„Wir brauchen mehr sicherheitspolitische Expertise“

Nahaufnahme einer Bundeswehr-Uniform mit aufgenähtem Abzeichen der deutschen Flagge auf Tarnmusterstoff.

Der DAAD plant ein neues Förderprogramm, um deutsche Hochschulen bei der Internationalisierung ihrer Strategie- und Sicherheitsforschung zu unterstützen. Der Potsdamer Militärhistoriker Professor Sönke Neitzel und Dr. Christian Hülshörster, Leiter des Bereichs Stipendien Südliche Hemisphäre im DAAD, erläutern Hintergründe und Ziele des Programmvorschlags.

Herr Herr Professor Neitzel, Herr Dr. Hülshörster, was bedeuten die geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre für die sicherheitspolitische Forschung in Deutschland?

Sönke Neitzel: Dass die Strategie- und Sicherheitsforschung von zentraler Bedeutung ist, hat spätestens der Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 gezeigt. Trotzdem ist die „Zeitenwende“ an den deutschen Hochschulen noch nicht richtig angekommen. Nach wie vor forschen hierzulande – anders als in den USA, Großbritannien oder Frankreich – nur sehr wenige Professorinnen und Professoren zur Sicherheitspolitik im engeren Sinne. Das hängt auch mit dem traditionellen Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Zivilmacht zusammen.

Christian Hülshörster: Im öffentlichen Dialog wurde die militärische Dimension von Konflikten über Jahre und Jahrzehnte oftmals ausgeblendet und die Bundeswehr häufig als eine Art technisches Hilfswerk für das Ausland wahrgenommen. Zugleich hat der Afghanistan-Konflikt mit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 und natürlich vor allem der Krieg in der Ukraine erneut gezeigt, warum eine starke und einsatzbereite Bundeswehr eine Grundvoraussetzung auch für diplomatische Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges ist.

Wir hoffen, einen Beitrag zu leisten, um Wissen über Strategie- und Sicherheitspolitik stärker in die Gesellschaft zu bringen.
Dr. Christian Hülshörster, Leiter des Bereichs Stipendien Südliche Hemisphäre beim DAAD

Die Frage, wie sich Europa konkret gegen militärische Bedrohungen verteidigen kann, ist in den letzten Wochen ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt.

Neitzel: Ja, und in den Diskussionen wird wieder einmal deutlich, wie wenig Wissen über Sicherheitspolitik in Deutschland vorhanden ist. Abgeordnete wie auch Journalistinnen und Journalisten verstehen viele Details der Sicherheitspolitik nicht. Das betrifft zum Beispiel die nukleare Abschreckung; der Unterschied zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen ist vielen gar nicht bekannt. Auch das Unwissen über die Bedeutung von Auslandsgeheimdiensten für die Sicherheit ist dramatisch. Selbst in spezialisierten Thinktanks fehlt es an Expertise, die frei von Lobby-Interessen ist, etwa zur Rüstungsindustrie.

Hülshörster: Wir brauchen in Deutschland mehr wissenschaftliche Expertise in Strategie- und Sicherheitspolitik, um den stark gewachsenen Beratungsbedarf der Politik abdecken zu können. Deshalb plant der DAAD ein Förderprogramm zur Stärkung der Forschung zur Außen- und Sicherheitspolitik. Es soll dazu beitragen, den strukturellen Nachholbedarf in diesem Bereich zumindest teilweise auszugleichen. Für uns ist es dabei sehr wichtig, dass Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung dadurch nicht ersetzt, sondern ergänzt werden.

Porträt eines älteren Mannes mit Brille, Glatze und Bart vor blauem Hintergrund mit Weltkartenmotiv.

Was sind die Ziele des Programmvorschlags und was genau soll gefördert werden?

