DAAD-Strategie 2030: Positionierung in einer multipolaren Welt

Zwei Männer in Anzügen stehen nebeneinander und lehnen sich an ein Metallgeländer in einer professionellen Innenumgebung.

Welche Antworten hat der DAAD auf die großen transnationalen Herausforderungen unserer Zeit? DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee und DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks im Interview über die neue DAAD-Strategie 2030.

Herr Professor Mukherjee, Herr Dr. Sicks, die neue DAAD-Strategie 2030 erscheint angesichts einer Welt im Wandel: Die USA haben einen neuen, wenn auch altbekannten Präsidenten, in Deutschland kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen und die Folgen von Krieg oder Konflikten sind vielerorts, etwa in der Ukraine, im Nahen Osten oder im Pazifik, kaum zu überblicken. Was bedeutet die eher unsichere Gesamtsituation für den DAAD und sein Engagement für den internationalen Austausch?

Mukherjee: Wir beobachten das Entstehen einer neuen multilateralen Weltordnung. Dieser Wandel sorgt im sogenannten Westen für viel Verunsicherung. In anderen Weltregionen wird dieser Wandel jedoch weniger mit Besorgnis, sondern mit dem Blick auf neue Chancen gesehen. Indien zum Beispiel, das bevölkerungsreichste Land der Welt, gewinnt an Einfluss. Das weltweite Netzwerk des DAAD wirkt wie ein Antennensystem für solche Verschiebungen. Wir tragen dazu bei, dass der Wandel von den Akteuren der deutschen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nachvollzogen werden kann. Die DAAD-Strategie 2030 reagiert wesentlich auf die Frage, wie Deutschland unter diesen neuen Voraussetzungen den großen globalen Herausforderungen mit weltweiten Partnern begegnen kann.

Sicks: Unsere Strategie verdeutlicht, wie wesentlich die Wissenschaft für Deutschlands Rolle in der Welt ist. Statistiken und Studien belegen die hohe Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes in diesem Feld. Der akademische Austausch ist eine exzellente Basis, um Beziehungen mit vielen Ländern zu stärken, gerade wenn die Lage in anderen Kontexten instabil ist. Wissenschaftsbasierte Antworten bieten große Chancen für die Lösung der globalen Herausforderungen. Dafür steht der DAAD.

Die Beratung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ist ein wesentliches Element der neuen Strategie 2030. Worauf baut diese auf?

Mukherjee: Die Basis bildet unser einzigartiges weltweites Netzwerk. 21 Außenstellen, 36 Informationszentren und rund 400 Lektorate weltweit sind ein Alleinstellungsmerkmal, das uns ungefilterte Informationen aus den unterschiedlichen Regionen zugänglich macht. Uns begegnet großes Interesse an diesen Informationen und dem Wissen des DAAD. Dieses Wissen bündeln wir auf besondere Weise im Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi), das 2024 sein fünfjähriges Bestehen feiern konnte und weiter ausgebaut wird. 

Sicks: Beratung ist für uns keine einseitige Angelegenheit. Wir verstehen uns als Teil eines Wissenssystems, zu dem natürlich auch die Hochschulen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit außergewöhnlicher Expertise zählen. Auch der DAAD lernt ständig dazu und bietet eine Plattform für gemeinsame Wissenserweiterung und wechselseitige Beratung.

Was bedeutet die Strategie 2030 für die Herangehensweise des DAAD an die zentralen Herausforderungen?

Sicks: Mit der Strategie 2030 richten wir den Fokus auf die Stärkung Deutschlands als Wissenschafts-, Innovations- und Wirtschaftsstandort. Zum Beispiel leisten wir durch die Qualifizierung ausgezeichneter internationaler Studierender einen wichtigen Beitrag zur Gewinnung hochqualifizierter internationaler Fachkräfte. Als wichtiger Akteur der „Science Diplomacy“ unterstützen wir die außenpolitischen Beziehungen Deutschlands und stärken seine Rolle in der neuen multipolaren Weltordnung. Dabei setzen wir uns für demokratische Werte ein und für die Wahrung von Forschungssicherheit in konfliktreichen Zeiten. Außerdem haben wir unseren Blick darauf geschärft, wie der DAAD zu nachhaltigen Antworten auf die großen transnationalen Herausforderungen beitragen kann. 

Mukherjee: Auch wenn die Strategie 2030 neue Akzente setzt, ist sie zugleich eine konsequente Weiterentwicklung unserer Positionierungen in den vergangenen Jahren. Als ein Beispiel möchte ich unseren Einsatz für eine Außenwissenschaftsrealpolitik in einer multipolaren Welt nennen, zu der wir unter anderem schon 2022 ein Positionspapier veröffentlicht haben. Wir haben die Diskussion um eine nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands aktiv begleitet und erst Anfang 2024 Handlungsempfehlungen für die deutschen Hochschulen zum Umgang mit China veröffentlicht. So deutlich wie nie zuvor geht die DAAD-Strategie 2030 auf unser Profil als europäische Organisation ein. Die Strategie bündelt viele neue Akzente und steht mit ihrem Dreiklang aus Fördern, Vernetzen und Beraten gleichzeitig klar in der Tradition des DAAD. Schon unser Gründer Carl Joachim Friedrich hat vor 100 Jahren, wenn auch im deutlich kleineren Maßstab, nichts anderes gemacht.

Sie sprechen Ihr großes Jubiläum an: 2025 besteht der DAAD seit 100 Jahren. Wie werden Sie feiern?

Mukherjee: Wir werden über das Jahr verteilt an für den DAAD entscheidenden Orten zusammenkommen. Wir feiern am 11. September mit einem Festakt an unserem Sitz in Bonn und zuvor am 6. Mai mit einem nationalen Festakt mit Bundespräsident Steinmeier im Berliner Humboldt Forum. Unsere Stipendiatentreffen werden 2025 an für die Geschichte des DAAD prägenden Hochschulen stattfinden. Zum großen Stipendiatentreffen Anfang April an unserem Gründungsort Heidelberg wird Professor Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und DAAD-Alumnus, die Festrede halten.

Sicks: Natürlich werden wir auch an internationalen Orten feiern, etwa in New York, das für die Geschichte des DAAD ebenfalls von Anfang an bedeutsam war. Wir werden in unserem Jubiläumsjahr zahlreiche Alumnae und Alumni multimedial vorstellen. An den Lebenswegen dieser ganz unterschiedlichen Menschen zeigt sich die außergewöhnliche Wirkung des DAAD besonders deutlich. Und natürlich freut uns die Ehrung durch das Bundesfinanzministerium mit einer Jubiläumsbriefmarke – für 125 Cent, passend zu einem Auslandsbrief.

Interview: Johannes Göbel / Klaus Lüber (23. Januar 2025)



 

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