Argentinien: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Argentinien eines der fortschrittlichsten Hochschulsysteme in Lateinamerika. Bereits im Jahr 1613 wurde mit der Universidad de Córdoba die erste Universität Argentiniens von Jesuiten gegründet. Die erste Volluniversität nach europäischem Vorbild war die Universidad de Buenos Aires (Gründung 1821). Die 1905 in eine Nationaluniversität umgewandelte Universität von La Plata folgte von Anfang an dem Humboldt’schen Modell der Einheit von Lehre und Forschung. Mit der Córdoba-Reform von 1918 wurde zudem die institutionelle Autonomie der argentinischen Universitäten, ihre demokratische Selbstverwaltung sowie die Freiheit von Studiengebühren umgesetzt. Die Reform veränderte das Selbstverständnis der argentinischen Universitäten als Institutionen der Wissenschaftsfreiheit mit gesamtgesellschaftlichem Auftrag und hatte Vorbildfunktion in ganz Lateinamerika.

Die Turbulenzen der argentinischen Geschichte, die mit dem Militärputsch von 1930 begannen und nach zahlreichen weiteren wirtschaftlichen und politischen Krisen erst im Dezember 1983 zu einem vorläufigen Ende kamen, hatten die Hochschulen stark in Mitleidenschaft gezogen. Tausende von argentinischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern emigrierten, jahrzehntelang wurde kaum in Hochschulen und Forschungseinrichtungen investiert.

Dies änderte sich vor allem unter den Regierungen von Néstor Kirchner (2003- 2007) und Cristina Fernández de Kirchner (2007-2015), die Forschung und Entwicklung in den schwierigen Jahren nach der Krise von 2001/2002 als eine der Säulen des Wiederaufbaus der nationalen Volkswirtschaft betrachteten. Umfangreiche Investitionen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen des Landes entfachten eine neue Binnendynamik und Expansion – insbesondere auch in der Wissenschaftskooperation mit Deutschland.

War bis zum Ende der Kirchner-Regierung davon auszugehen, dass die Bedeutung Argentiniens für Deutschland nicht nur als Partner in Wirtschaft und Kultur, sondern besonders auch im Hochschul- und Forschungsbereich weiter steigen würde, so steht diese Entwicklung seit Antritt der Regierung unter Mauricio Macri im Dezember 2015 wieder auf dem Prüfstand. Bildung und Wissenschaft gehören nicht zu den Prioritäten der aktuellen Administration und die erneute wirtschaftliche Krise verschärft die Bedingungen für den Bildungssektor erheblich. Die realen Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sind seit 2019 signifikant gesunken. Die Prekarität hat in allen Bereichen extrem zugenommen, an Schulen und Hochschulen sind Streiks und Lehrausfälle die häufige Folge.

Die erklärte Absicht der gegenwärtigen Regierung, die intensive akademische Kooperation mit Deutschland auch in Krisenzeiten auf stabilem Niveau fortzusetzen, lässt jedoch darauf hoffen, dass bei einer Erholung der Wirtschaft auch mit einem weiteren Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit erechnet werden kann. Nach wie vor sind die hohen fachlichen Standards der argentinischen Universitäten und Forschungseinrichtungen unbestritten. Zum Beispiel hat kein anderes lateinamerikanisches Land mehr Nobelpreisträger als Argentinien hervorgebracht.

Aktuell existieren in Argentinien 131 Hochschulen (davon 111 Universitäten). Während im Jahr 2000 knapp 1,4 Millionen Studierende an argentinischen Hochschulen immatrikuliert waren, sind es derzeit circa 2 Millionen. Etwa die Hälfte der Universitäten sind staatliche Einrichtungen, die keine Gebühren erheben, was den Studienstandort Argentinien auch für Studierende aus den umliegenden lateinamerikanischen Ländern interessant macht. Die privaten Hochschulen, die zahlenmäßig etwa so stark sind wie die staatlichen, allerdings wesentlich weniger Studierende ausbilden, sind gebührenpflichtig und teilweise weniger forschungsorientiert. Die Nationale Akkreditierungskommission CONEAU (Comisión Nacional de Evaluación y Acreditación Universitaria) ist für die Evaluation und Akkreditierung der argentinischen Hochschulen sowie der Studiengänge und akademischen Abschlüsse zuständig. Der Nationale Wissenschafts- und Technologierat (Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas, CONICET) ist die wichtigste Organisation zur Förderung von Forschung und Technologie in Argentinien.

Verfasser: Judith Lehmann, Leiterin des DAAD-Informationszentrums Buenos Aires und DAAD-Zentrale Bonn

Der DAAD ist in Argentinien mit einem Informationszentrum an der Universidad de Buenos Aires vertreten. Darüber hinaus besteht jeweils ein Lektorat an der Sprachenhochschule Instituto de Enseñanza Superior en Lenguas Vivas "Juan Ramón Fernández" in Buenos Aires, an der Nationaluniversität in Córdoba und an der Nationaluniversität in Tucumán.