Ukraine: Bildung und Wissenschaft
In der Ukraine wird bisher auch die Berufsausbildung in breiten Teilen dem Hochschulbereich zugeordnet, wobei aber zwischen Universitäten, Akademien und Instituten einerseits und Colleges (kolledžy) andererseits unterschieden wird. Lediglich die erste Gruppe kann als Äquivalent zu deutschen Hochschulen gesehen werden. Sowohl Universitäten als auch Akademien und Institute haben das Promotions- und Habilitationsrecht, wobei die letzteren im Allgemeinen nur ein Fach vertreten (zum Beispiel Kunst oder Recht).
Die Colleges widmen sich der Berufsausbildung im engeren Sinne – hier wird voraussichtlich innerhalb der nächsten Jahre entschieden werden, welche Institutionen ihren Status innerhalb des tertiären Sektors beibehalten und welche dem Sekundarschulbereich zugeschlagen werden.
Die Anzahl der Universitäten, Akademien und Institute (nach alter Nomenklatur die Hochschulen der Akkreditierungsstufen III und IV) beläuft sich auf 282, davon sind 209 staatlich oder kommunal und 73 privat. Dabei sind die sogenannten „Volluniversitäten“ in der Minderheit; einige Fächer wie Medizin und Agrarwissenschaften sind fast immer an Hochschulen, die diese Fächer auch im Namen tragen, angesiedelt. Ingenieurwissenschaften werden an den Technischen Universitäten gelehrt (ehemalige Polytechnische Institute).
4 Hochschulen tragen den Titel „Forschungsuniversität“, 118 staatliche Universitäten den Titel „Nationale Universität“. Die im Januar 2020 verabschiedeten Änderungen zum Bildungsgesetz legen fest, dass der Titel „Nationale Universität“ ein reiner Ehrentitel ist, also keine Privilegien mit sich bringt. Hingegen wird der Titel Forschungsuniversität auf kompetitiver Basis verliehen und zwar jeweils nur für einen Zeitraum von fünf Jahren. Forschungsuniversitäten dürfen diesen Titel im Namen führen, haben Zugriff auf besondere Forschungsmittel, dürfen akademische Titel verleihen und Dissertationskomitees bilden – Privilegien, die sonst dem Bildungsministerium oder einer speziellen Attestierungskommission vorbehalten waren.
Die Studierendenquote eines jeweiligen Jahrgangs ist hoch: zwischen 75 und 80 Prozent. Von diesen wiederum studieren nur etwa 20 Prozent an außeruniversitären Einrichtungen (also Colleges oder Technika). Die Gründe dafür liegen einerseits in mangelnden Ausbildungsalternativen, andererseits aber auch am mangelnden Prestige der beruflichen Ausbildung.
Das Studium ist gebührenpflichtig. Die Studiengebühren bewegen sich zwischen 400 und 2.000 Euro pro Jahr. Allerdings werden für mindestens 51 Prozent der Schulabgänger jedes Jahrgangs von staatlicher Seite gebührenfreie Studienplätze, sogenannten „Budgetplätze“, zur Verfügung gestellt, für das Masterstudium gibt es für 20 Prozent eines Bachelorabsolventenjahrgangs gebührenfreie Plätze.
2018 hat es erhebliche Verschiebungen bei den am stärksten nachgefragten Fächern gegeben: Während das Interesse an Recht gleichbleibend hoch ist, sind nun die populärsten Fächer Philologie und, einigermaßen überraschend, das Lehramt für die Mittelschule. Der Lehrermangel in der Ukraine ist eklatant, nicht zuletzt aufgrund der sehr unattraktiven Bezahlung. Hier hatte die Politik des Bildungsministeriums, sowohl Studium als auch Beruf der Lehrerin attraktiver zu machen, offensichtlich zumindest kurzfristig Früchte getragen: für das Studium wurde eine hohe Anzahl an Budgetplätzen und Lebenshaltungskostenstipendien zur Verfügung gestellt, und die Lehrergehälter wurden deutlich erhöht. Diese Erhöhung wurde allerdings im Rahmen der coranabedingten Wirtschaftskrise bereits wieder zurückgenommen. Zu erheblicher Beunruhigung sowohl im Hochschulbereich als auch in der Wirtschaft hat der signifikante Rückgang an Bewerbern in den in der Ukraine traditionell starken MINT-Fächern geführt. Als Grund dafür wird der schwache Schulunterricht vermutet, der die Studienanfänger nicht mehr auf die zentralen Hochschulzugangsprüfungen in den relevanten Fächern vorbereitet.
