Indische Fachkräfte im Fokus

Indische Studierende und Graduierte haben besonderes Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt.

Mit einem neuen Strategiepapier unterstreicht der DAAD den Wert der deutsch-indischen Wissenschaftsbeziehungen – und betont dabei auch die herausragende Bedeutung indischer Studierender und Graduierter für den deutschen Arbeitsmarkt. Fachleute der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Industrie- und Handelskammer und des Instituts der deutschen Wirtschaft geben eine Einschätzung zu diesem besonderen Potenzial.

 

„Die Fachkräftegewinnung aus Indien ist von zentraler Bedeutung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland“

Prof. Dr. Axel Plünnecke, Leiter des Clusters „Bildung, Innovation, Migration“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)

„Deutschland steht vor großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen durch Digitalisierung, Dekarbonisierung, demografischen Wandel und Deglobalisierung. Um diese zu bewältigen, ist eine Stärkung der Innovationskraft essenziell. Eine aktuelle IW-Unternehmensbefragung zeigt jedoch, dass ein hoher Anteil der Unternehmen fehlende Fachkräfte als zentrales Hemmnis für Digitalisierung und Dekarbonisierung betrachtet. Innovationen sind zentral, um die Herausforderungen zu meistern und Geschäftsmodelle an Unsicherheiten im Zuge der Deglobalisierung anzupassen.

MINT-Berufe sind für Forschung und Entwicklung von zentraler Bedeutung – rund 75 Prozent der in diesen Bereichen erwerbstätigen Personen verfügen über eine MINT-Qualifikation. Der strukturelle Fachkräftemangel ist erheblich: Im März 2025 fehlten in Deutschland rund 159.000 MINT-Arbeitskräfte. Zwar konnten in den letzten Jahren durch längere Erwerbsphasen Älterer und gestiegene Beschäftigung Jüngerer positive Impulse gesetzt werden, jedoch zeichnet sich durch sinkende PISA-Ergebnisse und rückläufige Studienanfängerzahlen in MINT-Fächern ein Trendwechsel ab. Der demografische Wandel wird den positiven Beschäftigungstrend in den kommenden Jahren voraussichtlich brechen. Um das Niveau zu halten, ist eine hohe Nettozuwanderung erforderlich.

Eine bedeutende Rolle für die Fachkräftesicherung spielt bereits die qualifizierte Zuwanderung, vor allem aus Indien. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Inderinnen und Indern in MINT-Berufen stieg von Ende 2012 bis Juni 2024 von knapp 7.000 auf knapp 53.400 um 665 Prozent, darunter bei akademischen MINT-Berufen sogar um 765 Prozent von 3.750 auf 32.431. Auch die Bedeutung der Inderinnen und Inder im Innovationssystem wächst: Der Anteil von Erfindenden mit indischen Wurzeln an allen Erfindenden hat sich von 2010 bis 2020 verfünffacht. Besonders stark war der Zuwachs bei Patentanmeldungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechologien und der Elektrobranchen. Zudem erzielen indische Fachkräfte hohe Medianlöhne – Ende 2023 betrug dieser 5.359 Euro monatlich für Vollzeitbeschäftigte (Gesamtdurchschnitt aller Berufe in Deutschland: 3.796 Euro), was auf die starke Präsenz der Inderinnen und Inder in akademischen MINT-Berufen zurückzuführen ist.

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023 bietet große Chancen: Es senkt Hürden für beruflich Qualifizierte, weitet den Aufenthaltstitel „Blaue Karte“ aus, erleichtert die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und führt die Chancenkarte ein, mit der man zur Jobsuche nach Deutschland kommen kann. Wichtige Maßnahmen zur Förderung der Zuwanderung sind darüber hinaus Informationsangebote wie „Make it in Germany“ sowie die gezielte Förderung von Studierenden aus demografiestarken Drittstaaten wie Indien. Die Zahl der indischen Studierenden in Deutschland stieg von 4.825 (2010) auf 42.578 (2022).

