Marokko: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Das Bildungswesen zählt zu den Prioritäten des Königs und der Regierung, weist jedoch weiterhin große Schwächen auf. Die Einschulungsquote ist zwar gestiegen und liegt landesweit für 6-Jährige bei 92 Prozent. Von der Gruppe der 15-Jährigen besucht allerdings nur noch die Hälfte eine Schule. Knapp 30 Prozent der über 15-Jährigen gelten offiziell als Analphabeten, andere Quellen sehen diese Quote höher. Die Quote der Analphabeten ist auf dem Land deutlich höher als in den Städten, besonders unter Frauen und Mädchen. Mädchen auf dem Land genießen trotz der 1963 eingeführten Schulpflicht immer noch keine adäquate Schulausbildung. Wie die Schulen, leiden auch die Universitäten seit Jahren unter Überfüllung und schwacher Mittelausstattung.

2019/2020 waren an den 12 staatlichen Hochschulen 913.713 Studierende eingeschrieben. Im Ver-gleich zum letzten Jahr steigen hier die Zahlen kontinuierlich an (vergleiche Vorjahr: 864.289). Marokko leidet seit Jahren unter steigenden Studierendenzahlen, mit denen der Ausbau der Lehrkapa-zitäten nicht Schritt halten kann und die einhergehen mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen lag 2019 bei 118.427.  Zentrale Herausforderungen für das marok-kanische Hochschulsystem sind die hohe Abbrecherquoten: 58 Prozent der Studierenden machen keinen Abschluss, nur 13 Prozent der Studierenden absolvieren ihr Bachelor-Studium in der Regelstudienzeit.  Ein weiteres, ganz zentrales Problem: der marokkanische Arbeitsmarkt ist nicht in der Lage, selbst diese eingeschränkte Anzahl von Schul- und Studienabgängerinnen und -abgängern in ausreichendem Maße aufzunehmen. Die Arbeitslosenquote von Graduierten liegt derzeit bei über 17 Prozent, während sie bei Altersgenossen ohne jegliche Ausbildung bei nur rund 4 Prozent liegt.

Politische Grundlage für die Weiterentwicklung des marokkanischen Bildungs- und Forschungswesens ist die „Vision Stratégique de la Réforme 2015-2030“ des marokkanischen Hohen Rats für Bildung, Ausbildung und Wissenschaftliche Forschung.  Die Strategie basiert auf der Prämisse, dass wissenschaftliche und technische Forschung sowie Innovation die strategisch wichtigsten Rollen für die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung Marokkos und für die Stärkung im globalen Wettbewerb spielen. Unter anderem sollen auch vermehrt digitale Angebote Forschung und Lehre in Marokko unterstützen.

Höhere Bildungsabschlüsse können in Marokko auf mehreren Ausbildungswegen erworben werden. Die Hochschullandschaft teilt sich auf in 12 staatliche und 194 private Hochschulen, es kommen noch 50 weitere Einrichtungen hinzu, die dem privaten Sektor zuzuordnen sind.  Ein Sonderfall ist die Université Internationale de Rabat in Salé, die auf einer public-private partnership beruht.

An den staatlichen Universitäten wurde mit der Hochschulreform 2003/2004 die dreistufige Stu-dienstruktur (Bachelor - Master - Promotion) eingeführt. Die jeweiligen Regelstudienzeiten betragen sechs Semester für den Bachelor, vier Semester für den Master und drei Jahre für die Promotion. Ab dem Studienjahr 2020/2021 wird ein neuer Bachelor eingeführt: Die Licence-Studiengänge werden auf eine Regelstudienzeit von vier anstatt drei Jahren erhöht.  Die marokkanischen Universitäten unterteilen sich nicht nur in verschiedene Fakultäten (facultés), sondern können außerdem sogenannte "Ecoles" oder "Instituts" umfassen, die meist auf ein ganz bestimmtes Fach spezialisiert sind. Für einige unter ihnen wird man häufig auch die Bezeichnung "Grande Ecole" hören. Dieser Begriff ist allerdings weder geschützt noch genau definiert und wird mehr oder weniger beliebig für diejenigen Ausbildungsstätten benutzt, die ein besonderes Prestige in der marokkanischen Gesellschaft genießen. Die staatlichen Universitäten erheben keine Studiengebühren.

