„Ich sehe weiterhin ein enormes Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China“
Ole Engelhardt kennt China noch aus einer Zeit des schier unbegrenzten Aufschwungs und verliebte sich schnell in die enorme Vielfalt und Zukunftsoffenheit des Landes. Inzwischen ist die Euphorie im Land verflogen, der Aufschwung merklich gebremst. Warum die Menschen dennoch weiterhin optimistisch bleiben, wie der akademische Austausch nach den schwierigen Jahren der Pandemie wieder angekurbelt werden kann und welche Ziele er sich als neuer Leiter der DAAD-Außenstelle Peking gesetzt hat, berichtet er im Interview.
Herr Engelhardt, in Ihrem Neujahrsgruß 2024 haben Sie sich als neuer Leiter der DAAD-Außenstelle Peking mit einem chinesischen Sprichwort vorgestellt: 好问则裕,自用则小, grob übersetzt: „Man sollte nicht davor zurückschrecken, Fragen zu stellen, um zu lernen.“ War das eine Anspielung auf Ihren Neulingsstatus im DAAD?
Ganz genau. Und zwar auf meinen Status als „doppelter Neuling“: neu beim DAAD und neu als Leiter einer Außenstelle. In der Anfangszeit ist es für mich ganz entscheidend, viele Fragen zu stellen, um mich möglichst schnell in der neuen Position zurechtzufinden.
Als langjähriger Projektmanager der Hanns-Seidel-Stiftung in China hatten Sie bereits eng mit dem chinesischen Bildungsministerium zusammengearbeitet. Hilft Ihnen das bei Ihrer neuen Aufgabe?
Auf jeden Fall! Ich kenne China und speziell Peking inzwischen sehr gut und hatte über die Jahre auch die Gelegenheit, mein Chinesisch zu verbessern. Was mir außerdem enorm hilft, ist das Wissen um die administrativen Auflagen, mit denen der DAAD hier in China konfrontiert ist. Denn damit hatte ich auch in meiner vorherigen Position zu tun. Und natürlich ist es von Vorteil, wenn man bereits einige der Partner kennt, mit denen wir auch als DAAD zusammenarbeiten. Da besteht dann bereits ein Vertrauensverhältnis, auf das man gut aufbauen kann.
Sie kennen viele Länder Asiens schon seit Ihrer Studienzeit. Woher stammt die Faszination für die Region?
Zum ersten Mal in China war ich direkt nach dem Abitur. Ein Freund und ich hatten die Idee, vor dem Studium ein paar Monate als Englischlehrer zu arbeiten. Das war 2008, kurz vor den Olympischen Sommerspielen. Ich habe China als spannendes, unglaublich vielfältiges Land erlebt – von den Karstbergen in Guangxi bis hin zu den Megametropolen Shanghai und Hongkong. Für mich als Junge aus einem 4.000-Einwohner-Dorf in Norddeutschland war das überwältigend. Während meines Masterstudiums hatte ich dann die Gelegenheit, in Südkorea zu leben. Auch ein faszinierendes Land! Letztlich überwog dann aber die Verbundenheit zu China und das Gefühl, hier noch längst nicht alles gesehen zu haben – wahrscheinlich auch ein Grund, warum ich heute in Peking und nicht in Seoul sitze.
Wie nehmen Sie die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation im Land wahr?
Es ist in der Tat schon eine sehr spezielle Phase, die wir hier gerade erleben. Die Zeiten mit Wachstumsraten von 10 Prozent und mehr sind definitiv vorbei und das ist auch ganz normal für eine inzwischen gut entwickelte Volkswirtschaft. Langsam kommt das auch bei den Menschen an: Für eine bessere Zukunft muss man sich anstrengen; es wird nicht mehr automatisch alles besser, größer, schneller. Aber genau darin sind die Menschen hier geübt. Der chinesische Staat hat schon früh massiv in Zukunftstechnologien investiert. Vom Flughafen Daxing im Süden der Stadt kann man beispielsweise heute schon mit autonom fahrenden Taxis ins angrenzende Stadtgebiet gelangen.
