„Internationale Studierende können zum Schließen der Fachkräfte-Lücke beitragen“

Dr. Kai Sicks

DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks: „Wir müssen gezielt dazu beitragen, dass die Integration internationaler Studierender gelingt, und sie privat wie beruflich Netzwerke aufbauen können“

DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks über internationale Studierende als wichtige Zielgruppe für den Arbeitsmarkt und notwendige Schritte, um die gefragten Fachleute langfristig für Deutschland zu gewinnen.

Herr Dr. Sicks, die im Oktober 2022 veröffentlichte Fachkräftestrategie der Bundesregierung betont: „Internationale Studierende sind für den deutschen Arbeitsmarkt besonders attraktiv“. Wie schätzen Sie das entsprechende Potenzial ein?
Die Bundesregierung geht in Deutschland von einem Fehlbedarf von rund 240.000 Fachkräften allein bis zum Jahr 2026 aus. Zugleich sehen wir, dass die Zahlen deutscher Studierender rückläufig sind, was die Situation im Segment der akademischen Fachkräfte noch einmal verschärfen wird. Für internationale Studierende ist die Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland dagegen ungebrochen. Wir können also in der Tat von einem hohen Potenzial sprechen, das zumindest teilweise zum Schließen der genannten Fachkräfte-Lücke beitragen kann. Nach den uns vorliegenden Statistiken gewinnt der deutsche Arbeitsmarkt aus der Gruppe internationaler Studierender jährlich rund 25.000 Fachkräfte. Wir gehen davon aus, dass sich diese Zahl schon bis 2030 auf 50.000 verdoppeln lässt.

Der DAAD macht in seinem soeben veröffentlichten Positionspapier „Internationale Studierende als Fachkräfte von morgen“ auch deutlich, dass noch viel getan werden muss, um dieses große Potenzial besser zu nutzen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Stellschrauben?
Wir sehen drei wesentliche Einflussgrößen, an denen wir ansetzen können: bei der Gewinnung internationaler Studierender, bei ihrer Begleitung zu einem erfolgreichen Studienabschluss und natürlich beim Übergang in den Arbeitsmarkt. An allen drei Stellschrauben können wir darauf hinwirken, dass langfristig mehr internationale Studierende nach ihrem Abschluss als Fachkräfte in Deutschland arbeiten. Die Zahl internationaler Studienanfängerinnen und -anfänger in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren von rund 42.000 auf ca. 75.000 gestiegen. An diesen Erfolg müssen wir anschließen und das Studienland Deutschland noch attraktiver machen. Zugleich sehen wir, dass die Abbruchquote internationaler Studierender höher ist als bei den deutschen Studierenden. Auch hier müssen wir ansetzen und sowohl dafür sorgen, dass Integration besser gelingt, als auch die Begleitung der internationalen Studierenden intensivieren, zum Beispiel mit mehr fachsprachlichem Deutschunterricht. Schließlich gilt es, den Übergang in den Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen: Aktuelle Daten der OECD zeigen, dass rund ein Drittel der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger auch zehn Jahre nach ihrer Ankunft noch in Deutschland ist und den Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt oder zumindest in eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis geschafft hat. Das ist kein schlechter Wert, aber zugleich einer, der noch weiter verbessert werden kann.

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Wo ist der DAAD besonders gefordert?
Wir werden noch intensiver für Deutschland werben und insbesondere die digitale Studienvorbereitung ausbauen, sodass internationalen Studierenden schon in ihrem Heimatland der Weg zu uns gebahnt wird. Beim Ziel, die Studierenden häufiger zum Abschluss zu bringen, möchten wir die deutschen Hochschulen weiter unterstützen und dabei auch an die sehr guten Erfahrungen anknüpfen, die wir mit unserem Programm Integra für geflüchtete Studierende gemacht haben. Integra unterstützt Geflüchtete dabei, an den Hochschulen Fuß zu fassen, und bereitet sie durch Sprachkurse und fachliche Propädeutika auf ihr Studium in Deutschland vor. Darauf wollen wir aufbauen und ein entsprechendes Programm aufsetzen, dass sich an alle internationalen Studierenden richtet. Bei all dem gilt es, den Aspekt der fairen Migration nicht aus dem Auge zu verlieren.

