Kuba: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Über nunmehr sechs Jahrzehnte wurde und wird Bildung in Kuba als Schlüssel zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung gesehen und langfristige, zielgerichtete Bildungspolitik betrieben. Kuba setzt auf die Stärken der Wissensgesellschaft. Vom Kindergarten bis zur Promotion ist die Nutzung von Bildungseinrichtungen für Kubanerinnen und Kubaner nach wie vor kostenfrei. Einem humanistischen Bildungsideal folgend wird der Zugang zu Bildung als Menschenrecht angesehen, das keiner Kommerzialisierung unterliegen darf. Mit knapp 13 Prozent des BIP investiert der kubanische Staat laut Angaben der Weltbank so viel in Bildung, wie sonst kein anderes Land weltweit. Die Alphabetisierungsquote ist mit 99,8 Prozent die höchste in Lateinamerika , die Einschulungsquote liegt bei 100 Prozent. Damit ist Kuba das einzige Land in Lateinamerika, das die Ziele des UNESCO-Programms „Education for All“ erreicht hat. Dies wirkt sich in der Folge auch positiv auf den Schul- und Hochschulbereich aus.

Im Jahr 2019 existieren in Kuba 50 Universitäten und Hochschulen (1959 hatte die Zahl bei 3 gelegen) mit über 240.000 Studierenden. Darüber hinaus gibt es 126 Universitäts-zweigstellen, also Einrichtungen der tertiären Bildung auf kommunaler Ebene. Rechnet man alle für postgraduale Programme und Kurse eingeschriebenen Personen ein (302.734 5 ), so beläuft sich die Zahl der Immatrikulierten auf über 542.000. Unentgeltlich ist dabei nicht nur das Studium, sondern auch Kost und Logis für die Studierenden. Kuba gibt im Schnitt 3 Prozent des BIP für den Hochschulsektor aus.6 Insgesamt besitzen von den 11,27 Millionen Kubanerinnen und Kubanern fast 1,5 Millionen einen Hochschulabschluss, das sind etwa 12 Prozent der Gesamtbevölkerung bzw. 22 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.

Die Hochschul- und Forschungseinrichtungen in Kuba sind ausnahmslos öffentlich. Als führende Universitäten gelten die Universidad de La Habana (UH, gegründet 1728), die Universidad Tecnológica de La Habana (CUJAE), die Universidad Central de las Villas (UCLV) in Santa Clara und die Universidad de Oriente (UO) in Santiago de Cuba. Die Qualität von Forschung und Lehre wird regelmäßig durch ministerielle Kommissionen evaluiert (acreditación). Bei der letzten nationalen Evaluierung 2018 lagen die Universitäten Havanna, Santa Clara und Santiago de Cuba beim Ranking ganz oben und wurden mit dem Exzellenz-Siegel ausgezeichnet. Administrativ werden die kubanischen Hochschulen durch Ministerien (insbesondere das Ministerio de Educación Superior, MES) in Havanna geführt, die alle hochschulrelevanten Prozesse sowie die Prioritäten im postgradualen Studium und in der Forschung festlegen. Die Universitäten und Forschungszentren sind in staatliche Strategien eingebunden und haben genau definierte Forschungslinien.

Die beliebtesten Studienfächer sind Medizin (36,4 Prozent), Pädagogik (19,4 Prozent) und technische Wissenschaften (13,5 Prozent7 ). Neben der Form des Präsenzstudiums sind im kubanischen Hochschulwesen insbesondere die berufsbegleitenden Studienmöglichkeiten gut ausgebaut, zum Beispiel als Blockstudium oder Fernstudium. Für ein Blockstudium haben sich 2018-2019 in Kuba insgesamt 89.000 Studierende eingeschrieben. Zudem gibt es ein gut funktionierendes System, über den zweiten Bildungsweg den Zugang zu Hochschulbildung zu erlangen (299 „Arbeiter- und Bauernfakultäten“ mit über 77.000 Immatrikulierten im Jahr 2016-2017).

