„Profile und Zielsetzungen müssen zusammenpassen“

Prof. Dr. Claudia Wich-Reif arbeitet seit 2009 als Gutachterin für den DAAD.

Claudia Wich-Reif, Professorin für Geschichte der Deutschen Sprache und Sprachliche Variation an der Universität Bonn, ist seit 2009 als Gutachterin für den DAAD im Einsatz. Eine ehrenamtliche Tätigkeit, die nicht nur fachliche Expertise erfordert.  

Frau Professorin Wich-Reif, wieso engagieren Sie sich als DAAD-Gutachterin?

Innerhalb der Germanistik habe ich mich auf die Linguistik spezialisiert. Aufgrund meines Schwerpunktes ist es mir wichtig, zum Erhalt und zur Stärkung der deutschen Sprache im Ausland, aber auch zu einer sprachlichen Vielfalt in der Welt beizutragen – ein Anliegen, das ich mit dem DAAD teile. Deshalb unterstütze ich den DAAD in seiner Arbeit und wähle beispielsweise Lehrkräfte für das DAAD-Lehrassistenzprogramm aus, die an internationalen Hochschulen in den Bereichen Deutsch als Fremdsprache und Germanistik unterrichten. Von den DAAD-Lehrassistentinnen und -assistenten profitieren dabei auch Studierende anderer Fachrichtungen, da fakultätsübergreifende Sprachkurse angeboten werden.  

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? 

Als Mitglied verschiedener Kommissionen bin ich zum einen in die Auswahl von internationalen Studierenden und Forschenden eingebunden und dabei für die Germanistik und andere Philologien wie die Romanistik oder Anglistik zuständig. Für unsere Beurteilung greifen wir auf schriftliche Dokumente wie Zeugnisse und Projektskizzen zurück. Zudem entscheide ich mit über die Stellenbesetzung von IC- und DAAD-Lektoraten. Welche Kandidatin oder welcher Kandidat für ein Unterrichtsdeputat an einer ausländischen Hochschule oder als Leiter eines DAAD-Informationszentrums geeignet ist, lässt sich nur in einem persönlichen Gespräch ergründen. Deshalb werden die Bewerberinnen und Bewerber zum DAAD eingeladen, und wir stellen ihnen spezifische Fragen. Handelt es sich beispielsweise um eine Lehrassistenz in China, sind etwa Gutachterinnen und Gutachter aus den Bereichen Deutsch als Fremdsprache, Linguistik und Sinologie in der Auswahlkommission vertreten. Ich versuche in dieser Runde unter anderem herauszufinden, welche Gedanken sich die Kandidatinnen und Kandidaten über den Standort und die spezifische Lehrsituation gemacht haben.

Prof. Dr. Claudia Wich-Reif 2022 mit Mitarbeitenden vor dem Hauptgebäude der Universität Bonn

Nach welchen weiteren Kriterien wählen Sie Bewerberinnen und Bewerber mit dem größten Potenzial für einen produktiven akademischen Austausch aus?

Meine Aufgabe ist es einzuschätzen, wie die akademischen Voraussetzungen der Kandidatinnen und Kandidaten sind und wie aussichtsreich deren Vorhaben. Forschende, die sich um ein Stipendium bewerben, müssen sich vor der Antragstellung potenzielle Betreuerinnen oder Betreuer suchen und ihr Projekt skizzieren. Hier prüfe ich beispielsweise, ob die Profile und Zielsetzungen miteinander harmonieren oder im Zuge des Auslandsaufenthaltes Probleme auftreten könnten – das erfordert neben Fachwissen vor allem Erfahrung. Zudem frage ich die Bewerberinnen und Bewerber, wie sich ihrer Ansicht nach das Stipendium in ihre berufliche Zukunftsplanung integriert; in der Antwort zeichnet sich ab, wie ernst es ihnen mit dem Wunsch nach einem Auslandsaufenthalt ist. Hinsichtlich der Lektorate und Lehrassistenzen versuche ich herauszufinden, wie gut die Deutschkenntnisse der Lehrkräfte sind und inwiefern sie sich auch metasprachlich mit dem Deutschen auseinandersetzen. Obwohl der Unterricht an den ausländischen Hochschulen kommunikationsorientiert ist, sollten sie Auskünfte zur deutschen Grammatik geben können und auch fit in Landeskunde sein. Zudem ist es wichtig, den passenden Standort für sie zu finden. Manche Hochschulen fordern beispielsweise eine Promotion; das akademische Umfeld ist zum Teil sehr unterschiedlich.

Inwiefern profitieren Sie davon, über den Auswahlprozess Kolleginnen und Kollegen aller Fachrichtungen aus ganz Deutschland und teilweise aus dem Ausland kennenzulernen?

Mit Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen und Fakultäten in den Austausch zu treten, ist für mich äußerst interessant und wichtig. Bei der Vergabe von Preisen oder Stipendien sollte man sich immer wieder die Frage nach der eigenen Objektivität stellen, und im gegenseitigen Vergleich hat sich gezeigt, dass wir einen gemeinsamen Standard haben. Zudem bin ich durch meine Gutachtertätigkeit mit mehreren Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache in Kontakt gekommen: Ohne die Auswahlkommissionen hätte ich sie wohl nicht kennengelernt. Wir treffen uns regelmäßig auf Tagungen und finden immer wieder gut zusammen. 

Prof. Dr. Claudia Wich-Reif mit ihrem Kollegen Myung-Chul Koo, Germanistik-Professor an der Seoul National University, 2010 am Gelben Meer

Sie sind seit fast 15 Jahren als DAAD-Gutachterin aktiv. Welche Begegnungen sind Ihnen dabei besonders in Erinnerung geblieben?

Beeindruckt haben mich beispielsweise Absolventinnen und Absolventen deutscher Auslandsschulen, die sich in den letzten Jahren für ein DAAD-Bachelorstipendium beworben hatten. Länder benennen für dieses Programm ihre besten Schülerinnen und Schüler, die dann für den Auswahlprozess zu uns nach Deutschland eingeladen werden. Die Deutschkenntnisse der jungen Menschen waren auf sehr hohem Niveau – ohne dass sie bereits studiert hatten. Gleichzeitig traten sie äußerst reflektiert vor die Auswahlkommission, da sie sich bereits mit verschiedenen deutschen Hochschulen und deren Struktur vertraut gemacht hatten. Besonders bewegende Begegnungen hatte ich im Zuge der Vergabe von DAAD-Stipendien für Masterstudierende: Eine Bachelorstudentin aus der Ukraine hatte ihre Prüfungen im Badezimmer schreiben müssen, dem einzigen ruhigen Ort in der Wohnung; eine andere Kandidatin aus der Ukraine berichtete davon, sich als Waise um ihren kleinen Bruder zu kümmern. Als Auswahlkommission müssen wir die Stipendien anhand der Leistungen vergeben, die in einem der beiden Fälle leider nicht ausreichend waren. Das hat mich lange beschäftigt. 

Interview: Christina Pfänder (19. Oktober 2023)

 


 

Verwandte Themen