Zwischen Chancen und Risiken abwägen
Krieg, Cyberangriffe und systemische Rivalität: Bedrohungen dieser Art machen auch vor der deutschen Hochschullandschaft nicht Halt. Die Diskussion, wie angesichts verschiedenster Herausforderungen Sicherheit in internationalen Wissenschaftskooperationen gewahrt werden kann, bereichert der DAAD mit seiner Expertise.
Ungewollter Wissensabfluss, ausländische Einflussnahme auf wissenschaftliche Einrichtungen und ihre Angehörigen: Deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen geraten zunehmend unter Druck, ihre internationalen Kooperationen auf sicherheitsrelevante Aspekte hin zu überprüfen. „Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der zunehmenden systemischen Rivalität mit China hat das Thema Forschungssicherheit stark an Interesse gewonnen und stellt zum Teil auch bewährte Kooperationen auf den Prüfstand“, sagt Christian Strowa, Leiter des Bereichs Wissen und Netzwerk im DAAD.
Zur Chancen-Risiko-Abwägung von internationalen Wissenschaftskooperationen hat der DAAD deshalb einen speziellen Kriterienkatalog entwickelt: „Die Hochschulen müssen sich zunächst der Probleme bewusst werden, aber auch des Risikos der Nicht-Kooperation, also der vertanen Chance des eigenen Mehrwerts an der internationalen Kooperation“, sagt Strowa. „Das ist immer ein individueller Abwägungsprozess.“ Darüber hinaus sollte die Zusammenarbeit insbesondere da, wo Sicherheitsfragen am ehesten berührt sind, interessengeleitet sein und einem strategischen Ziel folgen sowie auf Kenntnissen über das Partnerland basieren. Schon aus diesem Grund lohne sich die Kollaboration auch mit herausfordernden Nationen: um sie zu verstehen und einordnen zu können. „In diesem Kontext ist im Januar 2024 auch das DAAD-Empfehlungspapier mit Leitlinien für die akademische Zusammenarbeit mit China erschienen, das für einen realpolitischen Ansatz, klare Prüfverfahren und den Ausbau der China-Kompetenz plädiert“, so Strowa.
Internationale Konferenz zu „Academic & Security Counter Exploitation“ (ASCE)
Dass internationaler Austausch dabei die nationale Forschungssicherheit voranbringen kann, machte eine Konferenz zum Thema „Academic & Security Counter Exploitation“ (ASCE), ausgerichtet von der Texas A&M University, Anfang März 2024 deutlich. Die Veranstaltung zählte rund 700 Teilnehmende, unter anderem aus Ländern der Europäischen Union sowie aus den USA, Kanada, Großbritannien und Brasilien, darunter Mitarbeitende aus Hochschulen, Ministerien, der Europäischen Kommission und Geheimdiensten. Die deutsche Perspektive brachten Kolleginnen und Kollegen des DAAD, der Helmholtz-Gemeinschaft, des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) New York sowie der German U15, dem Verbund der 15 großen, forschungsstarken und medizinführenden Universitäten in Deutschland, mit einem eigenen Panel ein. „Der internationale Austausch zum Thema Forschungssicherheit und der Implementierung von Compliance-Strukturen war extrem hilfreich und hat wichtige Impulse auch für unsere Herangehensweise gegeben“, sagt Dr. Friederike Schröder, stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin Internationales von German U15.
Unsere Universitäten basieren auf dem Prinzip der Offenheit, der Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit.
Dr. Friederike Schröder, stellvertretende Geschäftsführerin German U15
Das sind wichtige Impulse für den Hochschulalltag. „Unsere Universitäten basieren auf dem Prinzip der Offenheit, der Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit“, verdeutlicht Schröder. Internationalisierung spielt dabei eine große Rolle: „Talent ist überall auf der Welt gleich verteilt, länderübergreifende Kooperationen sind für die Forschung essenziell.“ Bei institutionellen Partnerschaften oder dem Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sei es mit zunehmenden geopolitischen Spannungen aber erforderlich geworden, Prüfverfahren einzuführen, die mit großem personellem und finanziellem Aufwand verbunden sind. Dafür brauche es Ressourcen. Auch die Umsetzung des Exportkontrollrechts sei zu einer wichtigen Aufgabe an den Hochschulen geworden, da auch hier sensitives Technologiewissen vorhanden ist. Das Exportkontrollrecht regelt die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die Proliferation, also Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sowie die unkontrollierte Anhäufung konventioneller Rüstungsgüter zu verhindern.