Um das Potenzial voll auszuschöpfen, gilt es, die Mittel für den DAAD für Begleitprogramme internationaler Studierender weiter zu erhöhen, digitale Verwaltungsprozesse zu beschleunigen und Behörden effizienter auszustatten. Die Fachkräftegewinnung aus Indien kann damit weiter unterstützt werden; sie ist wirtschaftspolitisch von zentraler Bedeutung für die Sicherung von Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland.“

 

„Die Zusammenarbeit mit Indien bietet Chancen, die weit über arbeitsmarktpolitische Fragen hinausreichen“

Katharina Wittke, Leiterin des Referates „Süd- und Südostasien, Pazifik“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)

„Die deutsche Wirtschaft konkurriert international längst nicht mehr nur um Märkte – zunehmend geht es auch um Talente. Angesichts eines prognostizierten Rückgangs des Arbeitskräfteangebots um rund sieben Millionen bis 2035 droht ein erheblicher Fachkräftemangel. Der Zugang zu qualifiziertem Personal wird folglich zum entscheidenden Faktor für Innovationskraft, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland. Mit 1,45 Milliarden Menschen und einer jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung rückt Indien als zentraler Partner immer stärker in den Fokus.

Indische Fachkräfte entscheiden sich aus verschiedenen Gründen für Deutschland: Die Entwicklung neuer Technologien, die exzellente Forschungslandschaft und die hohen Standards in Ausbildung und Arbeitskultur gelten als zentrale Attraktivitätsmerkmale. Gerade für hochqualifizierte Kräfte im Ingenieurwesen ist die Nähe zu Schlüsseltechnologien – etwa in der Mobilität, im Maschinenbau, bei den erneuerbaren Energien oder KI – ausschlaggebend. Gleichzeitig bietet Deutschland langfristige Perspektiven, etwa durch Möglichkeiten der Niederlassung und Integrationsangebote für Familienangehörige.

Die Bandbreite der nach Deutschland kommenden indischen Fachkräfte ist groß: Viele haben gute Jobs in Indien, sehen aber in Deutschland persönlich bessere Entwicklungschancen. Es kommen junge Talente, die eine Ausbildung machen wollen, ebenso wie erfahrene Expertinnen und Experten mit akademischem Abschluss. Migration nach Deutschland ist kein einfacher Schritt – viele investieren Jahre in Sprachkurse und sparen für Visa, Reise und die ersten Monate vor Ort. Diese Entschlossenheit unterstreicht das Potenzial, das in dieser Zuwanderung liegt.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und die Deutsch-Indische Handelskammer vor Ort (AHK Indien) unterstützen die erfolgreiche Fachkräfteeinwanderung durch zwei vom Bund geförderte Projekte: „Hand in Hand for International Talents“ begleitet Fachkräfte aus bestimmten Ausbildungsberufen während des gesamten Migrationsprozesses – inklusive Spracherwerb und Integration in Betriebe. „ProRecognition“ hilft bei der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen und bietet Orientierung bei Arbeitsmarktzugang und Visa-Verfahren. Beide Projekte stehen für faire und nachhaltige Migration, ohne Gebühren für Bewerbende – ein wichtiges Signal in einem Umfeld, das von intransparenten Agenturen geprägt ist.

Politische Weichenstellungen, wie das 2022 unterzeichnete Deutsch-Indische Migrationsabkommen, zielen darauf ab, die Rahmenbedingungen für die Migration aus Indien nachhaltig zu verbessern. Erste Fortschritte sind sichtbar: So hat die personelle Aufstockung an den deutschen Auslandsvertretungen in Indien bereits spürbare Verbesserungen bei Visaverfahren gebracht. Dennoch bestehen weiterhin Herausforderungen: Sprachkenntnisse bleiben für viele Bewerberinnen und Bewerber eine Hürde, Bearbeitungszeiten bei Ausländerbehörden erweisen sich häufig als langwierig, und die angespannte Wohnungssituation erschwert den Start in Deutschland zusätzlich.

