Armenien: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Offiziellen Zahlen zufolge leben in Armenien 2,972 Millionen Einwohner. Armenien hat ein sehr ernst zu nehmendes Migrationsproblem. Allein im Jahr 2015 sollen laut armenischer Migrationsbehörde 43.438 Menschen das Land verlassen haben. Aufgrund des Geburtenrückgangs nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Krieges um Nagorno-Karabach wird sich der Bevölkerungsanteil der 15- bis 24-Jährigen bis 2025 im Vergleich zu 2005 nahezu halbieren, wodurch die Studierendenzahlen stark sinken. Schon jetzt ist ein deutlicher Rückgang zu spüren. Waren es im Wintersemester 2013/14 noch 100.800 Studierende, sank die Zahl im Wintersemester 2016/2017 auf 92.500. Im Wintersemester 2018/19 gab es ungefähr 80.477 Studierende. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich bei den Zahlen der Doktoranden. Gab es im Jahr 2004 noch etwa 1.490 Aspiranten, so waren es 2016 nur noch 1.202 und 2018 nur noch 985 Aspiranten.

Eine breit angelegte Untersuchung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2016 unter den 14- bis 29 jährigen Armeniern ergab, dass seinerzeit 30,6 Prozent dieser sogenannten „Independence Generation“ sicher oder höchstwahrscheinlich Armenien verlassen wollten. Die Hauptgründe dafür waren die Aussichten auf eine höhere Lebensqualität (35,6 Prozent), bessere Arbeitsmöglichkeiten (30,8 Prozent) sowie eine bessere Ausbildung (12,6 Prozent). Bei den möglichen Zielländern lag Deutschland auf Platz 4 (9,9 Prozent), nach Russland (36,3 Prozent), den USA (23,4 Prozent), Frankreich (13,2 Prozent) und neben Großbritannien (ebenfalls 9,9 Prozent). Zudem ist noch wichtig zu erwähnen, dass für diejenigen, die für eine bessere Ausbildung das Land verlassen wollten, die USA und europäische Länder die beliebtesten Destinationen waren, gefolgt von Russland auf Platz 3.

Aktuell hat allerdings die Revolution auch bei den Diaspora-Armeniern tiefe Eindrücke hinterlassen. So haben zum Beispiel viele armenische Geschäftsleute angekündigt, nun in Armenien investieren zu wollen und viele Auslandsarmenier, zum Beispiel in Russland, hoffen auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Auch die Tendenz, das Land verlassen zu wollen, ist nach der Revolution gesunken.

 

Bildung und Wissenschaft haben in Armenien seit jeher einen enormen Stellenwert. Armenien war insbesondere in der Zeit der Sowjetunion ein führender Wissenschafts- und Technologiestandort. Zwar sind nach dem Zusammenbruch der UdSSR viele Forschungsinstitute geschlossen worden und ein Großteil der Wissenschaftler arbeitet nun im Ausland, aber diese Traditionen sind im Land nach wie vor erkennbar. So gaben in der oben erwähnten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung insgesamt 79 Prozent der Schüler an, dass sie vorhaben, auch eine Hochschule zu besuchen. Ob Jugendliche eine Hochschule besuchen oder nicht, hängt unter anderem von den finanziellen Möglichkeiten der Familie ab, auch aufgrund der Studiengebühren in Armenien (siehe unten).

In sowjetischer Zeit gab es in Armenien eine Staatliche Universität (die jetzige Staatliche Universität Eriwan) und zahlreiche Institute ohne Promotionsrecht (zum Beispiel Institut für Linguistik, Institut für Architektur, Institut für Agrarwissenschaft). Diese Institute sind nach der Auflösung der Sowjetunion zu Universitäten mit Promotionsrecht ernannt worden, weshalb es in Armenien, vornehmlich in Eriwan, zahlreiche hochspezialisierte Universitäten gibt (Universität für Architektur, Universität für Ingenieurwissenschaft etc.).

Für bestimmte Fächer, zum Beispiel Medizin, sind Hochschulzugangsprüfungen vorgesehen. Diese Prüfungen werden landesweit durchgeführt. Der Hochschulzugang berechnet sich dann aus den Noten bestimmter Schulfächer und dem Testergebnis. Für das Studium der Sprachen gibt es in der Regel landesweite Sprachtests, die vor dem Hochschulzugang abgelegt werden müssen. Für einige Fächer wird jedoch lediglich aus den Schulnoten eine Vergleichsnote für den Hochschulzugang berechnet. Spezialisierte Hochschulen, wie beispielsweise die Musikhochschule, haben eigene Einstufungstests.

Staatliche Universitäten erhalten eine Teilfinanzierung von circa 20 Prozent vom armenischen Bildungsministerium. Der weitaus größte Teil des finanziellen Bedarfs wird jedoch über Studiengebühren gedeckt. Studiengebühren können von den Hochschulen eigenständig festgelegt werden und haben keinen Einfluss auf die Höhe der staatlichen Zuwendung. Staatliche Hochschulen finanzieren sich zu 80 Prozent über nichtstaatliche Gelder, private Hochschulen zu 93 Prozent.