Zur Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen können, je nach Einrichtung und Studienwahl, Bescheinigungen über vorhergehende Schul- bzw. Studienabschlüsse und/oder Arbeitserfahrungen sowie die Teilnahme an Aufnahmeprüfungen (concours) erforderlich sein. An einigen der oben genannten Ecoles und Instituts gelten dagegen strengere Zulassungsbedingungen, wie überdurchschnittliche Abiturergebnisse, Aufnahmeprüfungen und/oder die erfolgreiche Absolvierung zweijähriger Vorbereitungskurse (classes préparatoires).

Neben den öffentlichen Universitäten gibt es in Marokko andere dem Hochschulministerium (oder anderen Ministerien) unterstehende Einrichtungen für höhere Bildung, an denen man höhere Bildungsabschlüsse erwerben kann. Sie dienen meist der Ausbildung von Führungs- und Verwaltungskräften und werden dementsprechend als "établissements de formation des cadres" bezeichnet. Es gibt insgesamt 71 Einrichtungen, mehr als 25.000 Studierende sind hier aktuell eingeschrieben.  Zu diesen Einrichtungen gehören:
- naturwissenschaftlich und technisch orientierte Bildungseinrichtungen (établissements d'enseignement scientifique et technique)
- auf die Bereiche Wirtschaft, Jura, Verwaltung und Soziales spezialisierte Bildungseinrichtun-gen (établissements de formations économiques, juridiques, administratives et sociales)
- pädagogische Ausbildungsstätten (établissements de formation pédagogique)

Zusätzlich gibt es in Marokko eine Vielzahl privater Ausbildungsstätten, die auf höhere Bildungsabschlüsse vorbereiten und sie verleihen. Ob diese Abschlüsse denen des öffentlichen Bildungssektors gleichgestellt sind, hängt davon ab, ob die private Hochschule staatlich anerkannt ist (école pri-vée accréditée). Auf der Internetseite des marokkanischen Hochschulministeriums wird jährlich eine aktualisierte Liste der privaten Hochschulen mit staatlicher Anerkennung veröffentlicht. Die Studiendauer, die Studiengebühren sowie die Art und das Ansehen der Studienabschlüsse variieren von Einrichtung zu Einrichtung. Im akademischen Jahr 2018/2019 gab es 194 private Hochschuleinrichtungen, an denen knapp 19.000 Studierende eingeschrieben sind. 

Ergänzt wird das Spektrum um Hochschulen mit Spezialisierung auf Islamische Studien und Theologie wie der Al-Qarawiyin Universität, welche zu den ältesten Universitäten der Welt zählt. Heute gliedert sie sich in vier Fakultäten, die sich in den Städten Fès (Fakultät für islamisches Recht), Agadir (Fakultät für islamisches Recht), Tétouan (Theologische Fakultät; wörtl. Übersetzung: Grundlagen der Religion) und Marrakesch (Fakultät für arabische Sprache) befinden.

Das 1964 gegründete Dar al-Hadith al-Hassania Institut ist eine weitere Hochschule für Islamische Studien. Dort können die Studiengänge Religionswissenschaft (sciences de la religion) und Islami-sche Studien (études islamiques supérieures) studiert werden.

Darüber hinaus bieten auch einige geisteswissenschaftliche Fakultäten an den staatlichen Hochschulen den Studiengang Islamische Studien an.

Die Al-Akhawayn University ist eine renommierte, staatliche Hochschule, die 1993 vom marokkanischen König Hassan II. und dem saudi-arabischen König Fahd gegründet wurde. Sie befindet sich in Ifrane, einer Kleinstadt mit etwa 13.000 Einwohnern im Bergland des Mittleren Atlas. Das Studienangebot umfasst verschiedene Studienfächer der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Lehrveranstaltungen finden hauptsächlich in englischer, aber auch in französischer und arabischer Sprache statt. Die Al-Akhawayn University legt besonderen Wert auf eine internationale Vernetzung sowie auf beste Studienbedingungen für ihre Aus-tauschstudierende.

(Verfasser Kapitel I: IC Tunis)