„Wir müssen die Zusammenarbeit mit China realistisch gestalten“

DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee sieht Nachholbedarf in der hochschulbezogenen China-Kompetenz.

Die am 15. Januar 2024 veröffentlichten Handlungsempfehlungen des DAAD für akademische Kooperationen mit China sollen deutsche Hochschulen in die Lage versetzen, Chancen und Risiken der Zusammenarbeit zu erkennen sowie klare Prüfverfahren und Prozesse für bestehende oder zukünftige Kooperationen zu entwickeln oder auszubauen. DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee erläutert die zentralen Punkte des Papiers und plädiert für eine Außenwissenschaftsrealpolitik.

Herr Professor Mukherjee, die Bundesregierung hat in ihrer China-Strategie eine umfassende Neubewertung der deutsch-chinesischen Beziehungen vorgenommen. Das Land soll nun nicht mehr nur als Partner oder Wettbewerber, sondern auch als systemischer Rivale angesehen werden. Was heißt das für deutsch-chinesische Kooperationen im akademischen Kontext?

Jedenfalls nicht, dass in Zukunft keine oder nur noch wenige akademische Partnerschaften zur Volksrepublik möglich sind. Im Gegenteil: China ist für deutsche Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen von großer Bedeutung. In vielen Forschungsfeldern gehört das Land inzwischen zur Weltspitze. Zudem ist China ein unverzichtbarer Partner, um globale Krisen wie den Klimawandel und das Artensterben in den Griff zu bekommen. Wir können es uns gar nicht leisten, uns hier zu entkoppeln. Allerdings gibt es inzwischen eine Reihe von ernstzunehmenden Risiken, die man als deutsche Hochschule im Blick haben sollte. 

Welche sind das?

Zum Beispiel die enge zivil-militärische Verschränkung und machtpolitische Verankerung der chinesischen Wissenschaft. Die China-Strategie der Bundesregierung spricht hier von einer Politik der zivil-militärischen Fusion. Das ist natürlich problematisch, da man immer damit rechnen muss, dass zivile Grundlagenforschung zumindest in Teilaspekten irgendwann sicherheitspolitisch relevant wird. Hinzu kommen die zentrale Steuerung und Überwachung des Wissenschaftssystems sowie fehlende Freiheiten in Forschung und Lehre in China.

Aber wie können Hochschulen diese Risiken korrekt einschätzen? Gibt es hierzu überhaupt die notwendige Kompetenz?

Zunächst ist die Einschätzung von Risiken eine Fähigkeit, die grundsätzlich für jede internationale akademische Kooperation relevant ist. Im Falle von China ist es zudem wichtig, eine umfassende Regionalkompetenz aufzubauen. Hier gibt es tatsächlich Nachholbedarf, der nicht zuletzt durch die rückgängigen akademischen Mobilitätszahlen von Deutschland nach China seit der Pandemie noch größer geworden ist. Dabei ist Chinakompetenz im Sinne von Fachexpertise, Sprachkenntnis, interkultureller Kompetenz und kooperationsrelevantem Erfahrungswissen unabhängig vom fachlichen Fokus der Kooperation von großer Bedeutung. Zum Glück verfügen wir als DAAD über eine breite Expertise von chinaerfahrenen und -kompetenten Geförderten, Projektnehmerinnen und -nehmern, sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Alumnae und Alumni, die wir im DAAD bündeln und den Hochschulen gerne zur Verfügung stellen. Genau das ist auch das Ziel unserer kürzlich veröffentlichten Handlungsempfehlungen für die akademische Zusammenarbeit mit China, die wir auf Basis der China-Strategie der Bundesregierung erarbeitet haben.

Darin formulieren Sie drei Leitprinzipien, an denen sich die Hochschulen orientieren können. Welche sind das?

Wir plädieren in unserem Papier für einen interessenorientierten, risikoreflexiven und kompetenzbasierten Ansatz. Zuallererst ist es entscheidend, genau zu definieren, was man sich selbst von der Kooperation verspricht, was also die eigenen Ziele sind. Dies ist die Grundlage, um symmetrische Beziehungen aufzubauen. Akademischer Austausch kann deutschen Studierenden und Forschenden ein differenziertes Verständnis für Menschen und Gesellschaft im heutigen China sowie für die Rahmenbedingungen ihres Lebens in der Volksrepublik vermitteln. Umgekehrt lernen chinesische Studierende durch deren erfolgreiche Integration in Hochschule und Campusleben die deutsche Perspektive kennen. Bei der Ausgestaltung von Forschungskooperationen ist durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen abzusichern, dass Projekte auch Vorteile für die deutsche Seite entfalten.

Was ist mit einem risikoreflexiven Ansatz gemeint?

Dass man mögliche Risiken systematisch und bewusst in den Blick nimmt, also wissenschaftliche Kooperationsinteressen und Chancen sinnvoll gegen Sicherheits- und Schutzbedürfnisse abwägt. Risikobewertung und -minimierung beginnen damit, sich einen Überblick zu bestehenden Kooperationen zu verschaffen. Hilfreich sind auch regelmäßige Schulungen und hochschulübergreifende Beratungen; hier bietet das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen, KIWi, eine wichtige Anlaufstelle und Unterstützung für die Hochschulen. Zur Minimierung von Dual-Use-Risiken tragen Exportkontrollstellen an den Hochschulen bei. Die durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle definierten Regeln bilden hier den Orientierungsrahmen. 

Und das dritte Prinzip?

Drittens muss es darum gehen, dem schon angesprochenen Mangel an Chinakompetenz zu begegnen. Zum Beispiel durch den Aufbau von interdisziplinären Chinakompetenz-Teams, in denen Fachexpertise und Praxiserfahrung aus Wissenschaft und Verwaltung zusammengeführt, nachgehalten und aufbereitet werden. Zudem müssen wir der bereits angesprochenen rückläufigen akademischen Mobilität, insbesondere von Deutschland nach China, entgegenwirken, um den Aufbau praxisnaher Kompetenz unter den Studierenden zu fördern. Ich denke hier etwa an niedrigschwellige Erstkontaktformate wie Studienreisen, Summer Schools oder Anbahnungsreisen zur Forschungskooperation in beide Richtungen. Entschließt man sich zur institutionellen Zusammenarbeit mit China, ist es essenziell, die Rahmenbedingungen dafür maximal transparent zu halten.

Der DAAD hat sich bei seinen Handlungsempfehlungen an der Politik orientiert. Wie eng sollte im akademischen Austausch mit China das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Diplomatie sein?

Die konkrete Einzelentscheidung über die Umsetzung und Ausgestaltung von akademischen Kooperationen liegt immer in der Verantwortung der Wissenschaft. Dafür steht schließlich die grundgesetzlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit. Allerdings ist die Wissenschaft in so einem komplexen, außenwissenschaftspolitischen Kontext auf den Austausch nicht nur mit der Politik, sondern auch mit Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen. Auch hierfür ist das KIWi des DAAD mit seinen Dialogformaten ein gutes Beispiel – zuletzt etwa zum Thema Science Diplomacy im Kontext geopolitischer Herausforderungen. Damit Hochschulen im Sinne einer interessensorientierten, risikoreflexiven sowie kompetenzbasierten China-Strategie handlungsfähig bleiben, bedarf es also des Austauschs mit, aber auch der Unterstützung durch die Politik. Dies betrifft auch die Bereitstellung erforderlicher Ressourcen. Gemeinsam müssen wir eine Außenwissenschaftsrealpolitik verfolgen, die sich Risiken bewusst stellt und dabei die Potenziale des Kooperationsraums Wissenschaft nutzt.


 

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