Armenien ist ein Land, das traditionell sehr viel Wert auf Bildung legt. Trotz des geringen Einkommensniveaus besteht in der Bevölkerung eine hohe Bereitschaft zu Bildungsinvestitionen. Fast 90 Prozent aller Studierenden an staatlichen und privaten Hochschulen zahlen Studiengebühren, die mit durchschnittlich 1.000 Euro pro Jahr unverhältnismäßig hoch zum durchschnittlichen armenischen Einkommen von ungefähr 3.600 Euro pro Jahr liegen. Ein Teil der Studierenden an staatlichen Hochschulen erhält kostenlose, das heißt staatlich finanzierte Studienplätze. Die Vergabe erfolgt nach Leistungskriterien (ermittelt nach den Ergebnissen der Hochschuleingangsprüfung beziehungsweise dem Jahresnotenschnitt). Der Anteil der kostenlosen Studienplätze variiert je nach Hochschule und Studiengang. Zusätzlich erhalten die Studierenden mit kostenlosen Studienplätzen ein staatliches Stipendium in Höhe von jährlich 60.000 Armenischen Dram (AMD, circa 120 Euro) beziehungsweise 72.000 Armenischen Dram (AMD, circa 144 Euro, nur die besten zehn Prozent eines Jahrgangs).

Die Studiengebühren sind sehr unterschiedlich: Ausländische Hochschulen wie beispielsweise die Amerikanische Universität Armeniens verlangen ab circa 2.200 Euro pro Jahr, die sehr angesehene Staatliche Hochschule Eriwan durchschnittlich circa 900 Euro pro Jahr. Regionale Hochschulen außerhalb Eriwans verlangen 400 bis 700 Euro pro Jahr. Ausländische Studierende zahlen teilweise doppelt so hohe Studiengebühren wie inländische Studierende. Die Bildungsinvestitionen in Prozent der Regierungsausgaben sind in Armenien im regionalen Vergleich am höchsten. Zu bedenken ist hier jedoch, dass von den getätigten Investitionen der Großteil in den sekundären und primären Sektor fließt. Der tertiäre Sektor muss sich zum weitaus größten Teil über Gebühren finanzieren.

Trotz der sehr hohen Eigenfinanzierungsrate ist der staatliche Einfluss an Universitäten immer noch hoch. Jede Universität hatte bis vor kurzem ein Regierungsmitglied als Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rates (Lenkungsgremium der Universität). Die Curricula werden von den Hochschulen erstellt unter Beachtung sehr detaillierter staatlicher Vorgaben. Zu den Pflichtfächern für alle Studierenden gehören: Armenisch, Fremdsprachen, Armenische Geschichte und Zivilverteidigung.

Der seit dem 11. Mai 2018 amtierende neue Bildungsminister Arayik Harutyunyan hat es sich allerdings unter anderem zum Ziel gesetzt, mit einer neuen Hochschulgesetzgebung die oben genannten Verflechtungen zwischen Politik und Wissenschaft zu unterbinden.

Armenische Universitäten sind zwar noch größtenteils Lehrinstitutionen, Forschung wird an ihnen aber in einem wachsenden Umfang betrieben. Die Akademie der Wissenschaften erhält ihre Finanzierung direkt von der Regierung, während Universitäten ihre Forschungsaktivitäten über das Bildungs- oder Wirtschaftsministerium finanzieren. Hochschulen erhalten auf Basis von projektbezogenen Anträgen Forschungsgelder. Des Weiteren gibt es Forschungspreise für ausgezeichnete Forscher.

Im Jahr 2005 hat sich Armenien dem Bologna-Prozess angeschlossen und nahezu alle Studiengänge auf Bachelor (vier Jahre) und Master (zwei Jahre) umgestellt. Seit 2008 werden in allen Programmen ECTS Punkte vergeben. Bislang sind jedoch nur circa 25 Prozent aller Programme modularisiert.

Das Studium der meisten Fächer umfasst einen vierjährigen Bachelor und einen zweijährigen Masterstudiengang. Daneben gibt es bei einigen Fächern abweichende Gliederungen: Das Studium der Medizin setzt sich aus sechs Jahren Hauptstudium (Allgemeinmedizin) zusammen. Bei der Zahnmedizin dauert das Studium fünf Jahre. Im Anschluss daran können Studierende, die einen Allgemeinmedizinabschluss anstreben, ein Jahr Internatura ableisten. Studierende, die einen Facharztabschluss anstreben, schließen an das Hauptstudium ein bis vier Jahre Ordinatura (je nach Spezialgebiet) an. Erst nach der Ordinatura (Facharztausbildung) hat man die Voraussetzungen erfüllt, um zu promovieren. Promotionen in anderen Disziplinen sind als interner oder externer Kandidat an den Universitäten möglich. Die durchschnittliche Dauer beträgt zwei bis vier Jahre. Der verliehene Titel nach erfolgreicher Promotion lautet: „kandidat nauk“ (Kandidat der Wissenschaften).

Den Titel Dozent können promovierte Lehrende erhalten, die mindestens drei Jahre Lehrtätigkeit an der Hochschule vorzuweisen haben, die ihnen den Titel Dozent vergibt. Zudem muss der Kandidat mindestens drei wissenschaftliche Veröffentlichungen in seinem Promotionsgebiet haben. Außerdem muss der Promotionskandidat eine wissenschaftliche Abhandlung von mindestens 20 Seiten oder mindestens zwei wissenschaftliche Arbeiten vorweisen können. Nicht promovierte Lehrende, die den Titel des Dozenten anstreben, müssen mindestens 20 Jahre Lehrerfahrung haben, davon drei Jahre an der Hochschule, welche den Titel vergibt, und 15 wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie eine Monografie vorweisen.

Verfasserin: Silvia Schmid, ehem. Leiterin des DAAD-Informationszentrum Eriwan mit Ergänzungen/Aktualisierungen durch Meri Navasardyan, Shushanna Tadevosyan

Der DAAD ist in Armenien mit zwei Lektoraten, an der Staatlichen Universität Eriwan und an der Staatlichen Linguistischen Brjussow-Universität, vertreten.