„Es geht nicht nur um Frauen, sondern immer auch um die Gemeinschaften, in denen sie leben!“

Asha-Rose Migiro

Wie die ehemalige stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen Asha-Rose Migiro weltweit wichtige Pionierarbeit für Gleichberechtigung leistet.

Frau Dr. Migiro, Sie waren tansanische Außenministerin und stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen – und blieben ihren Schlüsselthemen Frauenrechte und Gleichberechtigung immer treu. Was hat Ihre Leidenschaft für Politik geweckt?

Entscheidend waren meine Erfahrungen im Jurastudium: Unsere Professoren an der Universität Daressalam (UDSM) leisteten ehrenamtliche Rechtshilfe und wir Studierenden begleiteten sie dabei. Dahinter steht ein Gedanke aus der Entwicklungsphilosophie des ersten Präsidenten von Tansania, Julius Nyerere, der mich geprägt hat: „Wer eine gute Ausbildung erhält, sollte der Gemeinschaft, die trotz knapper Ressourcen diese Ausbildung ermöglicht, etwas zurückgeben.“ Bei dieser Freiwilligenarbeit wurde mir klar, dass die rechtlichen Probleme der Menschen immer auch politischer Natur waren. Zum Beispiel bei Sorgerechtsstreitigkeiten: Viele Frauen waren nach einer Scheidung wirtschaftlich nicht in der Lage, ihre Kinder zu ernähren, weil die Väter keinen Unterhalt zahlen wollten oder konnten. Außerdem waren Frauen im Vermögens- und Erbrecht stark benachteiligt. Diese und andere Diskriminierungen haben mich sehr beschäftigt. Ich selbst hatte Diskriminierung nie erlebt, weil mein Vater als Richter sehr auf Gerechtigkeit achtete und seine Söhne und Töchter gleichbehandelte.

Sie haben als DAAD-Stipendiatin an der Universität Konstanz promoviert, einer Partneruniversität der Universität Daressalam. Warum sind Sie nach Deutschland gegangen?

Unsere ältere Tochter war damals erst zwei Jahre alt – und da mein Mann beruflich oft in Europa unterwegs war, konnte ich sie und ihn in Konstanz öfter sehen, als wenn ich in die USA gegangen wäre. Der Anfang in Deutschland war schwer. Ich erinnere mich gut an die Landung am Frankfurter Flughafen: Es war kalt, alle hatten es unglaublich eilig und ich verstand kein Wort Deutsch. Aber dann wurde es eine tolle Zeit! Ich habe im Deutschkurs interessante Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt und mein Doktorvater hat mich sehr unterstützt. In meiner Dissertation habe ich den institutionellen Rahmen der EWG – wie die Europäische Union damals noch hieß – mit dem der Vorläuferorganisation der Southern Africa Development Conference (SADC) verglichen, in der 16 afrikanische Staaten politisch und wirtschaftlich zusammenarbeiten. Nach meiner Rückkehr 1992 wurde ich Dozentin und später Dekanin an der juristischen Fakultät der Universität Daressalam.

Es ist sehr wichtig, den Gemeinschaften Werte wie Gleichheit, Würde und Respekt für alle zu vermitteln. Keine Nation kann Fortschritte machen, wenn Frauen oder andere Teile der Bevölkerung zurückgelassen werden. Asha-Rose Migiro

Wie kam es zu Ihrem Wechsel in die Politik?

Ich engagierte mich ehrenamtlich in einer Frauengruppe im Bereich Rechtshilfe und arbeitete mit Parlamentsabgeordneten in frauen- und kinderrechtlichen Fragen zusammen. In Tansania ist ein Anteil von mindestens 30 Prozent der Parlamentssitze für Frauen reserviert und ich kandidierte erfolgreich für einen dieser Sitze. 2000 wurde ich Ministerin für Gemeindeentwicklung, Gleichstellung und Kinder. In den folgenden fünf Jahren haben wir wichtige rechtliche Meilensteine erreicht und die Eigentumsrechte von Frauen enorm verbessert. Die Gleichstellung beim öffentlichen Grundbesitz, bei der Aufteilung des ehelichen Vermögens und beim Erbrecht wurde auf eine solidere Rechtsgrundlage gestellt als zuvor. Auch beim Opferschutz im Sexualstrafrecht wurden enorme Fortschritte erzielt: Solche Fälle werden seither unter strengem Schutz der persönlichen Daten der Opfer verhandelt.

