Wie aus Abfall ein nachhaltiger Werkstoff wird

Treffen zum „WasteDrive“-Projekt an der University of Mauritius

Erstaunlich, was sich mit Ananasresten herstellen lässt: Unterstützt vom DAAD widmen sich die RWTH Aachen, die University of Dar es Salaam und die University of Mauritius einem innovativen Produktionsmaterial.

Wenn Ben Vollbrecht im Supermarkt eine Ananas kauft, dann sieht er sie mit anderen Augen als die meisten Kundinnen und Kunden. „Die Frucht, die bei uns im Supermarkt landet, ist für mich der Rest einer Pflanze, die wertvolle Rohstoffe liefert“, sagt der 30-Jährige. Vollbrecht ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen. Mit Partnern von der University of Dar es Salaam in Tansania und der University of Mauritius entwickelt das Aachener Institut seit 2020 neue Faserverbundwerkstoffe aus Pflanzenblättern, konkret: aus Blättern der Ananaspflanze. Aus dem neuen Material wollen sie Teile für einen E-Scooter herstellen. 2024, so das gemeinsame Ziel, soll ihr Demonstrationsobjekt einsatzbereit sein.

Das Kooperationsvorhaben der drei Universitäten trägt den Titel „WasteDrive“ und ist Teil des DAAD-Programms Partnerschaften für nachhaltige Lösungen mit Subsahara-Afrika – Maßnahmen für Forschung und integrierte postgraduale Aus- und Fortbildung. Gemeinsam mit dem Internationalen Büro des BMBF im Projektträger DLR unterstützt der DAAD Partnerschaften deutscher Universitäten, außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und Unternehmen mit afrikanischen Institutionen. Dabei arbeiten Forschende und Praktikerinnen und Praktiker beider Kontinente gemeinsam an der Bewältigung globaler Problemstellungen; Forschung und Ausbildung gehen hier Hand in Hand.

Vermeidung von CO2-Emissionen

„WasteDrive“ steht für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, bei der Abfallstoffe zu neuen Rohstoffen werden. „Die Blätter von Ananaspflanzen enthalten im Vergleich zu anderen Pflanzen sehr zugfeste Fasern, die bisher nicht genutzt werden“, erklärt Ben Vollbrecht. Wenn die Früchte, die oberhalb der Erdoberfläche in einer Art Blätterbett wachsen, abgeerntet sind, zünden Ananasbauern die verbliebenen Blätter üblicherweise an. Die Asche der 30 bis 50 Zentimeter langen Blätter hat zwar einen gewissen Düngeeffekt, aus Umweltgesichtspunkten ist das Abbrennen der Felder jedoch problematisch, weil es klimaschädliche CO2-Emissionen erzeugt.

Ananasblätter wurden bisher als wertloses Abfallprodukt der Landwirtschaft betrachtet. Als „Abfallbiomasse“, wie Professor Hareenanden Ramasawmy von der University of Mauritius sagt, können sie jedoch überaus nützlich sein. „Das WasteDrive-Projekt ist ein Beispiel für die Synergie zwischen Grundlagenforschung und technischen Anwendungen zum Nutzen der Allgemeinheit“, verdeutlicht er. Der Wissenschaftler hatte schon vor dem Beginn des vom DAAD geförderten Kooperationsprojekts an der Entwicklung neuer Materialien aus Pflanzenblättern gearbeitet. Er hatte sich dabei auf Bananenblätter fokussiert. „Die Erfahrung seines Teams ist sehr wertvoll für unser Projekt“, sagt Ben Vollbrecht.