Hülshörster: Das Programm soll die internationale Vernetzung der sicherheitspolitischen Forschung in Deutschland voranbringen und mittelfristig ihre internationale Sichtbarkeit erhöhen. Den deutschen Forschenden soll der Anschluss an internationale Forschungsperspektiven ermöglicht werden, zum Beispiel im Bereich der Analyse von Großmachtkonflikten, der Geoökonomie oder von Cyberangriffen. Denkbar wäre dabei eine Projektförderung, die es deutschen Hochschulen ermöglicht, internationale Forschende und Lehrende zu Gastaufenthalten einzuladen, während sich im Gegenzug Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland im Ausland weiterqualifizieren können. Der Fokus läge dabei auch auf dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Offizierinnen und Offizieren der Bundeswehr könnte das Programm zudem die Möglichkeit eröffnen, ihre Kompetenzen an zivilen Hochschulen im Ausland zu erweitern. Wir sind zur Finanzierung und Ausgestaltung des Programms intensiv mit der Bundesregierung im Austausch und hoffen auf einen baldigen, positiven Abschluss der Gespräche. 

Neitzel: Interessanterweise ist der DAAD die erste Wissenschaftsorganisation, die die Zeichen der Zeit erkannt hat und das Thema bearbeitet. Schon 2019 hat der Wissenschaftsrat die deutsche Friedens- und Konfliktforschung evaluiert und eine deutlich stärkere internationale Vernetzung empfohlen. Mit dem neuen Programm werden diese Empfehlungen umgesetzt. Ich hoffe, dass andere Organisationen diesem Beispiel folgen werden.

Porträt eines Mannes mit runder Brille, Seitenscheitel und blauem Anzug vor einem unscharfen Bücherregal im Hintergrund.

Auf welche Länder und wissenschaftliche Disziplinen ist das Förderprogramm ausgerichtet?

Hülshörster: Als Partner kommen vor allem Hochschulen im anglo-amerikanischen Raum, aber auch beispielsweise in Israel infrage. Angesichts des Konflikts um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer sind auch Kooperationen mit Hochschulen in Singapur, Australien, Südkorea oder Japan denkbar. Vorgesehen ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit, die in erster Linie Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Jura – insbesondere Völker- und Europarecht – einschließt.

Abgeordnete wie auch Journalistinnen und Journalisten verstehen viele Details der Sicherheitspolitik nicht.
Prof. Dr. Sönke Neitzel, Universität Potsdam

Was macht eine Zusammenarbeit mit Deutschland in der sicherheitspolitischen Forschung für ausländische Hochschulen attraktiv?

Neitzel: Deutschland, das Land mit der größten Einwohnerzahl und der stärksten Volkswirtschaft der EU, spielt sicherheitspolitisch natürlich eine sehr große Rolle. Zudem wird die gerade beschlossene starke Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben in der NATO eine erhebliche Wirkung haben. Entsprechend groß ist das internationale Forschungsinteresse an Deutschland. Besonders für den wissenschaftlichen Nachwuchs in den USA und Großbritannien wird das Programm hochattraktiv sein, weil es jungen Talenten ermöglichen soll, sich auf ihre Forschung zu konzentrieren. 

Könnte das Programm auch das Niveau des öffentlichen Dialogs über Sicherheitspolitik verbessern?

Hülshörster: Wir hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, um Wissen über Strategie- und Sicherheitspolitik stärker in die Gesellschaft zu bringen. Daher beabsichtigen wir ein Begleitprogramm aufzulegen, das nicht nur den Austausch und die Vernetzung zwischen den Teilnehmenden fördert, sondern auch den Wissenstransfer, zum Beispiel über öffentliche Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Darüber hinaus werden Absolventinnen und Absolventen später nicht nur in der Hochschullehre oder der Politikberatung tätig sein, sondern auch im Journalismus und in der Öffentlichkeitsarbeit. Insofern kann das Förderprogramm auch ein Beitrag zur politischen Bildung in Deutschland sein.

 



 

Verwandte Themen