Russische Föderation: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Eine Beschreibung des Wissenschaftssystems der Russischen Föderation (RF) kann gegenwärtig nur eine Momentaufnahme sein. Seit 2009 ist es Gegenstand eines umfassenden Modernisierungsprozesses und dadurch einem grundlegenden und noch einige Jahre andauernden Wandel unterworfen. Hauptziel der staatlichen Wissenschaftspolitik ist es, das Wissenschaftssystem und mit ihm die Hochschulen auf die Entwicklung und Steigerung einer vor allem wirtschaftlichen Innovationsfähigkeit der russischen Gesellschaft auszurichten. Damit orientiert sich die russische Reform in vielen Hinsichten an Umsteuerungen in der staatlichen Wissenschaftsfinanzierung und Wissenschaftslenkung, die andere Industrieländer und auch die Europäische Union bereits einige Jahre zuvor eingeleitet haben.

Auch in der russischen Föderation steht eine auf Indikatoren gestützte Qualitätssicherung von Forschung und Lehre im Vordergrund, wird eine kostenbewusste Kontrolle der Systemeffektivität angestrebt und soll eine wettbewerbsgesteuerte Differenzierung der Institutionen produktivere Leistungsspitzen vor allem in der Forschung hervorbringen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Internationalisierung des Wissenschaftssystems. Sie dient vor allem drei Zielen: Sie soll die eigenen Hochschulstrukturen besser anschlussfähig an die der führenden ausländischen Forschungsnationen machen, sie soll zusätzliche finanzielle Ressourcen durch eine kostenpflichtige Vergabe von Studienplätzen an Ausländer einbringen und sie wird auch als Instrument für die Bildung von Soft Power verstanden.

Ein wesentliches Merkmal der Reform ist die Neustrukturierung des Hochschulbereichs. Aus der UdSSR hatte die Russische Föderation circa 630 staatliche – darunter 519 für Ausländer zugelassene – öffentliche und nicht-öffentliche Hochschuleinrichtungen geerbt. Circa 500 nicht-staatliche Hochschulen und circa 1.300 Hochschulfilialen waren bis 2011/2012 hinzugekommen. Bedingt durch den demographischen Einbruch der 1990er Jahre ist die Zahl der Studierenden von 7,5 Millionen im Jahr 2007 auf 5,2 Millionen 2014/2015 gesunken, bis 2025 geht man von 4,2 Millionen aus. Insgesamt wird eine Reduktion der staatlichen Hochschulen auf etwa 500 im Jahr 2020 angestrebt.

Typologisch sind zu unterscheiden:

  • die Universität: breites Fächerspektrum, Promotions- und Habilitationsrecht, große Studentenzahlen (mehr als 6.000)
  • die Akademie (nicht zu verwechseln mit der Akademie der Wissenschaften!) mit Konzentration auf eine Fachrichtung (zum Beispiel Medizin, Jura, Landwirtschaft, Kunst), Promotions- und Habilitationsrecht, aber eher kleinere Studentenzahlen (weniger als 6.000)
  • das Institut mit ausschließlichen Lehraufgaben, keine Forschung; durch die Prozesse nach 1990 fast verschwunden.

Rund 60 Prozent der Hochschulen und Universitäten sind direkt dem Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung unterstellt, circa 40 Prozent sogenannten „Branchenministerien“; zum Beispiel unterstehen medizinische Einrichtungen dem Gesundheitsministerium, die Transport- und Verkehrshochschulen dem Verkehrsministerium. Das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung hat aber die Rahmenkompetenz für Hochschulzugangs- und Abschlussregelungen, internationale Anerkennungsfragen, den Bologna-Prozess und Strukturfragen und ist zugleich zuständig für die Weiterentwicklung der russischen Hochschulreform.
Ein erster Meilenstein der Hochschulreform war die Bildung einer Gruppe von „Führenden Universitäten“, die mit erheblichen zusätzlichen Mitteln und Selbstverwaltungsbefugnissen ausgestattet sind, die aber auch dezidierten Anforderungen genügen müssen. Gegenwärtig gibt es 45 „Führende Universitäten“. Hierzu gehören die beiden autonomen Universitäten Moskau und St. Petersburg, zehn „Föderale“ sowie 29 „Nationale Forschungsuniversitäten“ und vier weitere hochschulpolitisch wichtige Universitäten.

Zusätzliche Förderung erhalten zudem bisher 80 Hochschulen, die zu einer „Stützuniversität“ erklärt worden sind. Ihr Fokus ist die Deckung eines regional definierten Ausbildungsbedarfs. Dafür sollen sie insbesondere auch mit regionalen Wirtschaftsunternehmen bei der Ausgestaltung des Studienangebots kooperieren.

Ebenso weitreichend wie im Hochschulwesen stellen sich die Strukturreformen im außeruniversitären Bereich dar. Die institutionengeschichtlich bis ins Jahr 1720 zurück verfolgbare Russische Akademie der Wissenschaften (RAN) ist seit Ende 2014 in ihrer traditionellen Struktur aufgelöst worden. Dem Präsidium der RAN ist die Leitung der Akademie in Fragen der Liegenschaftsverwaltung, der Rechts- und Finanzautonomie, der Frage der akademischen Selbstergänzung und wissenschaftlichen Selbstverwaltung weitgehend entzogen worden. Das Recht der wissenschaftlichen Qualifizierung (Promotion, Habilitation) ist geblieben, die Frage eines wissenschaftsgeleiteten Verfahrens bei der Auswahl der Forschungsprioritäten gegenüber staatlicher Programmforschung ist auch in Russland Gegenstand einer kontroversen Diskussion. Einigkeit besteht sowohl auf Seiten der Russischen Akademie der Wissenschaften sowie auf Seiten des seit 2018 für ihre Aufsicht zuständigen Ministeriums für Wissenschaft und Hochschulbildung darin, dass die RAN zukünftig verstärkt Rolle bei der Entwicklung von Wissenschaftsstrategien und Wissenschaftskommunikation wahrnehmen soll. Außerdem wurde im Jahr 2019 gesetzlich verfügt, dass alle Förderentscheidungen des Wissenschaftsministeriums zukünftig durch eine unabhängige wissenschaftliche Expertise der RAN zu begründen sind.

Fernziel der Reform außeruniversitärer Forschung in Russland ist neben einer allgemeinen Performanz- und Effizienzsteigerung eine Schwerpunktverlagerung von der Grundlagenforschung zu einer Anwendungsorientierung. Angestrebt wird ein Umbau der RAN-Institute und weiterer direkt der russischen Regierung unterstellter Forschungszentren nach dem deutschen Modell eines synergetisch organisierten Forschungssystems, wie es sich in der differenzierten Aufgabenzuteilung von MPG, FhG, HGF, Leibniz-Gemeinschaft und den deutschen Hochschulen abbildet.

Verfasser: DAAD-Außenstelle Moskau

Der DAAD ist in der Russischen Föderation mit je einem Informationszentrum in St. Petersburg, Nowosibirsk und Kazan vertreten sowie einer Außenstelle in Moskau. Darüber hinaus gibt es derzeit 34 Lektorate, die über das Land verteilt sind.