Perspektiven für afghanische Frauen

Mit dem Stipendienprogramm Empower Future Female Afghan Leaders (EFFAL) unterstützt der DAAD insbesondere afghanische Frauen, denen ein Studium in ihrem Heimatland verboten ist. Mehr als 5.000 junge Menschen können mithilfe der gemeinsamen Initiative von DAAD und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Studienvorbereitung in Afghanistan absolvieren oder an ausgewählten Universitäten in Bangladesch, Kirgisistan oder Pakistan studieren.
Wenn Ava P. an ihre Heimat Afghanistan denkt, ist sie erfüllt von Angst und Sorge. Sie bangt um ihre Mutter, eine Frauenrechtsaktivistin, die aus Sicherheitsgründen regelmäßig ihren Wohnort wechseln muss. Ava P. sorgt sich auch um Mädchen und Frauen aus ihrer Provinz, die Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind – und um die Zukunft ihres Landes. „Als Afghanistan an die Taliban fiel, studierte ich gerade an der Sheikh-Zayed-Universität in Chost Medizin“, erzählt sie.
Noch bevor die neuen Machthaber Frauen eine höhere Schulbildung und eigene Erwerbstätigkeit offiziell verboten, rückte Avas Traum von einer Karriere im Bereich Medizin in weite Ferne: Sie musste gemeinsam mit ihrer Familie in der Provinz Kabul untertauchen, um ihr Leben zu schützen. „Von dort aus habe ich mich für ein Bachelorstudium der Gesundheitswissenschaften an der Asian University for Women (AUW) in Bangladesch beworben, einer Universität speziell für Frauen“, erzählt sie. Ava P. erhielt eine Zulassung, doch ihre Familie konnte sie nicht nach Chittagong begleiten. „Nun bin ich ohne sie hierhergekommen, um die Hoffnung für ein Land zu sein, in dem es aktuell keine Perspektiven gibt.“
Stipendiatin des Empower Future Female Afghan Leaders-Programms
Dennoch ist Ava P. in Bangladesch nicht auf sich allein gestellt: Als Stipendiatin des Programms Empower Future Female Afghan Leaders (EFFAL) wird sie vom DAAD in ihrer akademischen Ausbildung unterstützt und kann darüber hinaus ein spezielles Rahmenprogramm an der AUW absolvieren. „Die Stipendiatinnen nehmen unter anderem an Exkursionen teil und lernen so die Region und andere Studentinnen kennen; zudem besuchen sie Karrieremessen oder Labore“, sagt Muhammad Khaskeia, DAAD-Referatsleiter Regierungsstipendienprogramme Nahost, Nordafrika. „Auf dem Campus haben sie beispielsweise die Möglichkeit, Studierendenverbänden beizutreten oder Sportkurse zu besuchen.“
Akademische Ausbildung und gesellschaftliche Teilhabe
Hauptziel des EFFAL-Programms ist es, insbesondere geflüchteten Frauen aus Afghanistan eine akademische Ausbildung in einem der Nachbarländer sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. „Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat eine große Fluchtdynamik hauptsächlich in die benachbarten Regionen verursacht“, erklärt Khaskeia. „Mit der zunehmenden Entrechtung der Frauen und ihrer Verbannung aus den Hochschulen hat sich die Situation Ende 2022 weiter verschärft.“
Damit wurde schnelle Hilfe notwendig: Bereits im Januar 2023 förderte der DAAD erste Stipendiatinnen, die in Bangladesch nun Bachelorstudiengänge an der renommierten AUW absolvieren. Zudem werden seit August 2023 Masterstudierende an der American University of Central Asia in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek unterstützt. „Aktuell arbeiten wir daran, in Pakistan das Programm zu etablieren“, erläutert Khaskeia. „Über Partnerorganisationen bieten wir dort Masterstipendien primär für geflüchtete Afghaninnen an.“ Auch in Afghanistan selbst kommt EFFAL in Kooperation mit lokalen Anbietern zum Tragen: mit Sprachkursen, Fachseminaren und einem Studienvorbereitungsjahr. „Bis Ende 2027 werden wir insgesamt 5.000 Stipendien vergeben haben; mehr als 65 Prozent davon sollen an Frauen gehen“, sagt Khaskeia. „Wenn sich die Bedingungen in Afghanistan geändert haben, können die Absolventinnen und Absolventen des Programms als qualifizierte Fach- und Führungskräfte zum Wiederaufbau ihres Heimatlandes beitragen.“
„Ich halte eine Kombination aus wirtschaftlichen und technischen Fähigkeiten für entscheidend zur Bewältigung der Wirtschaftskrise in Afghanistan.“
Stipendiatin Amira R.
Mit der Initiative gibt der DAAD somit jungen Menschen eine berufliche Perspektive sowie die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben. „Ich bin dem DAAD und auch der AUW für ihre Unterstützung sehr dankbar“, sagt Ava P. „Nach dem Bachelor möchte ich einen Master und eine Promotion anschließen, um später insbesondere die Mütter- und Kindergesundheit in Afghanistan zu verbessern.“ Damit nimmt sie sich eines der dringlichsten Probleme Afghanistans an: Laut den Vereinten Nationen ist die Sterblichkeitsrate von Müttern und Kindern im Land eine der höchsten der Welt; durch die Politik der Taliban hat sich die Situation weiter verschärft. „Ich möchte dazu beitragen, die Zahl der Todesfälle deutlich zu verringern, beispielsweise durch die Vermittlung von Informationen an betroffene Frauen“, sagt Ava P. „Es ist wichtig, dass auch gesellschaftlich benachteiligte Mütter und deren Kinder Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten.“ Darüber hinaus sei es ihr ein Anliegen, ihr Wissen in den afghanischen Gesundheitssektor hineinzutragen – und Aktivitäten mit internationalen Organisationen zu gestalten.
Afghanistan verändern – in kleinen Schritten
Den Wunsch, eine positive Veränderung in Afghanistan herbeizuführen, hat auch Amira R. Die junge Frau, die ebenfalls nach Bangladesch flüchtete und dort an der AUW mit einem DAAD-Stipendium im Rahmen des EFFAL-Programms studiert, hat ehrgeizige Ziele. „Ich absolviere ein Doppelstudium in Wirtschaftswissenschaften und Informatik, da ich die Kombination aus wirtschaftlichen und technischen Fähigkeiten für entscheidend zur Bewältigung der Wirtschaftskrise in unserem Land halte“, erklärt sie. „Nach meinem Studium möchte ich mit engagierten jungen Menschen zusammenarbeiten, um die wirtschaftlichen Herausforderungen im großen Stil zu lösen.“
Auch in ihrer Freizeit nutzt Amira R. den Campus der AUW als Raum zum Lernen – und als Möglichkeit, mit anderen engagierten Studierenden interdisziplinär in Kontakt zu treten. Gemeinsam mit Freundinnen und Freunden hat sie die Organisation „Sane Change“ ins Leben gerufen, deren Fokus auf dem Aufbau eines Studierenden-Netzwerks, dem Austausch von Möglichkeiten und der Entwicklung von Fähigkeiten liegt. „Dank der Unterstützung der AUW ist es uns gelungen, zahlreiche Sitzungen an der Universität durchzuführen“, betont sie. Zudem hat Amira R. einen Online-Buchclub gegründet, dem rund 100 afghanische Jugendliche angehören. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wesentliche Veränderungen mit kleinen Schritten beginnen“, sagt sie.
Die Namen der Protagonistinnen dieses Textes sind redaktionell geändert, um ihre Identität zu schützen.
Christina Pfänder (8. März 2023)