Wie digitale Angebote den Austausch flexibler gestalten
Vor der Coronapandemie fand der internationale Austausch an deutschen Hochschulen nur selten digital statt. Dabei macht es durchaus Sinn, die akademische Mobilität digitaler zu gestalten und damit auch die eigene Hochschulstrategie weiterzuentwickeln.
In Sachen virtueller Austausch ist Regina Brautlacht so etwas wie ein Early Adopter. Bereits 2018 – also noch vor der Coronapandemie – wurde sie „Präsidialbeauftragte für digitale Internationalisierung“ an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Hinter dem offiziellen Titel steht eine ebenso innovative wie naheliegende Idee. „An unserer Hochschule gehen rund 90 Prozent der Studierenden nicht ins Ausland. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von familiären Verpflichtungen bis hin zu finanziellen Hürden. Mit der virtuellen Mobilität geben wir ihnen eine Chance, internationale Erfahrungen zu sammeln“, erklärt Brautlacht. Deshalb sei die digitale Internationalisierung ein wichtiger Teil der Hochschulstrategie.
Die Bandbreite dieser Projekte ist inzwischen groß. In den Ingenieurwissenschaften gibt es beispielsweise sogenannte Remote Labs zum Thema Autonomes Fahren. Dabei tauschen sich die Forschenden und Studierenden mit Kolleginnen und Kollegen von den internationalen Partnerhochschulen aus und setzen gemeinsam Projekte um. Auch bei Lehrveranstaltungen und Ringvorlesungen ist die Zahl der Lehrenden aus dem Ausland gestiegen. „Dank Videokonferenzen können wir renommierte Forschende viel leichter für Gastvorträge gewinnen. Das kommt auch unseren Studierenden zugute“, sagt Brautlacht.
Interkulturelle Erfahrungen dank virtuellem Austausch
Durch eine Projektförderung des DAAD im Rahmen des Programms International Virtual Academic Collaboration (IVAC) konnte zudem ein neues virtuelles Mobilitätsprogramm für den englischsprachigen Masterstudiengang Marketing eingerichtet werden: Bei „Becoming an International Negotiator“ (BAIN) kooperiert die Hochschule mit der University of Cape Coast in Ghana und der University of Nairobi in Kenia. Gemeinsames Ziel ist es, digitale Lernumgebungen für interkulturelle Praxiserfahrungen zu entwickeln. So verhandeln Studierende beispielsweise online über den Markteintritt einer fiktiven Firma in Afrika oder Europa. „Damit ermöglichen wir den Studierenden wichtige interkulturelle Erfahrungen, von denen sie später im Berufsleben profitieren. Die Zusammenarbeit mit Remote-Teams auf der ganzen Welt oder Verhandlungen mit ausländischen Kunden gehören später sicher zu ihrem Berufsalltag“, sagt Regina Brautlacht. Eine Konkurrenz zum klassischen Austausch sieht sie in den neuen Angeboten nicht. Es gehe nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. So gehören zur Kooperation mit den Hochschulen in Ghana und Kenia auch gemeinsame Summer Schools in Deutschland und in Afrika.
Es braucht hochschulweite Strategien
Der DAAD fördert das große Potenzial der digitalen Internationalisierung mit entsprechenden Austauschprojekten an deutschen Hochschulen. Dafür wurden mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eigens drei digitale Förderprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt (Details siehe Infokasten): Internationale Mobilität und Kooperation Digital (IMKD), Internationale Programme Digital (IP Digital) und International Virtual Academic Collaboration (IVAC). Wie wichtig solche Impulse für das deutsche Hochschulsystem sind, zeigen die Evaluationsberichte zu den drei Programmen. Die großen Querschnittsthemen Digitalisierung und Internationalisierung sind an vielen Hochschulen noch zu wenig miteinander verknüpft. Auf dem Weg dorthin sind die DAAD-geförderten Projekte „Testlabore“ für neue Lern- und Lehrformate und helfen dabei, neue Netzwerke im Ausland zu knüpfen.
Natürlich sind auch ganz praktische Herausforderungen zu meistern – zum Beispiel, wie digitale Lernangebote möglichst interaktiv gestaltet werden können, um einen möglichst regen Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden zu initiieren. Die reine Bereitstellung von Video-Vorlesungen oder die Erstellung von Lernvideos mit kurzen Frage-Antwort-Spielen können dabei nur ein Teil der Lösung sein. Vielmehr geht es darum, die bestehende Präsenzlehre durch neue Blended-Learning-Formate sinnvoll zu ergänzen. Gleiches gilt für andere für den internationalen Austausch wichtige Formate wie Onboarding-Veranstaltungen oder Sprachkurse. Und nicht zu vergessen: Mittelfristig müssen die gewonnenen Erkenntnisse auch in Strategien für die gesamte Hochschule überführt und geeignete Rahmenbedingungen für digitale Formate geschaffen werden – von Ansprechpartnern für didaktische Konzepte über passende Content-Plattformen bis zu technischem Support für die Lehrveranstaltungen.
Digital die Attraktivität des Studienstandorts Deutschland stärken
So hat die Evaluation der drei DAAD-Programme auch gezeigt, dass in der digitalen Internationalisierung von Studium und Lehre große Chancen liegen, die Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland für internationale Studierende zu stärken und ein positives Deutschlandbild zu vermitteln. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt an der Universität Osnabrück. Der internationale Studiengang „Cognitive Science“ ist ein interdisziplinärer Querschnitt aus Informatik, Neurowissenschaften und Geisteswissenschaften. Seit 25 Jahren zieht er Studierende aus aller Welt an. Mit Unterstützung des DAAD wurde 2020 ein Onlinezugang zum regulären Masterprogramm geschaffen: Im ersten „Onlinejahrgang“ sind zum Beispiel Studierende aus China, Indien, Iran und den USA vertreten. Vor-Ort- und Online-Studierende besuchen die gleichen Lehrveranstaltungen, arbeiten gemeinsam an Projekten und erbringen ähnliche Studienleistungen.
Die oft asynchrone Verknüpfung beider Welten sei manchmal eine Herausforderung, berichtet der Leiter des DAAD-geförderten Online-Projektes und Geschäftsführer des Instituts für Kognitionswissenschaft Dr. Tobias Thelen: „Wir müssen darauf achten, die Onlinestudierenden aktiv in die Präsenzveranstaltungen einzubinden. Außerdem braucht es digitale Austauschformate für Gruppenarbeiten, die über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg funktionieren.“ Insgesamt habe man wertvolle Erfahrungen in der digitalen Lehre gesammelt. Die ersten Studierenden schreiben bereits ihre Abschlussarbeiten. Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem Präsenzstudium profitieren ebenfalls von den Erfahrungen und Angeboten, etwa wenn sie während eines Auslandspraktikums oder einer Weltreise weiterstudieren können. Ein spannender Testballon war in den vergangenen drei Jahren auch der virtuelle Austausch außerhalb der Lehrveranstaltungen. Dazu wurden beispielsweise die Informationsveranstaltungen der Welcome Week online übertragen und digitale Stadtrallyes, offene Sprechstunden oder Game Nights veranstaltet. Außerdem habe man mit Newslettern und Artikelsammlungen versucht, den Onlinestudierenden ein möglichst breites Bild von Deutschland und Osnabrück zu vermitteln, berichtet Thelen. Das kann besondere Strahlkraft entwickeln: Zu den Summer und Spring Schools haben sich einige Onlinestudierende auf den Weg nach Osnabrück gemacht.
Birk Grüling (14. August 2023)