Diese zentrale Prüfung, der sogenannte „Externe Unabhängige Test“ (Zovnišnje nezaležne ocinjuvannja (ZNO)) stellt in Kombination mit dem Attestat der Mittelschulbildung (Atestat pro seredniu osvitu) die Hochschulzugangsberechtigung dar. In den traditionell stark nachgefragten Fächern Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen läuft auch die Zulassung zum Masterstudium über einen externen Test. Für das Masterstudium müssen auch Kenntnisse auf B1-Niveau in einer EU-Fremdsprache über einen zentralen Test nachgewiesen werden. Es hat auch unter Studierenden zu Kritik geführt, dass dieser nicht durch einen der standardisierten internationalen Tests ersetzt werden kann (IELTS, TestDaF i.a.)
Die Abschlüsse sind bolognakonform: Bachelor, Master, PhD – letzterer ersetzt den traditionellen Kandidat nauk. Eine Doktorantur, das Äquivalent zu einer Habilitation, dauert drei Jahre und sieht vor, dass der Doktor der Wissenschaften anschließend von der Hochschule in eine entsprechende Position übernommen wird. Das PhD-Programm dauert vier Jahre, eine Verlängerung ist nicht ohne weiteres möglich.
Das Hochschulwesen ist zentralistisch orientiert, die Zuständigkeiten liegen beim Bildungsministerium. Vorrangiges Ziel des Hochschulreformgesetzes ist einerseits die Stärkung der Autonomie der Hochschulen, sowohl im finanziellen als auch im curricularen Bereich – insbesondere für die designierten Forschungsuniversitäten. Typisch für den postsowjetischen Raum sind rigide, präskriptive curriculare Vorgaben seitens des Ministeriums, sogenannte Staatliche Standards. Diese werden zurzeit zu kompetenz- und outputorientierten Vorgaben umgeschrieben; die Curriculumsplanung wird an die Universitäten verlagert. Andererseits behält sich das Ministerium einen erheblichen strategischen Einfluss vor: die Änderungen zum Hochschulgesetz 2020 sehen vor, dass das Ministerium mit den Hochschulrektoren (Frauen sind in dieser Position extrem selten!) Zielvereinbarungen abschließt, deren Einhaltung Voraussetzung für einen Verbleib im Amt ist. Auch sollten die Hochschulleitungen nun noch aus einer vom Bildungsministerium vorab bestimmten Short List gewählt werden. Zu sehen sind diese Regelungen vor dem Hintergrund, dass die Rektoren der großen ukrainischen Hochschulen zum Teil 20 Jahre und mehr im Amt sind und sich jeder Reform widersetzen – vor allem auch dem Versuch, ihre Amtszeit zu begrenzen.
Die Forschung, die traditionell an den Akademien der Wissenschaften verankert ist, soll verstärkt an die Hochschulen gehen. Über den National Research Council, der 2018 seine Arbeit aufgenommen hat, können nun auch Hochschulen Forschungsgelder kompetitiv beantragen. Unter den augenblicklichen Bedingungen bleibt abzuwarten, ob genügend Gelder bereitgestellt werden können, um einen Wettbewerb zu gewährleisten.
Auch weiterhin werden die Akademien der Wissenschaften Doktoranden ausbilden können, zudem wurde 2017 an der Akademie der Wissenschaften eine neue Hochschule, die Kyiv Academic University (KAU), gegründet. Hierbei handelt es sich um eine Graduate School, die bereits im Masterstudium an die Forschung heranführt. Ihr Angebot beschränkt sich auf die Naturwissenschaften.
Verfasserin: Dr. Gisela Zimmermann, Leiter des DAAD-Informationszentrums Kiew
Der DAAD ist in der Ukraine mit einem Informationszentrum in Kiew vertreten. Darüber hinaus gibt es Lektorate an zehn Standorten über das Land verteilt.