Diversitätsförderung an deutschen und nordamerikanischen Hochschulen

Wenn Diversitätsförderung und Antidiskriminierung strategisch verankert sind, können Hochschulen gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen.

Dr. Rebecca Hahn ist Wissenschaftlerin am Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung der Universität Tübingen. In diesem Gastbeitrag legt sie dar, wie unterschiedlich das Konzept von Diversität an Hochschulen in Deutschland und in den USA diskutiert und umgesetzt wird, welche Herausforderungen es mit sich bringt und welches Potenzial es birgt.  

Wer kennt die Akronyme J.E.D.I. oder D.E.I.J.B.? Im Selbstverständnis amerikanischer Universitäten nehmen sie zentrale Rollen ein, während die Frage danach an deutschen Hochschulen vielfach mit Schulterzucken quittiert wird. J.E.D.I. verweist nicht etwa auf lichtschwerttragende Figuren aus dem Star-Wars-Universum, sondern steht für Gerechtigkeit (Justice), Chancengleichheit (Equity), Diversität (Diversity) und Inklusion (Inclusion); D.E.I.J.B. sortiert die Begriffe in anderer Reihenfolge und schließt noch den Begriff der Zugehörigkeit (Belonging) mit ein. 

Professorin Frankie Augustin von der California State University, Northridge, ist für ihre Forschung und Arbeit zum Thema Vielfalt im amerikanischen Gesundheitswesen schon mehrfach ausgezeichnet worden. Sie betont, wie elementar es ist, zwischen den einzelnen Begriffen zu differenzieren: „Wenn wir von Vielfalt sprechen, ist es wichtig, klar und präzise zu benennen, was wir meinen und auf wen wir uns beziehen. So können wir besser mit maßgeschneiderter Unterstützung auf den jeweiligen Bedarf reagieren.“  

An deutschen Hochschulen werden die verschiedenen Werte bislang unter dem Sammelbegriff „Diversität“ beziehungsweise „Diversity“ oder „Vielfalt“ subsummiert. Das liegt primär an den Entstehungsgeschichten von Diversitätsprozessen, die je nach Land unterschiedlich verliefen: Während an amerikanischen Universitäten Diversitätsprozesse „bottom-up“, also von unten nach oben, angestoßen wurden, etablierten sie sich an deutschen Universitäten tendenziell „top-down“, also von oben nach unten. In den USA sind Antidiskriminierungsprozesse unmittelbar an emanzipatorische Bewegungen wie die Schwarze Bürgerrechtler*innenbewegung* geknüpft, die sich für Menschenrechte, Antidiskriminierung und Chancengleichheit für Schwarze Menschen einsetzen.  

Den Wert von Vielfalt erkennen 

In Deutschland verhält es sich anders: Hier resultieren Diversitätsprozesse aus Initiativen wie der 2006 ins Leben gerufenen Arbeitgebendeninitiative „Charta der Vielfalt“. Ziel der Initiative ist es, Diversität in deutschen Firmen und Institutionen zu fördern und Vielfalt als wertvolle Ressource zu betrachten. Unterzeichnet eine Hochschule die Charta, verpflichtet sie sich, diversitätsfördernde Maßnahmen einzuführen. Damit begann an vielen deutschen Hochschulen eine erste Sensibilisierung für Diversitätsfragen, die sich auch auf strategischer und operativer Ebene niederschlug.  

Seit 2013 haben Hochschulen die Möglichkeit, am sogenannten „Diversity Audit“ des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft teilzunehmen. Erfolgreich auditierte Hochschulen weisen Strukturen vor, die die Inklusion diverser Hochschulangehöriger gewährleisten sollen. 2022 wurde auf der Hochschulrektorenkonferenz die Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“ vorgestellt, bei der sich deutsche Hochschulen um die Förderung universitätsinterner Diversitätsmaßnahmen bewerben können. Ziel ist es, Strukturen aufzubauen oder zu vertiefen, die Diskriminierungen entgegenwirken und Bildungsgerechtigkeit sowie Teilhabe gewährleisten. Das bedeutet unter anderem auch, dass alle Hochschulangehörigen für Diversitätsfragen sensibilisiert und darin unterstützt werden, ein hohes Problembewusstsein für diskriminierendes Verhalten zu entwickeln. 

