„Es ist entscheidend, Wissenschaft politisch zu verankern“

Dr. Jan Lüdert ist Politikwissenschaftler, Programmleiter des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) New York und ein intensiver Beobachter des US-Präsidentschaftswahlkampfs. Im Interview erläutert er, welche Rolle die Wissenschaft bislang im Duell von Donald Trump gegen Kamala Harris spielt, wie sich das DWIH New York auf den Ausgang der Wahl vorbereitet und warum es in Zukunft immer wichtiger wird, Wissenschaftsfreiheit und Forschungssicherheit auszubalancieren.
Herr Dr. Lüdert, der Präsidentschaftswahlkampf in den USA geht gerade in seine heiße Phase. Welche Rolle spielt die Wissenschaft in der Auseinandersetzung zwischen Donald Trump und Kamala Harris?
Es fällt auf, dass Wissenschaft, Hochschulen und Bildung im Augenblick noch nicht aktiv thematisiert werden. In der ersten Präsidentschaftsdebatte am 10. September hatten Themen wie Wirtschaft, Einwanderung und nationale Sicherheit Priorität. Beide Kandidaten erwähnten zwar kurz den Klimawandel und die wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, nannten aber keine wesentlichen politischen Details.
Ist das aus Ihrer Sicht ein Problem?
Ich finde das schon bedenklich. Wissenschaftliche Themen werden im politischen Diskurs in den USA zunehmend an den Rand gedrängt. Dabei ist es entscheidend, Wissenschaft politisch zu verankern. Die Wissenschaft, einschließlich der Natur- und Sozialwissenschaften, ist ein unschätzbares Instrument zur Verbesserung evidenzbasierter Entscheidungsfindung und kollektiven Handelns. Sie ist von entscheidender Bedeutung, um den Fortschritt bei gemeinsamen globalen Herausforderungen zu beschleunigen – einschließlich der Förderung der Menschenrechte und der Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung.
Der Ausgang der Wahl ist nach wie vor ungewiss. Was bedeutet das für den transatlantischen Austausch? Worauf stellen Sie sich ein?
Je nachdem, ob Kamala Harris oder Donald Trump die Wahl gewinnt, werden wir es mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu tun haben. Harris betont die Allianz mit der EU, NATO und multilateraler Koordination mit den USA als Verfechter globaler Normen. Im Gegensatz dazu sieht Trump die transatlantischen und multilateralen Beziehungen als Ausbeutung durch Europa und die Weltgemeinschaft, wie zum Beispiel in Bezug auf NATO-Beiträge und Militärhilfe für die Ukraine. Wir müssen uns also auf konträre politische Realitäten einstellen, in denen die Wichtigkeit und der kontinuierliche Ausbau von wissenschaftsbasierten Netzwerken als Unterbau einer robusten transatlantischen Science Diplomacy wichtiger denn je sind.
Was heißt das für die Arbeit des DWIH New York?
Wir werden uns bemühen, unsere Aktivitäten auch in das Landesinnere auszuweiten, neue Netzwerke mit relevanten US-Institutionen zu schaffen, und uns bemühen, diese Netzwerke auch verstärkt mit Deutschland vertraut zu machen. Transatlantische Science Diplomacy muss in beide Richtungen über den Atlantik laufen, um belastbare Netzwerke zu etablieren. Und wir wollen Science Diplomacy noch konkreter an politisches Handeln knüpfen. Dazu hatten wir beispielsweise im Rahmen eines Side Events des „Summit of the Future“ der Vereinten Nationen im September 2024 die Gelegenheit. Dort haben wir Fallstudien präsentiert, in denen die Wissenschaft den Multilateralismus gestärkt hatte. Damit wollten wir betonen, welche zentrale Rolle wissenschaftliche Forschung, Bildung und Kommunikation im Multilateralismus spielen.
In den letzten Jahren ist das Spannungsfeld zwischen akademischer Freiheit und Forschungssicherheit immer prekärer geworden. Wie gehen Sie diese Herausforderung an?
Das ist tatsächlich ein ernst zu nehmendes Problem. Mit der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen gibt es Bedenken hinsichtlich der Isolierung von Forschungsregionen, der Auferlegung von Verwaltungslasten und der Förderung potenzieller Diskriminierung. Solche Maßnahmen können die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse behindern, die Innovationskapazität verlangsamen und die globale Reaktion auf drängende Krisen wie den Klimawandel und Pandemien negativ beeinflussen. Was wir brauchen, ist eine gute Balance zwischen Offenheit und Sicherheit. Das zeigte sowohl das Seminar des Academic Security and Counter Exploitation Program (ASCE) an der Texas A&M University als auch ein Round Table der Deutschen Forschungsgesellschaft mit dem Titel „De-Risking or De-Coupling? International Research Collaboration in Times of Increasing Security Concerns“, an dem wir beteiligt waren.
Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen verständlich und zugänglich vermittelt werden, um Vertrauen in Forschung und Innovationen zu stärken.
Dr. Jan Lüdert, Programmleiter DWIH New York
Das kommende Future Forum des DWIH New York trägt den Titel „Science Diplomacy in an Era of Technological Disruption“. Welchen Einfluss haben Künstliche Intelligenz, Biotechnologie und andere sogenannte Zukunftstechnologien auf internationale Beziehungen?
Künstliche Intelligenz bietet nicht nur Potenziale für wissenschaftliche Durchbrüche, sondern auch für die Sicherheitspolitik. Sie ermöglicht einerseits effizientere internationale Kooperationen und die Lösung globaler Probleme, wie Klimawandel und Pandemien. Andererseits verschärft sie den Wettbewerb zwischen Nationen, insbesondere im Kontext ihrer potenziellen militärischen Anwendung. Hier müssen Wissenschaft und Diplomatie Hand in Hand arbeiten, um internationale Standards zu setzen und ethische Fragen zu klären. Biotechnologie hat ebenfalls große Auswirkungen auf die globale Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich der Gesundheitsversorgung und der Lebensmittelsicherheit. Auch hier stellt sich die Frage, wie Technologie gerecht und nachhaltig eingesetzt werden kann, um bestehende globale Ungleichheiten nicht weiter zu verschärfen.
Eine Entwicklung, die man am US-Wahlkampf ablesen kann, ist der zunehmend aggressive Einsatz von Desinformationskampagnen. Dies geht einher mit einer inzwischen weitverbreiteten Wissenschaftsskepsis. Wie kann die Akzeptanz von Wissenschaft in der Bevölkerung gestärkt werden? Und welche Rolle sollte dabei die Politik spielen?
Wissenschaftsskepsis ist zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Problem geworden, das eine Bedrohung für liberale Demokratien und eine wertebasierte globale Ordnung darstellt. In einem Umfeld, in dem Fakten und Evidenz untergraben oder teilweise ignoriert werden, ist die Rolle der Politik alles andere als trivial. Politik kann der Wissenschaftsskepsis durch Transparenz, Bildung, öffentlichen Dialog und gezielte Kommunikation entgegenwirken. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen verständlich und zugänglich vermittelt werden, um Vertrauen in Forschung und Innovationen zu stärken. Ein zentraler Aspekt dabei ist, wissenschaftliche Prozesse offener und nachvollziehbarer zu gestalten. Politische Akteure sollten erklären, wie Entscheidungen auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen und warum bestimmte Maßnahmen getroffen werden.
Interview: Klaus Lüber (31. Oktober 2024)