Nigeria: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Angesichts solcher Zahlen wird wiederkehrend die Frage nach der akademischen Qualität dieser Einrichtungen aufgeworfen. 58 dieser Institutionen (26 Federal, 22 State und 15 privat) besitzen zusätzlich auch eine Zulassung für die Verleihungen von Postgraduate Diplomas. Ähnlich wie in diversen anderen afrikanischen Staaten gibt es zusätzlich eine große Anzahl (aktuell ca. 60) sogenannter „Diploma Mills“, Institutionen die nicht die nationalen Qualitätskriterien erfüllen und daher auch nicht durch die National Universities Commission (NUC) akkreditiert sind.
Alle bedeutenden Städte (Lagos, Ibadan, Abuja, Kano, Port Harcourt) beherbergen große und renommierte Universitäten, darunter die 1948 gegründete University of Ibadan (UI) als älteste HE-Einrichtung Nigerias. Aktueller Rektor („Vice-Chancellor“) ist Prof. Idowu Olayinka, ein Alumnus des DAAD und der AvH. Die UI hat im Ranking der National University Commission (NUC) wiederholt den ersten Platz belegt. Dazu kommen einige wenige angesehene Einrichtungen in kleineren Städten wie die University of Nigeria in Nsukka oder die Ahmadu Bello University in Zaria mit fast 50.000 Studierenden. Wenngleich die Angaben aufgrund der unübersichtlichen und hoch komplexen Situation stark variieren, waren 2011 schätzungsweise zwischen 1,2 bis 1,7 Millionen Studierende im nigerianischen Hochschulsektor registriert– die mit weitem Abstand größte Zahl im Sub-Kontinent.

Nigeria ist ein äußerst junges Land: rund 62 % der Nigerianer sind jünger als 25 Jahre; das jährliche Bevölkerungswachstum lag zuletzt bei international stark überdurchschnittlichen 2,62 %.
Bis in die 1980er-Jahre genoss das nigerianische Hochschulsystem einen sehr guten Ruf, sowohl regional als auch über die Grenzen des Kontinents hinaus. An zahlreichen Fakultäten unterrichteten internationale Top-Professoren und die nationale Forschung entsprach – qualitativ ebenso wie quantitativ – vielerorts den Standards westlicher Eliteeinrichtungen. Das Militärregime in den 90er Jahren ließ das System jedoch verfallen. Ein Großteil der akademischen Elite verließ das Land. davon haben sich die Universitäten bis heute - trotz einiger weiterbestehender akademischer Leuchttürme - noch nicht wieder vollständig wieder erholt.
Der Hochschulsektor sieht sich gegenwärtig mit folgenden strukturellen Problemen konfrontiert:

  • Zugang:
    Der massive Zuwachs an Studierendenzahlen sprengt mehr und mehr die Kapazitäten der nigerianischen Hochschulen. Einerseits hat sich das Angebot erheblich verbessert: die Anzahl der anerkannten Hochschulen in Nigeria ist zwischen 2005 und 2017 von 51 auf 153 gewachsen, zudem haben fast alle etablierten Einrichtungen ihr internes Angebot vervielfacht. Andererseits ist die Nachfrage exponentiell in die Höhe geschnellt – bedingt durch das massive Bevölkerungswachstum, politische Fokussierung und die (wenn auch langsamen) Erfolge im Schulsektor. So bewarben sich im vergangenen Jahr über 1,7 Millionen Schulabsolventen auf weniger als 500.000 Studienplätze. Dies führt zu enormem Leistungsdruck, hoher Frustration und birgt massive sozio-ökonomische Risiken.
     
  • Qualität der Lehre:
    Unter diesen Bedingungen hat nachweislich auch die Qualität der Hochschulbildung gelitten. Überfüllte Vorlesungssäle, mangelnde individuelle Betreuungsangebote und, allen voran, katastrophale „students-per-teacher-ratios“ bestimmen das Bild. Schätzungen zufolge sind aktuell rund 40 % der Universitäts- und sogar 60 % der Polytechnics-Dozentenstellen vakant. Dies rührt primär von knappen Fakultätsbudgets, aber auch das Fehlen von qualifiziertem Personal. Aufgrund dieser Bedingungen sind viele Hochschulen dazu übergegangen, auch „minderqualifizierte“ Lehrkräfte (in der Regel junges Personal mit Bachelor-Abschluss) einzustellen. Allerdings entspricht diese Vorgehensweise nicht den nationalen Qualitätsstandards, sodass die Regierung wiederholt mit der Entlassung der betroffenen Dozenten gedroht hat. Diese Situation gleicht einer „Zwickmühle“, der entweder Qualität oder Quantität der Lehre zum Opfer fallen. In den letzten Jahren ist in Nigeria eine sehr klare Bewegung in Richtung Quantität zu beobachten. An manchen Institutionen bekommen so gut wie alle Kandidaten ihren Abschluss, egal ob qualifiziert oder nicht. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile eine ganze Reihe von Schlüsselpositionen von Personen besetzt sind, die nicht über die nötige Qualifikation verfügen.
     
