Wissenschaft, die ankommt

Mehr Wissenschaftskommunikation gegen Fake News und Wissenschaftsskepsis – dafür engagieren sich die deutschen Universitäten Mainz und Mannheim im Rahmen ihrer Europäischen Hochschulallianzen.
„Wir sehen alle eine globale Tendenz, dass Fakten relativiert oder falsch dargestellt werden. Demgegenüber ist die Aufgabe der Universitäten besonders wichtig, wissenschaftlich fundiertes und geprüftes Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben.“ So fasst Dr. Ursula Schlichter von der Geschäftsstelle der Europäischen Hochschulallianz ENGAGE.EU an der Universität Mannheim zusammen, was sie und viele Forschende und Lehrende weltweit bewegt. „ENGAGE.EU verbindet wirtschafts- und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Universitäten in Europa, die nicht nur über die Gesellschaft forschen, sondern auch den Dialog mit ihr suchen.“
Wo Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen geäußert wird, hilft mehr Transparenz: Wie kommt Wissenschaft überhaupt zu ihren Ergebnissen? „Für Transparenz ist es wichtig, lebensnahe Formate zu finden, die unkomplizierten Austausch ermöglichen“, betont Dr. Nicole Birkle, Generalsekretärin der Europäischen Hochschulallianz FORTHEM an der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz. Die beiden Allianzen ENGAGE.EU und FORTHEM legen als Teil der Europäischen Hochsnchulen Wert auf die Stärkung der Wissenschaftskommunikation und verfolgen dabei vielfältige Ansätze.
Wissenschaft auf dem Markt und in der Bar
Der in Mainz schon traditionelle „Wissenschaftsmarkt“ ist ein Beispiel mitten in der Lebenswelt der Menschen. Gemeinsam mit der Mainzer Wissenschaftsallianz stellt die JGU auf dem Marktplatz thematisch ausgerichtete Stände auf – und dann wird geplaudert. „Sehr gut angekommen ist zum Beispiel einmal ein begehbarer Darm der medizinischen Fakultät“, erzählt Nicole Birkle. Das vermittelte Thema war die Forschung zur Bekämpfung von Krankheiten. Auch in Mannheim hat man Kommunikationsformate entwickelt, um die Universität unter die Leute zu bringen, zum Beispiel „WISSENsdurst“ – ein Abend, an dem sich Forschende in eine Bar setzen, über ihre Fachgebiete sprechen und bereitwillig Fragen beantworten.

Solche Formate bedürfen der Vorbereitung, betont Julia Derkau, die Leiterin des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsinnovation der Universität Mannheim: „Welche Zielgruppe wollen wir ansprechen? In welcher Sprache wollen wir sprechen? An welche Orte wollen wir gehen?“ Vor allem die Forschenden bräuchten hier Unterstützung, so Nicole Birkle von der JGU: „Wenn sie anderen Menschen, die selbst keine Forschung betreiben, ihre Arbeitsweise, die Relevanz und den Impact von Forschung mitteilen möchten, dann gelingt das nur, wenn Erklärungen gut vorbereitet sind und gleichzeitig vorgesehen ist, dass sich die Zielgruppe aktiv einbringen kann.“
Vertrauen schaffen und Verantwortung tragen
Zu den Konzepten der Universitäten Mainz und Mannheim im Rahmen ihrer Allianzen gehören daher auch Forschung und Lehre zu Outreach und Wissenschaftskommunikation. Das gewährleisten an der JGU beispielsweise eine eigene Stelle für Transfer, eine Professur für Wissenschaftskommunikation oder ein Trainingsprogramm für Forschende in frühen Karrierestufen.
Wissenschaftskommunikation allein schafft noch kein neues Vertrauen, sie muss in Forschung und Lehre verankert sein. Das verdeutlicht der Historiker Professor Hiram Kümper von der Universität Mannheim, der das zweisprachige Studienprogramm „Cultural Innopreneurship“ federführend entwickelt hat. „Es liegt in der Verantwortung der Universitäten, dem rückläufigen Vertrauen in die Wissenschaft und der Tendenz zur Desinformation aktiv entgegenzutreten“, sagt er. Kümper setzt dabei auch auf den bewussten Einsatz von Sprache: „Das verknappte Kommunizieren von Forschenden ist nicht die Lösung, es braucht auch mal den zweiten und dritten Satz und eine Sprechweise, der Menschen gerne zuhören.“
Die Universitäten Mannheim und Mainz verfügen inzwischen über einen großen Erfahrungsschatz im Bereich Outreach und Wissenschaftskommunikation, mit dem sie in die regionalen Gesellschaften hineinwirken. „Aber wir leben im Zeitalter von Netzwerken“, sagt Ludmila Samochwalow, die das FORTHEM-Büro an der JGU Mainz leitet. „Wir sind als Mitglied einer Europäischen Hochschulallianz dazu aufgerufen, die Aufgaben der Wissenschaftskommunikation in einem deutlich größeren Rahmen voranzutreiben.“
Das betrifft zum Beispiel global relevante Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel. Das „Climate and Resources Lab“ etwa ist ein standortübergreifender Thinktank, den die JGU Mainz federführend koordiniert. Über das Lab wird europaweit auch Kommunikation zur Klimakrise in die Gesellschaft organisiert. Darüber hinaus haben die Allianzpartner eigene, länderübergreifende Formate für Outreach und Wissenschaftskommunikation. „Unsere Partneruniversitäten in den skandinavischen Ländern wirken zum Beispiel in Gesellschaften hinein, in denen das Well-Being, das Wohlbefinden, eine große Rolle spielt“, sagt Nicole Birkle. „Das sind besondere Werte, die die Art und Weise der Wissenschaftskommunikation beeinflussen.“
Transfer als wissenschaftliche Kompetenz
Besonders interessant ist dann der europäische Austausch über die jeweiligen Erfahrungen. In der Allianz ENGAGE.EU gibt es dafür zum Beispiel das Format „Collaboration Circle“. Forschende, Studierende und Externe identifizieren gemeinsam Forschungsfragen als Grundlage für weitergehende Untersuchungen zu Themen wie Ernährung, Smart City oder Klimaanpassung. Auch der Austausch über Dialog-Formate wie Science-Festivals, Lesungen und vieles mehr erfolgt hier. Alle Allianz-Partneruniversitäten haben wie die Universität Mannheim starke Verbindungen in die Gesellschaft ihrer Stadt und Region.
Immer wichtiger wird, dass der Transfer von Wissen aus den Universitäten in die globalen Gesellschaften nicht als eingleisiger Weg nach „draußen“ betrachtet wird. Für alle Menschen gilt die Idee des Lifelong Learning: „Also niemals aufhören mitzudenken, niemals aufhören, sich weiterzubilden, niemals aufhören mitzureden“, sagt Nicole Birkle. Die Universitäten Mainz und Mannheim gehen hier mit ihren europäischen Partnern engagiert voran. „Im Entwicklungsplan der Universität Mannheim wird Transfer bereits als eine wissenschaftliche Leistungsdimension genannt“, sagt Julia Derkau. „Das ist ein wegweisender Schritt.“
Bettina Mittelstraß (11. April 2025)