Frankreich: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Insgesamt ist das französische Hochschulsystem durch einen ausgeprägten Dualismus zwischen einem offenen, mit egalitärem Anspruch versehenen universitären Bereich einerseits und einer Vielzahl von stark selektiven Institutionen und Mechanismen andererseits geprägt. So steht die Schullaufbahn von Kindern und Jugendlichen häufig schon früh im Zeichen des Bemühens, durch strategische Entscheidungen und gute Leistungen den Grundstein für den Zugang zum privilegierten Sektor der Hochschulausbildung zu legen.

Die französische Hochschullandschaft zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Vielfalt an Hochschularten aus. Hierbei bieten die staatlichen universités das breiteste Fächerspektrum und verbinden, allerdings in der Regel erst ab der Promotion, Forschung und Lehre. Neben dem Gros der klassischen universitären Studiengänge bieten die Universitäten in angegliederten Instituten (instituts universitaires de technologie, IUT) eine Reihe von technischen Kurzstudiengängen an. Vergleichbare zweijährige Kurzstudiengänge gibt es auch an bestimmten Zweigen der lycées (sections de technicien supérieur, STS). Im Gegensatz zu den Universitäten sind die grandes écoles meist auf eine oder wenige Fachrichtungen spezialisiert (wie die écoles d’ingénieur oder die écoles de commerce). Eine größere Anzahl von ihnen befindet sich in privater beziehungsweise öffentlichrechtlicher Trägerschaft (zum Beispiel Berufsverbände oder Industrie- und Handelskammern). An lycées (Gymnasien) angesiedelte, aber dennoch dem Hochschulbereich zuzurechnende sogenannte classes préparatoires bereiten in zwei Studienjahren nach dem baccalauréat auf die Aufnahmeprüfungen in diesen grandes écoles vor. Das Angebot wird ergänzt durch eine Reihe von Hochschuleinrichtungen im Bereich Kunst, Musik und Architektur. Eine fast unüberschaubare Anzahl kleinerer Hochschulen bietet meist zweijährige Kurzstudiengänge in Bereichen an, die in Deutschland eher der Berufsausbildung zuzuordnen wären (zum Beispiel Krankenpfleger/Krankenschwester, Fremdsprachensekretär/in, Notariatsgehilfe/in oder Optiker/in).

Das Studium an Universitäten gliedert sich, wie in Deutschland, in einen ersten dreijährigen Studienzyklus, der mit der licence abschließt, und einen darauffolgenden zweijährigen Studienzyklus, der zum master führt. Der Zugang zur licence ist für Inhaber des baccalauréat, des französischen Abiturs, kaum reglementiert, wobei die Zahl der Studienabbrecher im Laufe der ersten drei Studienjahre sehr hoch ist. Die bisherige Praxis, Studierende nicht vor Beginn des Masterstudiums, sondern zwischen erstem und zweitem Masterjahr auszuwählen, war ein Überbleibsel aus der Zeit vor der Bologna-Reform und wurde, nachdem Studierende verschiedentlich mit Erfolg dagegen geklagt hatten, bereits zum Hochschuljahr 2017/2018 eingestellt. Seither werden auch in Frankreich, der Logik des Bologna-Schemas entsprechend, Studierende zu Beginn des weiterführenden Masterstudiums ausgewählt – mit nur wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel in Psychologie und Jura, wo es in vielen Fällen auch weiterhin eine Selektion für den M2 geben wird. Grund ist, dass das 5. Studienjahr Psychologen zur Ausübung eines reglementierten Berufs führt, während Juristen nach dem 4. Studienjahr entscheiden, in welche Richtung sie sich spezialisieren.

Die Regelung enthält allerdings eine Garantie für jeden Inhaber einer licence, zu einem Masterprogramm zugelassen zu werden. Erhält ein Kandidat auf seine Bewerbungen kein Studienplatzangebot, kann er sich an den obersten Verwaltungsbeamten des jeweiligen Bildungsverwaltungsbezirks, den recteur d‘académie wenden, an dem er die licence erworben hat. Dieser ist verpflichtet, ihm drei Studienplätze vorzuschlagen, einen davon an seiner Heimatuniversität. Aus Sicht der forschungsstarken Universitäten Frankreichs geht die Neuregelung nicht weit genug. Sie fordern, ihre Studierenden wie die selektiven grandes écoles zu einem früheren Zeitpunkt, am besten schon vor Aufnahme des Studiums, einem Auswahlverfahren unterziehen zu dürfen.

Nach erfolgreichem, entsprechend qualifizierendem master kann ein dreijähriges doctorat angeschlossen werden. Eine zunehmende Zahl an Doktoranden erhält einen auf drei Jahre angelegten Arbeitsvertrag (contrat doctoral) mit einer attraktiven Vergütung, die aus einem Grundbetrag in Höhe von 1.684,93 Euro (05/2020) brutto besteht, gegebenenfalls zuzüglich einer Vergütung für Lehrtätigkeit. Nach dem Willen des zuständigen französischen Ministeriums, untermauert durch ein Dekret vom 23. April 2009, soll die überwiegende Mehrzahl der Doktoranden in den Genuss eines solchen Beschäftigungsverhältnisses kommen. Andere Formen der Promotionsfinanzierung sollen tendenziell verschwinden. Die Versorgung der Doktoranden mit Arbeitsverträgen liegt allerdings in der Verantwortung der einzelnen Institutionen. Für die Auswahl der Kandidaten und die Einwerbung zusätzlicher Mittel sind an den französischen Universitäten die écoles doctorales zuständig. Jeder Doktorand ist in eine école doctorale eingeschrieben, die eine fachliche Betreuungsstruktur bietet, aber vor allem für die Mittelvergabe und die Kontrolle von Leistungen zuständig ist.