  • Finanzdefizite und deren Folgen:
    Vielen dieser Probleme liegt die prekäre Finanzlage des Hochschulsektors zugrunde. Zwar gibt Nigeria im regionalen Vergleich überdurchschnittlich viel Geld für Bildung aus, jedoch hatten der gleichzeitige enorme Zuwachs an Hochschul- und Studierendenzahlen und die hohe Inflation einen Einbruch der relativen ‚pro-Kopf‘-Aufwendungen zufolge. Für die wachsende Anzahl von privaten Einrichtungen ist es darüber hinaus unmöglich, auf Mittel von Nigerias „Tertiary Education Trust Fund“ zuzugreifen, welcher über Steuerzahlungen des Privatsektors finanziert wird. So sehr dieser TETF auch der Finanzierung staatlicher Hochschulen dient, ist er gleichzeitig ein massiver Hebel der Regierung, Hochschulen bei unzureichender Qualität oder Korruption finanziell unter Druck zu setzen. Ein weiteres massives Problem ist das niedrige Lohnniveau der Hochschulangestellten. Dies hat nachweislich deren Arbeitsmoral untergraben und zudem wiederholt zu massiven Bestreikungen der Universitäten geführt.
     
  • Internationale Mobilität und Humankapitalflucht / „Brain Drain“:
    Nigeria wird weithin als eines der afrikanischen Länder mit der höchsten „Outbound Mobility“ geführt. Bedingt durch die anhaltenden Phasen der Gewaltherrschaft in den 1980er- und 1990er-Jahren sowie wiederholt aufkeimende interne Konflikte haben große Teile der Bildungselite eine geringe Hemmschwelle, das Land zu verlassen. Aufgrund des Verfalls der Lehrbedingungen hat sich dies zunehmend auch auf die jüngere Generation übertragen. Besonders unter wohlhabenden Studierenden bieten Großbritannien, die USA und Europa, aber zunehmend auch Asien (allen voran Malaysia, gefolgt von China und Südkorea) oder direkte Nachbarstaaten wie Ghana attraktive Alternativen. Da relativ viele Absolventen anschließend nicht zurückkehren, hat Nigeria bereits jetzt mit massiver Humankapitalflucht („Brain Drain“) und den fatalen wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen.

Neben diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten sehen sich Akademikerinnen im Verlauf ihrer Karriere mit genderspezifischen Herausforderungen konfrontiert: Benachteiligende Gesetzesgrundlagen, allgegenwärtiger Sexismus und Ausschluss aus informellen Netzwerken führen zu struktureller Benachteiligung. Die Leitungsebene der Universitäten ist zu einem hohen Prozentsatz männlich dominiert.

Trotz dieser Probleme gibt es auch positive Entwicklungen für Nigerias Hochschulsektor zu verzeichnen. Nigeria ist einer der regionalen Vorreiter beim Qualitätsmanagement im Hochschulbereich und hat über die Jahre einen recht guten und transparenten Kriterienkatalog für die Akkreditierung an Hochschulen etabliert. Afrikaweit bekannt ist das Life and Earth Science Institute“ der University of Ibadan (UI), eines der fünf „Centres of Excellence“ der Pan-African University (PAU). Ende 2013 gewannen nigerianische Hochschulen zudem beachtliche zehn der insgesamt 15 Förderungen im Rahmen des „Africa (Higher Education) Centers of Excellence“ (ACE) Projektes der Weltbank für Westafrika. Dieses Ergebnis wurde in der nigerianischen Öffentlichkeit mit Wohlwollen aufgenommen und als Erfolg der Bildungspolitik propagiert; es hat jedoch auch große Erwartungen und Hoffnungen an ein erneutes Aufblühen der nationalen Hochschultradition entfacht.

Aus deutscher Sicht ist besonders die 2008 durch Bundeskanzlerin Merkel und den damaligen Staatspräsidenten Yar'Adua ins Leben gerufene Nigerianisch-Deutsche Energiepartnerschaft (NGEP) interessant. Diese verfolgt die Stärkung des nigerianischen Energiesektors und die gleichzeitige Sicherstellung des deutschen Energiebedarfs, u.a. mittels gemeinsamer Forschungsprojekte und Technologietransfers. Die Komplettversorgung der Universitäten Ibadan und Zaria mit Solarstrom wird anvisiert, erste Anlagen wurden 2016 eingeweiht.

