Deutschunterricht pro Woche.  Ab dem Wintersemester 2023/2024, wenn der zweite Jahrgang aufgenommen wird, sollen sie nach und nach auch an Lehrveranstaltungen in deutscher Sprache teilnehmen.
 

Die 19-jährige Ukrainerin Yana Kolodach studiert seit Herbst 2022 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Das Programm Zukunft Ukraine sei eine große Hilfe, meint Sergey Dashkovskiy: „Die Geförderten sind finanziell unabhängig und stärker motiviert.“ Von großer Bedeutung ist auch die mit dem Stipendium verbundene Änderung des Aufenthaltsstatus. Denn für Geflüchtete, die Sozialleistungen erhalten, ist ein Wohnortwechsel mit Schwierigkeiten verbunden. Auch Yana Kolodach war es nur dank der Förderung möglich, sich vom Jobcenter abzumelden und nach Würzburg umzuziehen: „Das Stipendium war meine Rettung!“

Unterbrechung von Bildungsbiografien verhindern

Das Programm helfe, lange Unterbrechungen in Bildungsbiografien zu verhindern, sagt die Leiterin des zuständigen DAAD-Referats Kooperationsprojekte in Europa, Südkaukasus und Zentralasien, Susanne Lüdtke: „Die Geförderten sollen bestmöglich in die Lage versetzt werden, ihr Studium abzuschließen und später den Wiederaufbau von Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in der Ukraine mitzugestalten.“ Neben Sprachkursen werden auch Betreuungsprogramme der Hochschulen gefördert – von Vorträgen, Diskussionen und Kulturveranstaltungen bis zu Exkursionen und Praktika. So plant beispielsweise die Hochschule Anhalt im Rahmen ihres Projekts Zukunft Ukraine „Future Innovation Talents 4 Ukraine“ (FIT4Ukraine) für Sommer und Herbst 2023 eine Reihe von Exkursionen, Werksbesuchen und anderen Veranstaltungen. „Ziel ist, dass die Studierenden Kontakte zu unseren Partnern in Deutschland und in der Ukraine knüpfen können. Dieses Netzwerk soll ihnen auch nach ihrer Rückkehr in die Ukraine nützen“, sagt die Leiterin des Akademischen Auslandsamts der Hochschule Anhalt, Anne Beer. 

Die Hochschule Anhalt arbeitet wie auch die JMU seit vielen Jahren eng mit ukrainischen Universitäten zusammen. Bei Kriegsbeginn stand ein Praktikumsprojekt für Studierende aus Kyjiw und Odesa unmittelbar bevor. „Alle Flüge waren abgesagt worden. Wir wollten ein positives Signal setzen und haben die Studierenden und ihre Angehörigen per Bus an der slowakischen Grenze abgeholt“, erinnert sich Anne Beer. Die Hochschule richtete einen Krisenstab ein, der eng mit den regionalen Behörden zusammenarbeitete, und bot ein Überbrückungssemester mit Deutschkursen und Fachmodulen an. Heute sind rund 80 Geflüchtete aus der Ukraine als reguläre Studierende an der Hochschule Anhalt eingeschrieben. 

Interesse an deutschen Lehrmethoden

Die zehn Geförderten im Projekt „FIT4Ukraine“ wurden in einem Ideenwettbewerb ausgewählt. Halyna Huzenko bewarb sich erfolgreich mit einem Projekt zu Schwachstellen in Blockchain-Technologien, die sie in einer Datenbank sammeln und analysieren will. Die 21-Jährige studiert am Standort Köthen im vierten Semester Angewandte Informatik – Digitale Medien und Spieleentwicklung. Tagsüber studiert sie, abends geht sie zum Deutschkurs. „Das ist anstrengend, aber auch toll. Früher dachte ich, ich könnte nicht gut Sprachen lernen – aber jetzt habe ich gemerkt, dass es doch geht!“

 

Die 21-jährige Ukrainerin Halyna Huzenko schätzt an der Hochschule Anhalt vor allem die Projektarbeit.

Vor ihrer Flucht war Halyna Huzenko, die früher an der National Technical University of Ukraine „Igor Sikorsky Kyiv Polytechnic Institute“ studierte, noch nie im Ausland gewesen. Das Studium in Deutschland findet sie sehr interessant: „In der Ukraine sind lange Vorträge der Professoren üblich. Hier ist es viel einfacher, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Es macht mir auch Spaß, in Projektarbeiten zusammen mit anderen Studierenden etwas zu planen und zu entwickeln.“ Für 2025 plant Halyna Huzenko ihren Bachelorabschluss an der Hochschule Anhalt. „Ich könnte mir vorstellen“, meint sie, „später als Dozentin in der Ukraine zu arbeiten und die deutschen Lehrmethoden dann selbst anzuwenden.“

(Miriam Hoffmeyer, 4. Juli 2023)