Was bedeutet dieser Aspekt für den DAAD?
Eine Konzentration auf die Gewinnung von Fachkräften bedeutet für uns nicht, dass wir einen Brain Drain aus anderen Ländern begünstigen wollen. Vielmehr wollen wir die natürliche Zirkulation internationaler Fachkräfte annehmen und nutzen. Dabei sind uns  unterschiedliche nationale Bedürfnislagen völlig bewusst: Einige Länder stellen Deutschland gern Fachkräfte zur Verfügung, andere leiden selbst unter dem Mangel an Fachpersonal. Damit müssen wir sensibel umgehen, und wir werden natürlich unseren partnerschaftlichen Ansatz im internationalen Austausch aufrechterhalten. Im besten Fall entsteht eine Triple-win-Situation, in der Studierende, Heimatland und Deutschland gleichermaßen Vorteile für sich erzielen.

Mit Blick auf das aktuelle Programm-Portfolio des DAAD: Wo werden Geförderte bereits heute konkret mit Blick auf ihre mögliche Gewinnung als Fachkräfte angesprochen?
Natürlich sind bereits unsere Stipendien ein Teil der Lösung. Dabei wissen wir zum Beispiel, dass internationale Studierende überdurchschnittlich häufig MINT-Fächer studieren und ihre Gewinnung somit zum Schließen der Fachkräfte-Lücke beiträgt. Mit einigen neueren Programmen adressieren wir bewusst Bereiche, in denen ein besonders großer Fachkräftebedarf besteht: etwa die Konrad Zuse Schools of Excellence in Artificial Intelligence oder das Programm EFR Zukunftsstipendien – Grüner Wasserstoff.

Was sind die wichtigsten Punkte, wenn es darum geht, internationale Studierende auf den deutschen Arbeitsmarkt vorzubereiten?
Ein zentraler Punkt ist die frühzeitige Förderung von Deutsch als Fremdsprache im Ausland. Damit legen wir eine wichtige Grundlage für das Interesse an Deutschland und einen späteren beruflichen Erfolg. Und wir müssen gezielt dazu beitragen, dass die Integration internationaler Studierender gelingt und sie privat wie beruflich Netzwerke aufbauen können, die den Einstieg in die Arbeitswelt erleichtern. Es ist wichtig, dass die Career Services an den deutschen Hochschulen ihre Angebote an internationale Studierende weiter ausbauen. Dazu zählen Bewerbungstrainings wie auch umfassende Informationen dazu, was auf dem deutschen Arbeitsmarkt verlangt wird. Von wesentlicher Bedeutung ist schließlich, dass wir internationale Talente und Arbeitgeber mit eigenen Formaten gezielt zusammenbringen, um zu vermitteln, was beide Seiten für den gemeinsamen Erfolg benötigen.

Wir haben darüber gesprochen, wie Deutschland attraktiver für internationale Fachkräfte werden kann. Warum lohnt es sich für Studierende aus aller Welt jetzt schon, sich mit einem möglichen Arbeitsplatz in Deutschland zu beschäftigen?
Deutschland bietet einen sehr aufnahmefähigen Arbeitsmarkt mit vielen Möglichkeiten, vor allem auch Auswahlmöglichkeiten. Hinzu kommt etwa ein gut ausgeprägter Arbeitnehmerschutz. Das ist eine wertvolle Aufstiegs- und Wohlstandsperspektive – und eine Einladung an internationale Studierende, an einem gesellschaftlichen Leben mit hoher politischer und sozialer Sicherheit teilzuhaben. Deutschland ist sehr attraktiv und lädt dazu ein, sich hier auch langfristig einen Platz zu suchen.

Interview: Johannes Göbel (7. März 2023)