Heißt das, trotz der aktuellen wirtschaftlichen Probleme überwiegt der Optimismus im Land?
Das ist, in Teilen, schon mein Eindruck. China ist ja nicht nur Peking oder Shanghai. Das nordostchinesische Jilin zum Beispiel gehört seit jeher zu den Provinzen, die in den Landesrankings ganz weit unten stehen. Trotzdem erlebe ich jedes Jahr, wenn ich dort das chinesische Neujahr mit der Familie meiner Freundin feiere, eine erstaunliche Lebensfreude und Gelassenheit. Und wenn mich die Taxifahrer mit einem „Herzlich willkommen in unserem Jilin“ begrüßen, höre ich da nicht nur Stolz auf ihre Heimat heraus, sondern auch ein großes Interesse am Austausch. Dieses Interesse zu erhalten, daran arbeiten wir im DAAD jeden Tag.
Die deutsch-chinesischen Beziehungen sind inzwischen von politischen Spannungen geprägt. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den akademischen Austausch?
Die Liste ist lang und reicht von administrativen Hürden wie dem Visaverfahren bis hin zu unterschiedlichen Vorstellungen von Wissenschafts- und Forschungsfreiheit. Ich denke, vieles ist auch immer noch der Pandemie geschuldet. Diese drei langen Jahre ohne Austausch haben das gegenseitige Verständnis stark belastet. Und die Bilder, die in den schlimmsten Phasen während der Null-Covid-Politik aus China zu sehen waren, sind auch 2024 noch präsent. Zum Imagegewinn Chinas bei deutschen Studierenden hat das sicher nicht beigetragen. Hinzu kommen die geopolitischen Krisen, die zu einer grundsätzlichen Verschiebung der politischen Prioritäten und zu einer Zunahme des Misstrauens gegenüber Ländern mit anderen politischen und gesellschaftlichen Systemen geführt haben.
Wie sehen Sie die Rolle des DAAD in diesem Zusammenhang?
Zunächst einmal möglichst neutral über heutige China zu informieren. Dabei ist es natürlich wichtig, auf die bestehenden Probleme hinzuweisen, aber eben auch zu betonen, wie gewinnbringend ein Aufenthalt in China trotz allem sein kann. Ich bin froh, dass sich der DAAD mit seinen Handlungsempfehlungen zur akademischen Zusammenarbeit mit China klar positioniert hat und den wissenschaftlichen Austausch mit China grundsätzlich befürwortet. Was im kritischen Diskurs manchmal etwas untergeht: China ist ein enorm fortschrittliches Land, mit seinen digitalen Bezahlmethoden, seinen autonom fahrenden Taxis oder den allgegenwärtigen Lieferservices. Für junge Menschen kann das ungemein spannend sein. Wir sehen das gerade jetzt wieder bei denjenigen, die im Laufe des Jahres 2023 zum ersten Mal nach China gekommen sind.
Im Jahr 2024 feiert die Außenstelle Peking ihr 30-jähriges Jubiläum. Was ist hierfür geplant?
Darauf freuen wir uns natürlich sehr. Wir werden wichtige chinesische Partner aus Universitäten oder anderen Einrichtungen vor Ort einladen. Viele von ihnen sind DAAD-Alumni und kennen daher unsere Geschichte sehr gut. Außerdem erwarten wir auch Besuch aus Deutschland, denn 30 Jahre Präsenz in China ist auch für den DAAD insgesamt ein ganz besonderer Meilenstein. Gerade in diesen Zeiten ist das Jubiläum ein guter Anlass, um vor Ort mit den chinesischen Partnern zu sondieren, wie wir auch in Zukunft weiter erfolgreich daran arbeiten können, den wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren Ländern zu stärken.
Gibt es bestimmte Ziele, die Sie sich als Außenstellenleiter gesetzt haben?
Ich wäre zufrieden, wenn es uns als DAAD in China gelänge, das Interesse sowohl deutscher als auch chinesischer Studierender, Forschender und Lehrender am jeweils anderen Land zu steigern. Trotz der Differenzen, die es so oder in anderer Form ja auch schon vor 30 Jahren gab, sehe ich immer noch ein enormes Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China.