2006 wurden Sie als erste Frau zur Leiterin des tansanischen Außenministeriums ernannt. Gab es dagegen Widerstände?

Nein, gar nicht! Einige waren wohl skeptisch – wie immer, wenn eine Frau erstmals in ein hohes Amt berufen wird. Seitdem hat sich aber in Bezug auf Frauen in Führungspositionen viel getan. Seit 2021 wird Tansania von der ersten Präsidentin des Landes, Samia Suluhu Hassan, geführt – ein großes Vorbild für tansanische Frauen!

Als Außenministerin habe ich mich vor allem für die Vertiefung der Beziehungen zu anderen Ländern in der Region eingesetzt. Wir haben damals erfolgreiche Mechanismen zur Konfliktlösung eingeführt. Allerdings konnte ich das Amt nicht lange ausüben, da ich zur stellvertretenden UN-Generalsekretärin ernannt wurde.

Asha-Rose Migiro als stellvertretende UN-Generalsekretärin mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon 2011.

Das klingt so, als wären Sie davon überrascht worden ...

So war es auch! Ich hatte Ban Ki-moon 2006 zufällig kennengelernt, als wir auf einem Flug von Dubai nach Daressalam zusammensaßen. Im Januar 2007 leitete ich gerade eine SADC-Konferenz in Lesotho, als ich über meine Ernennung informiert wurde. Das war eine Achterbahn der Gefühle! Ich wäre gern Außenministerin geblieben, aber die Position bei den Vereinten Nationen war eine große Ehre für Tansania und den afrikanischen Kontinent. Gemeinsam mit dem Team des UN-Sekretariats haben wir in New York viel erreicht. Ich kannte die Probleme des Globalen Südens aus erster Hand, was bei der Bewältigung der damaligen entwicklungspolitischen Herausforderungen sehr hilfreich war. Eine meiner wichtigsten Aufgaben war die Neuorganisation der UN-Institutionen, die sich mit Entwicklungspolitik und Gleichstellungsfragen befassten. Damals gab es viele Organisationen, die mehr oder weniger das Gleiche taten, was nicht sehr effektiv war. Wir haben sie aufeinander abgestimmt. Am Ende meiner Amtszeit 2012 kehrte ich nach Daressalam zurück und übernahm ein Jahr später das Verfassungs- und Justizministerium – ein sehr spannendes Ressort, weil es die Überarbeitung unserer Verfassung beinhaltete.

Was waren die Kernpunkte dieser Reform?

Der Verfassungsentwurf enthielt einen Katalog von Menschen- und Grundrechten, die Macht des Präsidenten wurde abgeschwächt und die Vorrangstellung des Parlaments und die Unabhängigkeit der Justiz wurden gestärkt. Das Besondere an dem Reformprozess war die direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Wir sind durch das ganze Land gereist, um die Meinung der Bevölkerung zum Verfassungsentwurf einzuholen. Ich denke, dass das unsere Demokratie gestärkt hat.

Sind Sie heute noch politisch aktiv?

Nachdem ich 2023 meine siebenjährige Amtszeit als Botschafterin Tansanias im Vereinigten Königreich und in Irland beendet hatte, hatte ich mich eigentlich darauf gefreut, meinen Ruhestand in vollen Zügen zu genießen. Aber dann wurde ich zur Vorsitzenden einer Kommission ernannt, die an der nationalen Vision 2050 für Tansania arbeitet. Die Schwerpunkte sind Regierungsführung, Frieden und Sicherheit, Entwicklung sowie Umwelt und Klimawandel. Durch diese neue Verantwortung fühle ich mich geehrt. Ich bin gesund und glaube, dass ich meinem Land immer noch etwas zurückgeben kann.

Wie können Ihrer Meinung nach mehr Frauen in Führungspositionen gelangen?

In meinem ersten Amt als Ministerin habe ich gelernt, dass es nie nur um Frauen geht, sondern immer auch um die Gemeinschaften, in denen sie leben. Dort muss man ansetzen. Ich glaube, der beste Weg zur Stärkung der Frauen ist, die Gemeinschaften zu stärken – durch Bildung, gute Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. Es ist sehr wichtig, den Gemeinschaften Werte wie Gleichheit, Würde und Respekt für alle zu vermitteln. Das ist der Schlüssel zur Entwicklung, denn keine Nation kann Fortschritte machen, wenn Frauen oder andere Teile der Bevölkerung zurückgelassen werden.

Interview: Miriam Hoffmeyer (01. Oktober 2024)

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