Die University of Dar es Salaam bringt Expertise im landwirtschaftlichen Anbau, der Verarbeitung der Ananaspflanze und der maschinellen Faserextraktion in das Kooperationsprojekt ein. Langfristig soll an der Universität ein Forschungscenter für biologische Faserverbundwerkstoffe auf dem afrikanischen Kontinent entstehen. Denn neben Ananas- und Bananenblattfasern eignen sich auch die Fasern von Ölpalmenblättern und Kokosnüssen zur Herstellung hochwertiger Verbundwerkstoffe. Der Vorteil gegenüber anderen Naturfasern, wie etwa Jute oder Sisal, liegt klar auf der Hand: Rohstoffe aus landwirtschaftlichen Abfallprodukten blockieren keine zusätzlichen Agrarflächen und sind besonders günstig.

Zusätzliche Einkommensquellen für Ananasbauern

In Tansania sind Ananas neben Bananen ein wichtiges Anbau- und Exportprodukt. Für das Land birgt die gemeinsame Forschung und Ausbildung mit den Partnern aus Deutschland und Mauritius auch wirtschaftliche Chancen. „Das Projekt bietet Ananasbauern zusätzliche Einkommensquellen, durch den Verkauf von Ananasblättern oder indem sie ein Nebengewerbe für die Fasergewinnung aufbauen. So können sie ihren Lebensunterhalt verbessern und das Konzept der Kreislaufwirtschaft mit Leben füllen“, sagt Hareenanden Ramasawmy.

Um an die Fasern im Blattinneren zu gelangen, wird zunächst die Außenschicht der Blätter entfernt, die freiliegenden Fasern werden getrocknet und mit Hilfe einer einfachen Maschine gekämmt. „Die Technik ähnelt der eines Handrasenmähers, der die Biomasse der Blätter von den Fasern trennt“, erläutert Ben Vollbrecht. Im Projekt laufen diese Arbeitsschritte praktischerweise in Tansania ab. In Mauritius wird ein Verfahren entwickelt, um die Fasern von Unreinheiten zu befreien. Statt dafür Chemikalien einzusetzen, experimentieren die Forschenden mit einem Gemisch aus Kalk und Holzasche, beides wiederum Abfallprodukte aus anderen Wirtschaftskreisläufen. In weiteren Arbeitsschritten werden die Ananasfasern maschinell zu einer Art Vliesstoff zusammengefügt und durch die Infusion mit einem bioverträglichen Harz schließlich so verstärkt, dass sie zu Produkten verarbeitet werden können.

„Diese klimafreundliche Hochleistungsnaturfaser kann vielfältig eingesetzt werden – beispielsweise für Innenverkleidungen in der Automobilindustrie, für nachhaltige Möbel oder für andere Leichtbauteile. In unserem Demonstrationsprodukt, dem E-Scooter, wollen wir das Trittbrett und den Lenker daraus herstellen“, sagt Ben Vollbrecht. Der Wirtschaftsingenieur betreut das Projektmanagement der Forschungspartnerschaft. Die RWTH ist im Projektverbund außerdem für die Entwicklung des Rollers sowie für die letzten Verarbeitungsschritte des Materials verantwortlich.

Alle Beteiligten sehen erhebliches Zukunftspotenzial – auch für die Lehre im Bereich nachhaltiges Wirtschaften. Im Ausbildungsmodul des Projekts werden Lernmaterialien und ein Lernplan für eine Seminarreihe erarbeitet, in der die gesamte Prozesskette von der Herstellung des Fasermaterials über die Verarbeitung bis zur Herstellung von naturfaserverstärkten Kunststoffen behandelt wird. Ergänzend wird eine digitale Lernplattform programmiert. Inhalte und Konzept werden in jährlich stattfindenden Summer Schools getestet und in gemeinsamen Workshops der Forschungspartner evaluiert. Ben Vollbrecht ist überzeugt: „Unsere Partner aus dem Globalen Süden können Fehler vermeiden, die im Norden in den vergangenen 100 Jahren gemacht wurden. Sie können Vorreiter beim Aufbau zukunftsweisender Kreislaufwirtschaften werden.“

Ulrike Scheffer (26. Oktober 2023)

 

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