Studium an den grandes écoles folgt bis heute, ungeachtet der Bolgona-Reform, seinem traditionellen Schema: Nach zwei Vorbereitungsjahren in den classes préparatoires, die an lycées, manchmal auch an grandes écoles selbst stattfinden, unterzieht sich der Kandidat einem strengen Auswahlverfahren. Bei Erfolg wird das Studium an einer grande école fortgesetzt, die nach drei weiteren Studienjahren ihren eigenen Abschluss sowie den Grad des master verleiht. Eine Promotion kann im Anschluss, unter gewissen Voraussetzungen, in Kooperation mit Universitäten stattfinden.
Zwischen den verschiedenen Hochschultypen und Ausbildungsgängen besteht im Vergleich zu Deutschland eine hohe Durchlässigkeit. So ermöglicht der Quereinstieg über die sogenannte admission parallèle bei entsprechenden Leistungen den Wechsel ohne Studienzeitverlust zum Beispiel von der Universität an die grande école, vom Kurzstudiengang ins universitäre Studium oder von der Vorbereitungsklasse an die Universität.

An staatlichen Hochschulen müssen jährlich Einschreibegebühren entrichtet werden, die sich von 170 Euro (licence) über 243 Euro (master) bis zu 380 Euro (doctorat) bewegen. Diese Gebühren gelten neuerdings, mit leichten Abweichungen, auch in medizinischen und vielen paramedizinischen Studiengängen, in denen bisher höhere Beiträge zu entrichten waren. An den dem MESRI unterstehenden staatlichen Ingenieurhochschulen werden 601 Euro erhoben; anderen Ministerien unterstellte staatliche Ingenieurhochschulen erheben sogar Gebühren zwischen 2.500 und 5.500 Euro. An staatlichen Konservatorien und Kunsthochschulen müssen bis zu 500 Euro gezahlt werden.

Private Einrichtungen erheben ohnehin weit höhere Gebühren als staatliche. So sind für ein Studium an Business Schools (écoles de commerce) hohe Gebühren zu bezahlen, besonders die renommierten Einrichtungen haben ihren Preis: So kostet das Studium an den auch international einen hervorragenden Ruf genießenden Hochschulen ESSEC und HEC rund 15.000 Euro, für Masterprogramme werden sogar bis zu 30.000 Euro verlangt. An privaten Ingenieur- und Architekturhochschulen belaufen sich die Studiengebühren auf bis zu 6.000 Euro, an der bekannten Pariser Politikhochschule Sciences Po auf bis zu 24.000 Euro (allerdings gestaffelt nach Studienzyklus beziehungsweise sozialen Kriterien).

Wie in Deutschland findet auch in Frankreich Forschung zu erheblichen Teilen im außeruniversitären Sektor statt. An erster Stelle steht hier das Centre national de recherche scientifique (CNRS), ein dem französischen Hochschul- und Forschungsministerium MESRI unterstellter Zusammenschluss einer Vielzahl von universitären und nicht-universitären Forschungseinrichtungen und Labors. Das CNRS ist mit fast 32.000 Mitarbeitern, darunter je gut einem Drittel Wissenschaftler und Ingenieure, sowie einem Budget von 3,4 Mrd. Euro (2018) die größte öffentliche Forschungseinrichtung nicht nur Frankreichs, sondern sogar Europas. Hinzu kommen zahlreiche fachlich spezialisierte Forschungsinstitutionen wie das INSERM (Gesundheit) oder das INRA (Landwirtschaft). Die der DFG vergleichbare Agence nationale de la recherche (ANR) fördert Wettbewerb und Internationalisierung durch gezielte thematische Ausschreibungen. Im Zuge der staatlichen Bemühungen um die Schaffung international wettbewerbsfähiger Forschungsuniversitäten, nicht zuletzt durch die Vergabe von Sondermitteln über die französische Exzellenzinitiaive, wird die traditionell eher schwach ausgestattete universitäre Forschung derzeit erheblich gestärkt.

So lässt sich in den letzten Jahren ein Rückgang der rein außeruniversitären Forschungseinheiten (unités propres) zugunsten von gemeinsam verantworteten Forschungsstellen (unités mixtes de recherche) verzeichnen. Diese sind in der Regel an Universitäten angesiedelt, werden aber von außeruniversitären Forschungsinstitutionen sowohl budgetär als auch personell mitgetragen. Daneben gibt es weiterhin rein universitäre Forschungseinheiten (équipes d’accueil). Ein Forum interdisziplinärer Forschung mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung und eine wichtige Anlaufstelle für in- und ausländische Sozial- und Kulturwissenschaftler ist die Fondation de la Maison des sciences de l'homme (MSH). Sie arbeitet mit verschiedenen Lehr- und Forschungseinrichtungen zusammen, veranstaltet Kolloquien und betreut zahlreiche wissenschaftliche Publikationen. Bereits im Jahre 1530 wurde das Collège de France gegründet, eine der ältesten und berühmtesten Bildungseinrichtungen Frankreichs. Es umfasst gegenwärtig 59 Lehrstühle, deren Forschungsprogramme sich weitgehend mit den Spezialgebieten der jeweiligen Lehrstuhlinhaber decken. Diese sind in der Regel herausragende Vertreter ihres Fachgebiets. Die Vorlesungen sind öffentlich.

Verfasser: DAAD-Außenstelle Paris

Der DAAD ist in Frankreich mit einer Außenstelle in Paris vertreten und unterhält mit derzeit 45 Lektoraten (darunter zehn Fachlektorate) das dichteste DAAD-Lektorennetzwerk weltweit.