Substanz und Grundlagen des kubanischen Hochschulsystems sowie der gesellschaftliche Outreach des Hochschulstudiums sind somit außerordentlich gut, zumal im karibischen oder lateinamerikanischen Vergleich. Was allerdings die finanzielle Ausstattung betrifft, befindet sich der Bildungs- und Wissenschaftsbereich zunehmend in der Krise: Die seit den 1990er Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Probleme und der damit einhergehende Brain-Drain von Hochschullehrern und Forschern hinterlassen ihre Spuren. Kubanische Hochschulen bieten weiterhin eine teilweise hervorragende theoretische Ausbildung; praktische Forschungstätigkeiten mit Bedarf an Geräten und Materialien können hingegen aufgrund der prekären Wirtschaftslage sowie der Beschränkungen durch das US-Embargo im Ankauf von wissenschaftlichem bzw. technischem Gerät an vielen kubanischen Institutionen nur eingeschränkt geleistet werden.

Das Einkommen von Hochschullehrern reicht in der Regel nicht zur Deckung ihres Lebensunterhalts. Daran ändert auch die Reform der Gehälter im öffentlichen Sektor vom Juli 2019 nichts, obgleich die in diesem Kontext vorgenommene Verdoppelung bis Verdreifachung der Gehälter einen hohen Symbolwert besitzt und zumindest für die Zukunft sicher stellen dürfte, dass junge Kubanerinnen und Kubaner den Lehrberuf oder sonstige Berufe im staatlichen Bereich nicht aus finanziellen Gründen von vorneherein ausschließen8 . Trotz der mäßigen Bezahlung steigt die Gesamtzahl der Hochschuldozentinnen und -dozenten in Kuba seit 2012 beständig an. Auch Abwanderung in den privaten Sektor findet nur in geringem Ausmaß statt, denn die seit 2011 entwickelten Möglichkeiten für Kubanerinnen und Kubaner, sich selbständig zu machen und auf „eigene Rechnung“ (por cuenta propia) zu arbeiten, betreffen den Bildungsbereich kaum; dieser soll – wie auch der Gesundheitssektor – aufgrund seiner strategischen Schlüsselstellung in staatlicher Hand bleiben.

Auch bei den jungen Kubanerinnen und Kubanern hat das Studium nicht an Attraktivität eingebüßt, wie die Zahlen der Erstsemester zeigen: Zwar gab es zuvor ab 2010 einen Einbruch bei den Studierendenzahlen, der jedoch weitgehend mit internen Regularien des Studienzugangs zu tun hatte: Vom Hochschulministerium wurden neue Eingangsvoraussetzungen festgelegt, um die Anforderungen an die Studienanfänger zu erhöhen und so die Qualität der Studiengänge zu steigern. Seit 2011 steigen die Zahlen wieder stetig an.

Um den inhaltlichen und administrativen Herausforderungen des Hochschulwesens zu begegnen, hat das kubanische Hochschulministerium (MES) 2013 einen Reformkurs eingeleitet. Ein zentrale ereich dieser Reform ist die sogenannte „integración“ der Hochschulen. Dabei geht es um die Zusammenlegung mehrerer kleinerer Hochschulzentren zu größeren Hochschulen mit erhöhter Visibilität. So wurden in den vergangenen Jahren die Pädagogischen Hochschulen (außer der Universidad de Ciencias Pedagógicas „Enrique José Varona“ in Havanna) sowie die sport-wissenschaftlichen Fakultäten des Landes in die jeweiligen Universitäten der Region integriert. Auf diese Weise will man stärkere Synergieeffekte erzeugen und die Hochschulausbildung insgesamt inter- und transdisziplinärer gestalten. Dieser Fusionierungsprozess verlief etappenweise und hat mittlerweile alle Provinzen Kubas durchlaufen.

Eine „statistische Folge“ der Integration ist, dass die zuvor dem Erziehungsministerium (MINED) zugeordneten 16 Pädagogischen Hochschulen heute in den 27 Universitäten und Forschungsstätten aufgegangen sind, die dem Hochschulministerium MES unterstehen. Auch die sportwissenschaftlichen Fakultäten, die vorher dem Nationalen Institut für Sport und Erholung (INDER) beigeordnet waren, wurden nun integriert und unter die Aufsicht des MES gestellt. So erklärt sich die gesunkene Anzahl der kubanischen Institutionen der Hochschulbildung, die 2014 noch bei 58 lag, 2018 jedoch nur noch bei 50.

