Potsdams digitale Universität

Potsdams digitale Universität

In zwei neuen Netzwerkprojekten treibt die Universität Potsdam die Gründung einer europäischen Universität mit digitalen Mitteln voran.

Von Klaus Lüber

Anfang März 2020 fand in Istanbul die Bildungsmesse Eurasia Higher Education Summit (EURIE) statt. Mit vertreten war auch eine Delegation der Universitäten Potsdam, Paris Nanterre, Pécs aus Ungarn und Cagliari aus Italien, die das Hochschulnetzwerk EDUC – European Digital UniverCity vorstellten. Insgesamt sechs Universitäten aus Deutschland, Frankreich, Italien, Tschechien und Ungarn hatten sich 2019 zu der Allianz zusammengefunden, um das von der EU entwickelte Konzept einer länderübergreifenden Europäischen Universität voranzutreiben. „Für viele Messebesucher war es zunächst etwas irritierend, über unserem Stand den Schriftzug Europa zu lesen. Normalerweise wird dort ja immer ein spezifisches Land angegeben“, erinnert sich EDUC-Projektmanagerin Dr. Katja Jung von der Universität Potsdam, die das Konsortium federführend leitet. „Das hat mir dann noch einmal vor Augen gehalten, wie revolutionär das ist, was hier passiert.“

Durch die Vereinheitlichung von Studien­gängen haben wir eine wichtige Grundlage für mehr Mobilität geschaffen

Das ist nicht übertrieben. EDUC, so heißt es im Mission Statement des Projektes, habe kein geringeres Ziel als die Gründung einer voll integrierten Europäischen Universität mit Studierenden, Forschenden und Verwaltungsmitarbeitern, die an verschiedenen Hochschulen lernen und arbeiten, unabhängig von der Größe, Sprache und fachlichen Ausrichtung. Dies möglichst ohne administrative, kulturelle und soziale Hindernisse und damit durchaus im Sinne einer Vertiefung des Bolognaprozesses, wie Jung erklärt. „Natürlich haben wir durch die Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen eine wichtige Grundlage für mehr Mobilität unter Studierenden geschaffen“, so Jung. „Was aber nach wie vor noch nicht gut funktioniert, ist die Harmonisierung der Anerkennung von Leistungsnachweisen – obwohl das eines der Kernziele der Bolognareformen war.“

Schwerpunkt Digitalisierung

Unter anderem hier will das Netzwerk EDUC, das als eine von 17 Allianzen bis Herbst 2022 im Rahmen des EU-Programms „Europäische Hochschulen“ gefördert wird, ansetzen. Und zwar mithilfe der Digitalisierung, die sie als European Digital UniverCity bereits im Namen trägt und den thematischen Schwerpunkt des Netzwerkes bildet. „Studierende sollen in Zukunft die Möglichkeit haben, nach einem Semester im Ausland Leistungspunkte über eine digitale Plattform automatisch anrechnen zu lassen, statt den mühsamen Weg über die Hochschulverwaltung gehen zu müssen.“ Zu diesen „digitalen Services“, eines von drei formulierten Hauptzielen der Hochschulallianz, gehört auch die Zuarbeit beim Projekt eines europäischen Studierendenausweises. Nachweis des Studierendenstatus, der Besuch der Mensa, der Zugriff auf die Bibliothek, die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs – all dies soll für Studierende im Auslandssemester zentral über eine Chipkarte organisiert werden können. „Wir wollen im Rahmen unseres Netzwerks im Förderzeitraum einen Testfall schaffen, um zu klären: Was kann und sollte ein solcher Service leisten? Und wo werden die Daten gespeichert?“, so Jung.

Zwei weitere wichtige Themen sollen die virtuelle Lehre sein, mit dem Ziel, Lehraktivitäten unter den einzelnen Teilnehmenden des Netzwerkes immer stärker zu vernetzen und damit zusammenhängend die Etablierung einer sogenannten virtuellen Mobilität, etwa über die Zusammenstellung internationaler Peer-Learning-Groups bei der Bearbeitung spezifischer Studienmodule. „In zehn Jahren soll es Studierenden im Rahmen unserer europäischen Allianz möglich sein, Zeitraum, Ort und Inhalt ihres Studiums weitgehend selbst zu bestimmen“, so der Vizepräsident für Internationales, Alumni und Fundraising der Universität Potsdam, Professor Florian Schweigert. So werde eine neue Qualität der Zusammenarbeit in Lehre und Forschung erreicht.

EDUC lebt aus der Diversität der Kompetenzen und Schwerpunkte der Partner

Durchaus von Vorteil hierbei dürfte es sein, dass die Universität Potsdam sich auch im Rahmen eines weiteren Projektes stark engagiert, das sich den Chancen der Digitalisierung für den Hochschulbetrieb verschrieben hat. Aus dem sogenannten „Digital Education Action Plan“ der Europäischen Kommission entstand 2018 das Forschungsnetzwerk „Online Pedagogical Resources for European Universities“ (OpenU). Ziel ist die Schaffung ei­ner gemeinsamen digitalen Infrastruktur, um Lehre und Lernen, Kooperationen und Mobilität digital zu stärken, Grenzen abzubauen und die Internationalisierung europäischer Hochschuleinrichtungen digital weiterzuentwickeln. Zu den Förderern gehört auch der DAAD, der die Universität Potsdam zudem im Rahmen des nationalen Begleitprogramms zur EU-Initiative „Europäische Hochschulen“ unterstützt.

Kompetenzen bündeln

Das EDUC-Netzwerk baut auf langjährigen Lehr- und Forschungskooperationen zwischen den Hochschulen auf, die ein starkes internationales Forschungsprofil und regionales Engagement eint. Diese Kompetenzen der Universitäten sollen gebündelt werden. „Die tschechische Masaryk Universität in Brno verfügt über Expertise in der barrierefreien Mobilität von Studierenden, die ungarische Universität Pécs unterhält intensive Beziehungen zu regionalen Unternehmen und die italienische Universität Cagliari hat Erfahrungen, wie Studierende stärker in Forschung eingebunden werden können“, wie Professorin Sonia Lehman-Frisch, Vizepräsidentin Internationales der Universität Paris Nanterre zusammenfasst. Ihre eigene Universität habe sich auf die digitale Lehre spezialisiert und die Universität Rennes I sei bekannt für die Entwicklung virtueller Lernszenarien. „EDUC lebt aus der Diversität der Kompetenzen und Schwerpunkte der Partner“, so Lehman-Frisch. Das Netzwerk umfasst 160.000 Studierende sowie 20.000 Lehrende und Mitarbeitende in Technik und Verwaltung.

Was die Kernkompetenz der Universität Potsdam im Netzwerk angeht, hat Florian Schweigert eine klare Position: „So jung die Universität Potsdam ist, wir gehören zu den ‚alten Hasen‘, wenn es um die Digitalisierung geht. Dank verschiedener Vorgängerprojekte verfügen wir über Lösungen und Erkenntnisse beim Aufbau einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur, die wir nun erfolgreich in den Verbund einbringen können.“ Die Digitalisierung sei zu Recht Kernthema und Antriebsmittel der Allianz: „Wir sind überzeugt, dass sie unverzichtbar ist, um die Flexibilität und Qualität von Lehren und Lernen zu verbessern, um Menschen und Dienstleistungen effektiv miteinander zu verbinden und um innovative Mobilitätsszenarien zu verwirklichen.“