Internationale Erfahrungen im Klassenzimmer

Unterrichtserfahrungen im Ausland, hier ein Beispiel aus Vietnam, haben für angehende Lehrkräfte viele Vorteile.

Eine neue Publikation des DAAD zeigt: Ein Semester oder ein Schulpraktikum im Ausland stärken Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden, die im Schulalltag in Deutschland von großer Bedeutung sind. Bislang gehen vor allem Studierende ins Ausland, die eine Fremdsprache unterrichten und am Gymnasium arbeiten werden.

Als Clara Tontsch im Sommer 2022 ihr Schulpraktikum in der türkischen Stadt Izmir antrat, hatte sie sich gut vorbereitet. Sie sprach etwas Türkisch, hatte daheim, an der Universität Osnabrück, ein interkulturelles Training besucht und sich mit dem Land beschäftigt. Trotzdem war Tontsch, die Deutsch und Biologie auf Lehramt studiert, überrascht davon, wie viele interkulturelle Missverständnisse sie vor Ort erlebte. Sie war mit einem Lehramt.International-Stipendium für drei Monate an einer Grundschule tätig, wo Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 15 Jahren als erste Fremdsprache Deutsch lernen. „Ich dachte zunächst: ‚Da gibt es ja nur Frontalunterricht! Die Lehrerinnen und Lehrer agieren laut und machtbezogen‘“, erinnert sich die heute 27-Jährige.

Erst nach und nach verstand sie das Verhalten der Lehrpersonen besser. Und entdeckte immer mehr Vorzüge der Schule: „Jede einzelne Lehrperson ist digital kompetent und kann zum Beispiel mit einem Smartboard umgehen“, sagt Clara Tontsch. Erst nach ihrer Rückkehr nach Deutschland habe sie erkannt, wie sehr der Auslandsaufenthalt sie verändert habe. „Ich habe festgestellt, dass ich eine Resilienz entwickelt habe“, sagt sie. „Ich bin in der Lage, interkulturelle Konflikte auszuhalten – und sogar daraus zu lernen und daran zu wachsen.“

In Denizli: Clara Tontsch (l.) und eine Freundin, die sie in der Türkei kennengelernt hat.

Da immer mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an Schulen in Deutschland lernen, sind Auslandserfahrungen sinnvoll für angehende Lehrkräfte. Sie werden dadurch auf das multikulturelle Klassenzimmer vorbereitet, das sie in Deutschland erwartet. Das DAAD-Programm Lehramt.International setzt sich für eine internationale Ausrichtung der Lehrkräftebildung ein, damit Lehramtsstudierende internationale und interkulturelle Lernerfahrungen sammeln, zum Beispiel durch ein Semester oder Schulpraktikum im Ausland.

Bislang liegt der Anteil der Lehramtsstudierenden mit Auslandsaufenthalt bei 19 Prozent, drei Prozent niedriger als beim Durchschnitt aller Universitätsstudierender. So steht es im neuen Arbeitspapier des DAAD „Merkmale und Bedingungsfaktoren von Auslandsaufenthalten im Lehramtsstudium“. Es bezieht sich auf eine Online-Befragung aus dem Wintersemester 2020/21 zum Thema „Wie international ist Ihr Studium?“ Mehr als 10.000 Lehramtsstudierende nahmen daran teil. Die Daten wurden für das DAAD-Projekt Benchmark internationale Hochschule (BintHo) erhoben, für das insgesamt 117.000 Studierende an 74 deutschen Hochschulen befragt wurden.

Vielfältige Bereicherung für künftige Lehrkräfte

Die Ergebnisse zeigen, dass viele Lehramtsstudierende in ihrem Auslandssemester einen Gewinn für ihre Persönlichkeitsentwicklung sehen, ebenso wie Clara Tontsch. Bemerkenswerte 81 Prozent gaben das an. 70 Prozent fühlen sich durch die kulturellen Erfahrungen bereichert. 62 Prozent verbesserten ihre Fremdsprachenkenntnisse – so wie Tontsch, die am Ende ihres Türkei-Aufenthaltes das B1-Niveau erreicht hatte.

Das Arbeitspapier macht jedoch auch erhebliche Unterschiede deutlich. Von den künftigen Lehrkräften, die ins Ausland gehen, studieren 35 Prozent eine Fremdsprache. Lehramtsstudierende, die mindestens ein naturwissenschaftliches Fach, ein gesellschaftswissenschaftliches Fach oder Deutsch belegt haben, entscheiden sich viel seltener für einen Auslandsaufenthalt. Angehende Gymnasiallehrende sind dazu eher bereit als künftige Berufsschul- und Grundschullehrende.