Förderung von Diversität wird wichtiger 

Die Förderung von Diversität hat im Laufe der Zeit an deutschen Hochschulen einen hohen Stellenwert erhalten. Das liegt vor allem an zwei Gründen: Hochschulen sind rechtlich dazu verpflichtet, Diversitätsprozesse anzustoßen und diversitätsfördernd zu agieren. Die rechtlichen Vorgaben liefern unter anderem das Grundgesetz (Artikel 1 und 3), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (Paragraph 1) sowie verschiedene Konventionen der Vereinten Nationen. Basierend auf dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz werden die Merkmale erfasst, die als schützenswert gelten. Dazu zählen ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. Der Leitfaden „Diskriminierungsschutz an Hochschulen“ fügt im Hochschulkontext als Merkmale noch die soziale Herkunft beziehungsweise sozialer Status, chronische Krankheiten und Familienstatus hinzu.  

Der zweite Grund ist ökonomischer Natur: Diversitätsanerkennende Hochschulen binden neue Ressourcen und werden als attraktivere Studien- und Arbeitsplätze wahrgenommen. Sie agieren vielfach innovativer, befördern die Internationalisierung und erfüllen wichtige Bedingungen von Drittmittelanträgen. 

Was ist die Norm?  

Trotzdem wird „Diversität“ als Konzept konträr diskutiert. Kritische Stimmen beanstanden, dass das Konzept instrumentalisiert, ökonomisiert, zu Marketingzwecken herangezogen und ihm damit letztlich die politische Gewichtung geraubt werden könnte. Sie beanstanden ferner, dass der Begriff „Diversität“ eine nichthinterfragte Norm beschwöre, von der diverse Personen(-gruppen) zwangsläufig abwichen. Denn: Wo Diversität existiert, muss eine vermeintliche Norm existieren, die definiert, welche Merkmale als normabweichend gelesen werden sollen. Diese Form des differenzierenden Lesens geht mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Privilegien einher, die von Diversitätsförderungen allein nicht ausgehebelt werden können.  

Eine Maßnahme, um auf diskriminierendes Verhalten zu reagieren, wurde an Professorin Frankie Augustins Hochschule eingeführt: Dort gibt es die sogenannten „uncomfortable conversations“, die „unangenehmen Gespräche“. Zeigen etwa Datenerhebungen, dass die Kursleistungen minorisierter Studierender schlechter bewertet werden als diejenigen nicht-minorisierter Studierender, wird die Kursleitung zu einem solchen Gespräch geladen.  

Unbewusste Denkmuster aufbrechen 

Augustin betont, dass die wenigsten Lehrenden minorisierte Studierende bewusst diskriminieren, sondern vielfach von unbewussten Denk- und Handlungsmustern geleitet werden. Ziel der Gespräche ist es demnach nicht, der Kursleitung das eigene diskriminierende Verhalten vorzuführen: Vielmehr zielen die Gespräche darauf ab, die erhobenen Daten mit der Kursleitung zu besprechen und sie dabei für bestimmte erlernte Annahmen und Vorurteile zu sensibilisieren. So erklärt Augustin, sie habe festgestellt, „dass Gespräche, bei denen Beschuldigungen und Schuldzuweisungen vermieden werden und die in einer sicheren, nicht bedrohlichen Umgebung stattfinden, am produktivsten sind“. Diese Form der Intervention führt langfristig dazu, dass weniger minorisierte Studierende ihr Studium abbrechen.  

Das amerikanische „best practice“-Beispiel zeigt, dass diversitätssensible Hochschulen in der Lage sind, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen und Chancengleichheit zu befördern. Es zeigt aber auch, dass Diversitätsförderung und Antidiskriminierung hochschulstrategisch verankert sein müssen und dass echte Vielfalt, in der sich Studierende, Forschende, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende – egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher ethnischer Zugehörigkeit und sexuellen Orientierung – wiederfinden, nur an einer Institution entstehen und wachsen kann, die eine diversitätssensible und antidiskriminierende Haltung lebt und sich dafür einsetzt.  

*Die Großschreibung von „Schwarz“ verweist darauf, dass es sich hierbei nicht um eine sogenannte biologische Eigenschaft, sondern um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt. Um sich gendersensibel auszudrücken, wählt die Autorin den Genderstern. 

 

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