China: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Die ersten Hochschulen wurden in China Ende des 19. Jahrhunderts gegründet, in der letzten Phase der sich bereits dem Ende nähernden Qing-Dynastie. In den meisten Fällen spielten Ausländer bei der Gründung und in den Aufbaujahren eine wichtige Rolle. Als Folge der chaotischen Geschichte Chinas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es allerdings erst nach der Gründung der Volksrepublik China zur Ausbildung eines nationalen Hochschulsystems. Damals wurde das sowjetische Wissenschaftssystem übernommen mit zahlreichen Spartenhochschulen, die überwiegend Lehranstalten waren. Der Akademie der Wissenschaften und ihren Instituten fiel die Forschung zu. Beginnend in den 1980er Jahren wurde das System grundlegend reformiert. Als Leitmodell gilt seitdem die Einheit von Lehre und Forschung in Hochschulen, die über ein breites Fächerspektrum verfügen, das häufig sowohl Ingenieur- und Naturwissenschaften als auch Geistes- und Sozialwissenschaften umfasst.

Das chinesische Hochschulwesen ist seit Mitte der 1990er Jahre stark gewachsen: Die Anzahl der regulären staatlichen Hochschulen (Regular Higher Education Institutions HEI) hat sich von 1.020 im Jahr 1997 auf 2.956 im Jahr 2019 erhöht. Die Zahl der HEIs besteht etwa zur Hälfte aus Hochschulen mit regulärem Studienangebot und zur Hälfte aus berufsbildenden Hochschulen (Vocational Colleges). Das Angebot wird durch 268 Institutionen für die Erwachsenenbildung und rund 800 nicht-staatliche Bildungs-einrichtungen ergänzt. Im Jahr 2019 waren laut UNESCO ingesamt 44.935.169 Personen an tertiären Bildungseinrichtungen eingeschrieben.

Die rasche Entwicklung wurde im Rahmen mehrerer Fünfjahrespläne mit umfangreichen Investitionen der chinesischen Zentral- und Provinzregierungen realisiert. Sie hat aber auch ihre Schattenseiten. Das Hochschulsystem ist durch das schnelle Wachstum überdehnt und hat mit Qualitätsproblemen zu kämpfen. Hörsaalkapazitäten lassen sich durch Investitionsprogramme in kurzer Zeit vervielfachen, die Zahl der qualifizierten Hochschullehrkräfte nicht. Auch ist der Arbeitsmarkt für Akademiker nicht in demselben Tempo gewachsen, so dass es verbreitet Probleme beim Übergang von der Hochschule ins Berufsleben gibt.

Im Vergleich zum deutschen Hochschulsystem fällt die große Heterogenität der chinesischen Hochschulen auf, die von einigen Top-Universitäten, die in internationalen Rankings in der Spitzengruppe zu finden sind, bis zu Einrichtungen reicht, deren Ausbildungsqualität deutschen Maßstäben an eine Hochschulausbildung nicht gerecht wird.

Das chinesische Hochschulsystem ist zweigliedrig und besteht aus allgemeinbildenden Hochschulen, die mindestens vierjährige Bachelorstudiengänge anbieten dürfen und berufsbildende Hochschulen mit ausschließlich (zwei- bis) dreijährigen Studiengängen. Bisher konzentrierten sich die Anstrengungen zum Ausbau des Hochschulsystems überwiegend auf die allgemeinbildenden Hochschulen. Das Studium wird hier häufig als theoretisch und zu wenig an den Anforderungen der Praxis orientiert, kritisiert. Zahlreiche Hochschulabsolventinnen und -absolventen haben Probleme, einen adäquaten Job zu finden, gleichzeitig fehlen Unternehmen gut ausgebildete Fachkräfte.

Vor diesem Hintegrund hat der Chinesische Staatsrat im Februar 2019 den “Plan zur Umsetzung der Reform der nationalen Fachausbildung” verabschiedet. Laut diesem soll bis 2020 eine Auswahl an Hochschulen in Fachhochschulen umgewandelt werden, an denen die Studierenden sowohl einen Bachelor-Abschluss als auch eine Reihe von beruflichen Qualifikationsnachweisen erlangen können. Berufsbildende Hochschulen leiden in China immer noch unter dem Ruf, minderwertiger zu sein und nur für die Schüler da zu sein, die die Aufnahme an eine allgemeinbildende Hochschule verpasst haben. Dies soll sich nach dem neuen Plan in Zukunft ändern.