German U15: Arbeitsgemeinschaft zum Thema Forschungssicherheit
Neben forschungsstarken Universitäten sehen sich insbesondere technische Hochschulen mit der Notwendigkeit konfrontiert, sicherheitsbezogene Compliance-Strukturen zu etablieren: Leistungsstarke Motoren, Lasertechnologie, optische Beobachtungsinstrumente oder Softwares sind nur einige der Dual-Use-Güter, das heißt Güter mit einem doppelten Verwendungszweck. „Im Grunde sind aber nahezu alle Disziplinen betroffen“, sagt Schröder. „Sprachliche Modelle der Geisteswissenschaften können so beispielsweise zur Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz verwendet werden, Erkenntnisse aus der Psychologie für Befragungsmethoden.“ Um seine Mitgliedsuniversitäten in diesem sensiblen Prozess zu unterstützen, hat German U15 eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Forschungssicherheit gegründet. „Unsere Mitglieder können sich so in einem vertrauensvollen Raum untereinander austauschen und voneinander lernen“, sagt Friederike Schröder. „Zudem initiieren wir den Dialog mit internationalen Partnerverbünden.“
Partnerinstitutionen aus anderen Ländern kontaktieren uns derzeit proaktiv mit dem ausdrücklichen Wunsch, von unseren Aktivitäten im Bereich Forschungssicherheit zu lernen und Erfahrungen auszutauschen.
Sakine Weikert, Leiterin des KIWi im DAAD
Eine zentrale Hilfestellung zur Etablierung von Forschungssicherheit leistet dabei auch das DAAD-Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi), das deutsche Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen bei der Umsetzung ihrer Internationalisierungsstrategien sowie dem Aufbau und der Intensivierung internationaler Hochschulzusammenarbeit berät. Das KIWi greift hier auf seine langjährige Erfahrung und vernetzte Expertise zurück. „Das Kompetenzzentrum bündelt ein umfassendes Wissen“, betont Sakine Weikert, Leiterin des KIWi. „Es speist sich aus der Kompetenz unseres Teams, der Koordinierung mit allen Abteilungen in der DAAD-Zentrale und aus den tagesaktuellen Beobachtungen des Außennetzwerks. Weiterhin fließen die Kenntnisse der deutschen Mitgliedshochschulen des DAAD ein und wir bringen einzelne Personen gezielt miteinander in Austausch.“ Für diese vielfältigen Ressourcen und Vernetzungsaktivitäten finden der DAAD und das KIWi auch international viel Anerkennung: „Partnerinstitutionen aus anderen Ländern kontaktieren uns derzeit proaktiv mit dem ausdrücklichen Wunsch, von unseren Aktivitäten im Bereich Forschungssicherheit zu lernen und Erfahrungen auszutauschen“, sagt Weikert.
KIWi: Ausführliche Informationen zu Forschungssicherheit
Den deutschen Hochschulen steht das KIWi mit zahlreichen Publikationen wie den Kooperationsleitfäden, Veranstaltungen wie den „KIWi Policy Talks“ zu außenwissenschaftspolitischen Diskursen oder den „KIWi Connect“ sowie einem maßgeschneiderten Beratungsangebot zur Seite.
Zu den Prinzipien des KIWi gehört neben der ausgewogenen Beratung die vermittelnde Rolle: „Wir informieren ausführlich zur Forschungssicherheit – die Entscheidungen zu einer bestimmten Kooperationsanbahnung, Evaluation bestehender Kooperationen oder Einladung von Gastwissenschaftlern und Gastwissenschaftlerinnen liegt jedoch bei den Hochschulen selbst“, erläutert Weikert. „Zudem folgen wir einem Ansatz, der Forschende aufgrund ihrer Nationalität nicht unter Generalverdacht stellt, und behalten trotz der komplexen Rahmenbedingungen stets die Chancen der Kooperation im Blick.“
Christina Pfänder (13. Juni 2024)