Deutschland als Partner Amerikas stärken

Prof. Dr. Marina Henke: „Amerika wird auch weiterhin auf tragfähige Partnerschaften setzen“.

Professorin Marina Henke, Inhaberin der DAAD-geförderten Helmut-Schmidt-Gastprofessur an der Johns Hopkins University, im Interview.

Einen außergewöhnlichen Blick auf die transatlantischen Beziehungen ermöglicht die Helmut-Schmidt-Gastprofessur am Henry A. Kissinger Center for Global Affairs der Johns Hopkins University, die der DAAD seit 2018 mit Mitteln des Auswärtigen Amts fördert. Lehrstuhlinhaberin im akademischen Jahr 2023/24 ist Professorin Marina Henke, Direktorin des Centre for International Security an der Hertie School in Berlin und renommierte Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ein Gespräch über den Wert der Wissenschaft für die Politik, noch ungenutzte Chancen und die deutsch-amerikanische Partnerschaft im US-Wahljahr 2024.

Frau Professorin Henke, „Staatskunst“ lautet der deutsche Titel eines der letzten Bücher Henry Kissingers. Was kann aus Ihrer Sicht die Wissenschaft zu dieser Kunstform beitragen?

Ich denke, dass die Wissenschaft einen ganz entscheidenden Beitrag leisten kann – in Deutschland ist das allerdings noch viel zu selten der Fall. Deutschland hat im internationalen Vergleich meiner Meinung nach gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik Nachholbedarf: Die Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und Ministerien ist in den USA, aber auch in Großbritannien und Frankreich wesentlich etablierter.

Wie kann Deutschland in dieser Hinsicht aufholen?

In den drei genannten Ländern arbeiten in den Ministerien wissenschaftliche Beraterstäbe über Legislaturperioden hinweg mit der Politik zusammen. Diese Kultur sollten wir auch in Deutschland stärken. In den Ministerien sind Referate notwendig, die sich ausschließlich um die langfristige strategische Planung kümmern und auch unabhängig von Regierungswechseln weiterarbeiten können. Natürlich ist es Aufgabe der Parteien, politische Ziele zu formulieren. Aber es erfordert die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, um die passenden, effektiven Strategien zu entwickeln, um diese Ziele zu erreichen. 

Wie hilfreich ist in diesem Zusammenhang die besonders in den USA stark etablierte Think-Tank-Kultur?

Sie trägt dazu bei, dass der Austausch zwischen Politik und Wissenschaft an Selbstverständlichkeit gewinnt. In den USA ist es zudem absolut üblich, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ein oder sogar mehrere Jahre freigestellt werden, um in einem Regierungsministerium mitarbeiten zu können – das gibt es in Deutschland vergleichsweise selten. Aktuell sind zum Beispiel drei Kollegen aus meiner Zeit an der Northwestern University in den US-Ministerien für Verteidigung, Finanzen und Außenpolitik tätig. Solch ein intensiver Austausch ist wesentlich besser als wenn die Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Wissenschaft nur in ihren jeweiligen Silos agieren.

Wie wichtig ist zudem der Dialog der Wissenschaft mit der Bevölkerung? 2021 haben Sie mit einer Untersuchung an der Hertie School aufgezeigt, dass Wissenslücken im Bereich der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ein beträchtliches Risiko darstellen.

Die deutsche „Zeitenwende“ in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfordert große Veränderungen. Es muss nicht nur die militärische Wehrfähigkeit Deutschlands wiederhergestellt, sondern auch ein breites sicherheitspolitisches Wissen in der Bevölkerung aufgebaut werden. Letzteres ist für die gesellschaftliche Tragfähigkeit von schwierigen politischen Entscheidungen unabdingbar. Universitäten spielen hier eine wichtige Rolle. In der deutschen Bevölkerung herrscht zum Beispiel großes Unverständnis vor, warum Nuklearwaffen nicht einfach abgeschafft werden. Ich bin nun wirklich keine Befürworterin von Nuklearwaffen, aber zu einem umfassenden sicherheitspolitischen Verständnis gehört auch, dass sie zu internationaler Stabilität beitragen können. So ist es heute weitgehend Konsens, dass die atomare Abschreckung im Kalten Krieg die Freiheit West-Berlins gesichert hat. 

Sie sind Inhaberin der Helmut-Schmidt-Gastprofessur am Henry A. Kissinger Center for Global Affairs. Ist Politik letztlich doch vor allem das Feld prägender Persönlichkeiten oder ist das historisch überholt?

Das ist nicht historisch überholt, aber es hängt im Wortsinn von den handelnden Persönlichkeiten ab, wie sie Entwicklungen prägen. Bundeskanzler Helmut Schmidt ist mit einem klaren Weltkonzept ins Amt gekommen, das er in seinen Regierungsjahren entschieden weiterverfolgt hat – bis zu seinem Abgang. Die Regierungschefs Merkel und Scholz waren beziehungsweise sind dagegen offener gegenüber Expertinnen und Experten sowie der Bevölkerung. Politische Entscheidungen sind dann oft das Resultat von innenpolitischen Strömungen oder sogar Zwängen. Persönlichkeit spielt dann eine weniger große Rolle. 

Ein Fokus Ihrer Gastprofessur sind die transatlantischen Beziehungen. Wie ist es aus Ihrer Sicht aktuell um das deutsch-amerikanische Verhältnis bestellt?

Die aktuellen deutsch-amerikanischen Beziehungen sind gut. Die USA sind nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Deutschland und die EU die entscheidende Schutzmacht. Wir müssen uns aber die Frage stellen: Wie lange kann das so weitergehen? Unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl im November wird sich Amerika künftig stärker auf die Auseinandersetzungen im Pazifik konzentrieren. Umso mehr ist Deutschland gefragt, die europäische Sicherheitspolitik zu stärken und für die USA ein relevanter Partner zu bleiben. Denn Amerika wird auch weiterhin auf tragfähige Partnerschaften setzen.

Was macht für Sie den Reiz der Helmut-Schmidt-Gastprofessur aus?

Wir sprechen ja darüber, wie wichtig die Arbeit an transatlantischen Brücken ist – und dazu kann ich mit der Helmut-Schmidt-Gastprofessur beitragen. In der Zeit des US-Präsidentschaftswahlkampfs und angesichts gemeinsamer Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine ist das besonders wertvoll. Meine politikwissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die Frage, wie eine Reform der Nato gelingen und ein starker europäischer Pfeiler innerhalb des Verteidigungsbündnisses aufgebaut werden kann. Die Partnerschaft mit den USA bleibt wichtig und zentral, wir müssen aber gerade in der Sicherheitspolitik zu einer besser ausbalancierten Arbeitsteilung kommen.

Interview: Johannes Göbel (9. Februar 2024)
 

 

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