Ebenso ist ersichtlich, was Lehramtsstudierende von einem Auslandsaufenthalt abhält. Rund 62 Prozent wollen sich nicht von ihrem sozialen Umfeld trennen. Ein Viertel gibt an, dass die Fremdsprachenkenntnisse nicht ausreichen würden. Knapp 27 Prozent sagten, sie hätten wegen ihres Auslandsaufenthaltes Zeitverluste im Studium hinnehmen müssen. Auch die Wohnungssuche im Gastland, die Coronapandemie, Anerkennungsprobleme bei den Studienleistungen und Finanzierungsschwierigkeiten stellten Hürden dar.

Unterstützung durch die Hochschulen

Das Arbeitspapier belegt, dass viele Lehramtsstudierende von ihrer Hochschule Unterstützung erwarten. Rund 80 Prozent finden Informationsveranstaltungen und persönliche Beratungen über Auslandsaufenthalte sehr wichtig oder wichtig. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat in diesem Feld schon große Erfolge zu verzeichnen. Vor zehn Jahren gingen von den damals rund 3.500 Lehramtsstudierenden gerade mal ein oder zwei pro Jahr ins Ausland. Mittlerweile sind es immerhin 40 bis 60, berichtet Peter Grüttner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Lehrerbildung. Das sei auch ein Erfolg des Lehramt.International-Modellprojekts „Internationalisierung der Lehrer*bildung“, das seit 2019 an der Universität läuft.

Peter Grüttner von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

„Lehramtsstudierende schätzen an ihrem Beruf, dass der Alltag geregelt und planbar ist“, sagt Peter Grüttner. Damit auch der Auslandsaufenthalt diesem Anspruch entspricht, bietet die Universität inzwischen vielfältige Services. Studierende können sich beraten lassen – zum Beispiel zur finanziellen Förderung und der Anerkennung von Studienleistungen. Vor der Abreise stehen ihnen Interkulturelle Coachings und Online-Sprachkurse zur Verfügung. Während sie im Ausland sind, können sie sich auf einem eigens eingerichteten Online-Portal mit Dozierenden und anderen Studierenden austauschen. Wenn sie unterrichten, erhalten sie zum Beispiel ein Feedback zu didaktischen Fragen.

Rückkehrer werden angeregt, ihre Erfahrungen auf dem Online-Portal zu schildern, auch, um sie künftigen Studierenden zugänglich zu machen. Diese finden dort zudem Antworten auf praktische Fragen – etwa nach den Lebenshaltungskosten und der Wohnungssuche in verschiedenen Ländern. „Das Online-Portal steht allen Lehramtsstudierenden offen, die ins Ausland wollen – egal, ob mit einer Förderung durch den DAAD, durch Erasmus oder auf anderem Wege“, sagt Peter Grüttner.

Perspektivwechsel dank Auslandsaufenthalt

Die angehende Deutsch- und Biologielehrerin Clara Tontsch aus Osnabrück will ebenfalls dazu beitragen, dass Studierende sich besser informiert fühlen. „Ich bin sehr oft in Seminare gegangen, um von meinen Erfahrungen in der Türkei zu erzählen“, sagt sie. Sie hat nach ihrem Auslandsaufenthalt sogar das Thema ihrer Masterarbeit verändert und schreibt jetzt darüber, wie Lehrende eigenverantwortlich mit interkulturellen Unterschieden umgehen können. Sie selbst habe gelernt, dass es sinnvoll sei, das Verhalten von Menschen erst einmal möglichst neutral zu beobachten, statt vorschnell Schlüsse zu ziehen. Wenn Eltern eines Kindes mit Migrationshintergrund nicht zum Elternsprechtag erscheinen, würde sie sich jetzt eher fragen: Woran kann das liegen? Sind sie überhaupt ausreichend darüber informiert, was ein Elternsprechtag ist, warum er wichtig ist? „Ich würde den Eltern vermitteln, dass das Wohlergehen ihres Kindes unser gemeinsames Interesse ist“, sagt Clara Tontsch. „So haben wir einen gemeinsamen Nenner.“

Josefine Janert (24. August 2023)

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