Nigerias Bildungssystem ist, grob angelehnt an das britische Vorbild, nach einer 6-3-3-4 Struktur aufgebaut. Die ersten neun Jahre – bestehend aus sechs Jahren Primary Education und drei Jahren Junior Secondary – fallen unter die allgemeine und kostenfreie Schulpflicht. Dieses Prinzip konnte in der Vergangenheit jedoch nur bedingt umgesetzt werden, mit Problemen besonders in ländlichen Gegenden.
Daran anknüpfend können Schülerinnen und Schüler die Senior Secondary besuchen, an denen sie nach drei Jahren (bzw. vier Jahren im Falle des West African School Certificates) einen Abschluss erwerben, mit dem sie zur zentralen Universitätszulassungsprüfung (JAMB) zugelassen werden. Auf diesen folgt eine weitere universitätseigene Zulassungsprüfung. Im Hochschulbereich kann zwischen dem technischen (z.B. vier Jahre an einem der Polytechnic Colleges) und dem universitären Zweig gewählt werden (s. Grafik unten). Letzterer setzt sich in der Regel aus vier Studienjahren bis zum Bachelor, ein bis zwei Jahren bis zum Master sowie zwei bis drei weiteren Jahren bis zur Promotion zusammen. Ausnahmen bilden Human-, Veterinär- und Zahnmedizin- mit je fünf Jahren bis zum Studienabschluss, ebenso wie die regional variierende Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern.

Nach der Junior Secondary besteht alternativ auch die Möglichkeit einen technischen Ausbildungsberuf zu erlernen. Dies wird primär an sogenannten Technical Colleges angeboten, die nach drei Jahren ein National Technical Certificate und nach weiteren drei Jahren ein Advanced National Technical / Business Certificate verleihen.´Nur in Ausnahmefällen ist ein Wechsel zwischen dem universitären und dem technischen Ausbildungszweig möglich, ein Aspekt der zuletzt stark kritisiert wurde. Zudem ist es in der Praxis aufgrund mangelnder Studienplätze und hoher Kosten äußerst wenigen Studierenden vorbehalten über den Bachelor hinaus zu studieren.

Die Allgemeine Unterrichtssprache ist Englisch, wobei in der Grundschule - abhängig von Region und Ethnie – primär Hausa, Igbo oder Yoruba beziehungsweise Pidgin gesprochen wird. Das akademische Jahr ist in zwei Semester zu je 18 bis 20 Wochen unterteilt, der akademische Kalender September bis Juli des Folgejahres kann allerdings seit vielen Jahren aufgrund diverser Streiks nicht eingehalten werden und variiert daher von Universität zu Universität erheblich. Faktisch tritt es häufig auf, dass in einem Semester nur 8 bis 10 Wochen Unterricht stattfindet.

Für ein Studium in Nigerias Hochschulen fallen stark variierende Kosten an: An Institutionen auf dem Federal-Level werden in der Regel keine Gebühren erhoben, am State-Level Hochschulen meist nur für Studierende aus anderen States bzw. dem Ausland. Für diese werden häufig bis zu 500 EUR pro Jahr erhoben. Private Einrichtungen hingegen sind fast immer kostenpflichtig, wobei die Höhe der Gebühren stark variieren kann, von unter 500 EUR bis zu 25 TEUR pro Jahr.

Die politische Verantwortung und die fachliche Steuerung des Hochschulwesens liegen beim Federal Ministry of Education. Dies dient vor allem der Schaffung einheitlicher Standards und Lehrbedingungen im föderalen Nigeria. Die 36 Federal States haben jedoch die Verantwortung für das jeweilige (Grund-)Schulwesen inne und sind zudem zur Gründung eigener State Universities bevollmächtigt. Dadurch ist es in der Vergangenheit wiederholt zu Spannungen und Unklarheiten gekommen, was die Qualität und Vergleichbarkeit der Hochschulausbildung in Nigeria weiter untergräbt. Dem entgegenzuwirken, ist das Anliegen der Association of Vice Chancellors of Nigerian Universities, einer Vereinigung aller 162 Hochschulen.

 

Verfasser: Christoph Hansert, DAAD Bonn

Der DAAD ist in Nigeria mit zwei Lektoraten an der University of Ibadan und der University of Lagos vertreten.