Damit Deutschland im globalen Wettbewerb um Talente nicht zurückfällt, braucht es jetzt verlässliche Strukturen, vorausschauende Strategien und vor allem den politischen Willen, sich als attraktiver Standort für Fachkräfte, Ideen und Kooperationen zu positionieren. Die Zusammenarbeit mit Indien bietet hierfür Chancen, die weit über arbeitsmarktpolitische Fragen hinausreichen – sie zu nutzen ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit.“

 

„Indien ist Fokus- und Partnerland der Bundesagentur für Arbeit in der aktiven Anwerbung von Auszubildenden und Fachkräften“

Alexander Wilhelm, Leiter des Fachbereichs „Internationale Beziehungen“ bei der Bundesagentur für Arbeit (BA)

„Internationale Studierende deutscher Hochschulen tragen erheblich zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands insgesamt bei. Dies hat auch eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) im Auftrag des DAAD bestätigt. Sie sind nicht nur wichtige Fachkräfte und Beitragszahlerinnen und -zahler zu den sozialen Sicherungssystemen von morgen, sondern auch für die Arbeitgeber attraktiv, die Stellen für Fachkräfte nicht allein durch inländisches Potenzial besetzen können, aber oft langwierige Prozesse der Auslandsrekrutierung vermeiden wollen.

Obgleich sich schon heute erfreulich viele internationale Studierende entscheiden, nach Abschluss des Studiums ihre berufliche Karriere in Deutschland zu beginnen, sind sich Expertinnen und Experten einig: Weitere Anstrengungen sind erforderlich, um angesichts demografisch bedingt wachsender Fachkräftelücken dieses Potenzial noch besser zu erschließen.

Hierzu einen wesentlichen Beitrag zu leisten und erfolgreiche Ansätze zu identifizieren, wie der erfolgreiche Start am deutschen Arbeitsmarkt möglichst reibungslos gelingen kann, sind zentrale Zielsetzungen eines neuen Pilotprojekts der BA. Dieses fokussiert die dynamisch wachsende, inzwischen größte Gruppe internationaler Studierender: Studierende aus Indien.

Indien ist seit 2021 Fokus- und Partnerland der BA in der aktiven Anwerbung von Auszubildenden und Fachkräften. Auch in der im Herbst 2024 vorgestellten Indienstrategie der Bundesregierung werden internationale Studierende als attraktive Potenzialträgerinnen und -träger für den deutschen Arbeitsmarkt bezeichnet. Zudem sind indische Studierende besonders zahlreich in MINT-Fächern vertreten. Gerade MINT-Fachkräften kommt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Transformation hin zu einer klimaneutralen, stärker digitalisierten Wirtschaft zu.

Das neue, an insgesamt zehn Standorten in Hamburg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen umgesetzte Pilotprojekt der BA soll dabei nicht die vielen bereits existierenden Angebote an den Hochschulen ersetzen. Vielmehr geht es darum, in den nächsten drei Jahren gemeinsam mit den Hochschulen und weiteren Netzwerkpartnern vor Ort gute Ansätze weiterzuentwickeln, neue zu erproben und bereits vorhandene Erfahrungen und Kompetenzen der umsetzenden Akteure an den Pilotstandorten bestmöglich miteinander zu verknüpfen. Die BA ist hierbei mit ihren Agenturen für Arbeit die Fachinstitution für Beratung und Vermittlung beim Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt.

Konkrete vermittlungsunterstützende Angebote der BA werden auf eine frühzeitige und systematische Vorbereitung auf eine Beschäftigung in Deutschland abzielen. Dies kann beispielsweise durch Information und Beratung zu berufsspezifischen Anforderungen in Deutschland oder über den Zugang zu Deutschkursen in Zusammenarbeit mit den Hochschulen vor Ort erfolgen.

Wir sind überzeugt: Nur in enger Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren aus Politik, BA, Hochschulmanagement, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor Ort können spezifische Beratungsanliegen am Übergang von der Hochschule in den Beruf besser adressiert werden. Dies ist nötig, um mehr internationale Studierende in Deutschland zu halten und nachhaltig zu integrieren sowie die Attraktivität Deutschlands als Studien- und Arbeitsstandort für internationale Fachkräfte weiter zu steigern.“

17. April 2025

 

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