Weitere Institutionen der Hochschulbildung sind neben den genannten die Kunsthochschule Havanna (Universidad de Las Artes, ISA), die dem Kulturministerium zugeordnet ist, sowie die Hochschule für Internationale Beziehungen (ISRI), die dem Außenministerium untersteht. Darüber hinaus existieren einige wenige Hochschulen, die dem militärischen Sektor zugehören und vom Innenministerium abhängen. Separat vom MES bleiben weiterhin die Einrichtungen der medizinischen Tertiärbildung, die dem Gesundheits-ministerium (Ministerio de Salud Pública, MINSAP) unterstehen. Es sind dies: drei nationale Medizinische Hochschulen (Havanna, Santa Clara, Santiago de Cuba), eine internationale Medizinische Hochschule in Havanna, eine virtuelle Medizinische Hochschule, neun Forschungszentren, sieben Forschungsinstitute, neun Universitäts- und Lehrkrankenhäuser sowie sechs Universitäts- und Lehrpolykliniken. Die Unabhängigkeit vom Hochschulministerium erklärt sich sowohl historisch als auch dadurch, dass der medizinische Sektor für die Volkswirtschaft Kubas eine Schlüsselstellung einnimmt, etwa durch Transaktionsgeschäfte mit anderen Staaten, bei denen medizinische Dienstleistungen zum Beispiel gegen Öl getauscht werden.

Weitere Aspekte der Reformen im kubanischen Hochschulwesen beziehen sich auf die Reorganisation des grundständigen und des postgradualen Studiums: Landesweit wird sukzessive in allen Studiengängen die Studiendauer reduziert und neue, aktualisierte Curricula werden implementiert. Bislang musste ein Studierender für einen ersten Abschluss (Licenciatura) fünf Jahre Studienzeit kalkulieren; diese wird nun auf vier Jahre reduziert. International wird eine kubanische Licenciatura als Bachelor angerechnet, so dass die Verkürzung der Studiendauer die bisherige Schieflage etwas korrigiert. Außerdem wurde durch die Reform festgelegt, dass Englisch ein obligatorischer Bestandteil aller Abschlussprüfungen wird, unabhängig vom Studienfach. Dementsprechend werden verstärkt Englischkurse angeboten und Sprachenzentren eingerichtet.

Prinzipiell soll eine Verbesserung der Hochschullehre durch die Höherqualifizierung des universitären Lehrpersonals erreicht werden. Bislang verfügen 44 Prozent der kubanischen Hochschuldozentinnen und -dozenten über einen Masterabschluss und 9,9 Prozent über eine Promotion. Diese Quote soll weiter erhöht werden, so dass derzeit ein deutlicher Schwerpunkt des MES auf der Förderung von Promotionen und Forschung liegt, auch in der internationalen akademischen Zusammenarbeit.

Generell wird in Kuba seit 1959 Forschung und Lehre sehr anwendungsbezogen betrieben, die Wissenschaft soll dezidiert dazu beitragen, Probleme im Land zu lösen. Akademische Schwerpunkte und prioritäre Forschungslinien des MES liegen insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit und der Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen: Agrarwissenschaften mit den Themen nachhaltige Land- und Viehwirtschaft sowie Lebensmittelproduktion und -sicherheit spielen eine herausragende Rolle, auch die Ingenieurwissenschaften mit den Schwerpunkten Infrastruktur, Verkehr, Kulturerhalt, intelligente Städte sowie saubere Energie. All diese Themen werden stark auch im Kontext von lokaler Entwicklung gedacht.

In den Naturwissenschaften und den Life Sciences sind Biotechnologie- und Energiethemen vorrangig, als Querschnittsthema ist Nanotechnologie von großem Interesse, insbesondere für Anwendungen im Bereich von Medizin und Energieerzeugung. Aufgrund der oben erwähnten Fusionierungsprozesse sind auch didaktische Fragestellungen, die Lehrerausbildung an Hochschulen (besonders im Bereich der MINT-Fächer) sowie sportwissenschaftliche Themen sehr aktuell.
In den kubanischen Wirtschaftswissenschaften sind Fragen der Wirtschaftsethik von Bedeutung. Generell finden auch Themen wie Technologietransfer sowie Forschung, Entwicklung und Innovation große Beachtung.

Verfasserin: Dr. Ulrike Dorfmüller, DAAD-Lektorin in Havanna

Der DAAD ist in Kuba derzeit mit einem Lektorat in Havanna vertreten.