Im Jahr 2018 boten 580 reguläre Hochschulen und 235 Forschungsinstitute neben dem grundständigen Studium auch weiterführende Studiengänge an.
Die Regelstudienzeit beträgt für ein Bachelorstudium vier Jahre, für ein Masterstudium zwei bis drei Jahre (je nach Fachrichtung) und für eine Promotion drei bis sechs Jahre.

Der Hochschulzugang wird durch eine zentrale Hochschulaufnahmeprüfung (Gaokao 高考) geregelt, die für die Pflichtfächer jährlich in der ersten Juniwoche in ganz China stattfindet und für die berufliche Zukunft der Chinesen von entscheidender Bedeutung ist. Im Jahre 2020 wurde der Gaokao auf Grund von COVID-19 erstmalig verschoben und der Prüfungstermin auf den 7. und 8. Juli festegsetzt. Etwa 80 Prozent der Bewerber werden an einer Hochschule aufgenommen, wobei es aber darauf ankommt, von einer möglichst guten Universität zugelassen zu werden. Der Zugang zu den Top-Universitäten des Landes ist entsprechend kompetitiv. Der Staatsrat hat bereits 2014 eine umfassende Gaokao Reform eingeleitet, die schrittweise regional und inhaltlich erweitert wird. Unter anderem soll durch die Reform eine größere Fächerwahl ermöglicht werden und die Prüfungszeit zeitlich entzerrt werden.

76 der regulären staatlichen Hochschulen sind direkt dem chinesischen Bildungsministerium (MoE) unterstellt und weitere 43 Hochschulen unterstehen anderen Stellen der Zentralregierung (zum Beispiel Akademie der Wissenschaften, Verteidigungsministerium, Staatliche Kommission für nationale Minderheiten, Zivile Luftfahrtbehörde und andere). Das MoE bestimmt die nationale Hochschulpolitik und ist für akademische Qualitätssicherung zuständig, die Provinzen sind mit der Implementierung befasst, wobei der Gestaltungsspielraum der Provinzen in den letzten 20 Jahren erheblich zugenommen hat.

Das wesentliche Funktionsmerkmal des chinesischen Hochschul- (und Forschungs-)Systems ist das Top-down-Prinzip, das dafür sorgt, dass die besten Hochschulen die meisten Ressourcen erhalten und die besten Hochschullehrkräfte rekrutieren können, um die landesweit besten Studierenden auszubilden. Die Möglichkeiten, in einem solchen von der Regierung durch finanzielle Zuwendungen zementierten hierarchischen System auf- oder abzusteigen, sind begrenzt.

Wichtige Impulse in der Hochschulentwicklung der letzten 20 Jahre wurden durch zwei Hochschulstrukturprogramme der chinesischen Regierung gesetzt, dem „211-Projekt“ und dem „985-Projekt“. Ziel der beiden Programme war es, 110 „Schlüssel-Universitäten“ finanziell zu fördern. Beide Förderprogramme wurden inzwischen eingestellt und im September 2017 durch das Doppelexzellenz-Programm (Shuang Yi Liu 双一流) ersetzt. Mit diesem Programm sollen in drei Phasen bis 2050 eine Auswahl an Hochschulen bzw. Fachrichtungen auf internationales Spitzenniveau gebracht werden. Dazu zählen 42 Hochschulen, die identisch mit den ehemaligen 985-Hochschulen sind, zuzüglich dreier weiterer Hochschulen (Zhengzhou Universität, Yunnan Universität und Xinjiang Universität). Bei weiteren 95 Hochschulen wurden Fachrichtungen ausgewählt, die besondere Förderung erhalten.

Verfasser: DAAD-Außenstelle Peking, DAAD-Informationszentrum Guangzhou und DAAD-Informationszentrum Shanghai 

Der DAAD unterhält derzeit in China jeweils ein Informationszentrum in Guangzhou, Shanghai und Hongkong, eine Außenstelle in Peking sowie weitere 29 Lektorate, die innerhalb des Landes verteilt sind.