„Wir müssen vermitteln, wie wichtig Auslandsaufenthalte sind“
Warum sind studienbezogene Aufenthalte im Ausland so wichtig? DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks zu den aktuellen Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und dem Engagement, mit dem der DAAD mehr Studierende ins Ausland bringen möchte.
Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat im Mai 2023 den Ergebnisbericht zur „Studierendenbefragung in Deutschland“ vorgelegt. Die im Sommersemester 2021 durchgeführte Befragung beinhaltete auch Fragen zur studienbezogenen Auslandsmobilität. Demnach hatten 19 Prozent der Befragten innerhalb der ersten sechs Semester einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt durchgeführt. Wie der DAAD diese Befunde bewertet, erläutert DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks im Interview.
Herr Dr. Sicks, laut der Befragung des DZHW hatte im Sommersemester 2021 ein knappes Fünftel der inländischen Studierenden in Deutschland bis zum sechsten Semester einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt durchgeführt. Sind Sie mit diesem Ergebnis zufrieden?
Kai Sicks: Ich freue mich, dass 19 Prozent aller einheimischen Studierenden den Weg ins Ausland gewählt haben. Sie werden hiervon auf ihrem gesamten Lebens- und Karriereweg profitieren. Dies zeigen zahlreiche Studien zur Kompetenzentwicklung von Studierenden während studienbezogener Auslandsaufenthalte und nicht zuletzt das Feedback unserer DAAD-Stipendiatinnen und -Stipendiaten. Trotzdem können wir als DAAD nicht ganz zufrieden sein. Denn im Jahr 2006 lag die entsprechende Quote laut DZHW noch bei etwas über 30 Prozent. Wir beobachten hier also seit etwa 15 Jahren einen kontinuierlichen Rückgang.
Um die Zahlen des DZHW richtig einordnen zu können, muss man jedoch auch berücksichtigen, dass die aktuelle Befragung mitten in der Coronapandemie stattfand. Man kann also davon ausgehen, dass die Zahlen ohne den Pandemieeffekt anders ausgesehen hätten. An der Erasmus+ Statistik lässt sich beispielsweise ablesen, dass die Zahl der Erasmus+ Aufenthalte durch die Pandemie und die damit verbundenen Mobilitätsbeschränkungen vorübergehend um etwa 50 Prozent gesunken ist. Darüber hinaus hat das DZHW – in enger Abstimmung mit dem DAAD – in diesem jüngsten Bericht seine Definition der Studierenden in höheren Semestern an die heutigen Studienbedingungen angepasst. Auch das hat dazu geführt, dass die nun ermittelte Mobilitätsquote einige Punkte niedriger ausfällt.
Was man ebenfalls berücksichtigen sollte: Es ist nicht so, dass wirklich nur ein knappes Fünftel der inländischen Studierenden im Laufe des Studiums internationale Erfahrungen sammelt. In der Befragung des DZHW wurde lediglich ein Teil der studentischen Auslandsmobilität in Deutschland erfasst – die sogenannte Credit Mobility, also etwa ein Auslandssemester oder ein Auslandspraktikum im Rahmen eines Studiums in Deutschland. Die Degree Mobility hingegen, bei der Studierende ihr gesamtes Studium im Ausland absolvieren, ist hier nicht mitberücksichtigt. Auch virtuelle Austausch- und Mobilitätsformate sowie interkulturelle Erfahrungen durch die Internationalisierung zu Hause wurden in der Befragung nicht erfasst.
Hinzu kommen schließlich methodische Aspekte: Aus dem Austausch mit dem DZHW wissen wir, dass auslandsmobile Studierende in Studierendenbefragungen ganz generell unterrepräsentiert sind, weil sie schlechter erreichbar sind als nicht mobile Studierende. Die Mobilitätsraten werden bei solchen Befragungen also tendenziell immer etwas unterschätzt.
Sie haben auf den rückläufigen Trend bei der Credit Mobility hingewiesen. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für diesen Trend? Sind Auslandsaufenthalte heutzutage weniger interessant für die Studierenden, als sie es noch vor 15 Jahren waren?
Die Zusammensetzung der Studierenden in Deutschland hat sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre stark verändert: Es gibt heute beispielsweise deutlich mehr Teilzeitstudierende und nebenberuflich Studierende, wie auch Studierende aus nichtakademischen Elternhäusern als früher. Diese Studierendengruppen ziehen seltener für sich in Betracht, während des Studiums ins Ausland zu gehen – anders, als dies beispielsweise bei der durchschnittlichen Vollzeitstudentin aus akademischem Elternhaus der Fall ist.
In Deutschland wurde die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse zu Beginn des neuen Jahrtausends zudem kommunikativ sehr stark mit dem Ziel der Reduzierung der Studiendauer verbunden. Gerade im Bachelorstudium hatten dadurch vermutlich viele Studierende das Gefühl, dass die Einhaltung der Regelstudienzeit im Zweifel wichtiger ist als ein Auslandsaufenthalt oder andere Zusatzqualifikationen.
Der Rückgang der Credit Mobility ist aber gleichzeitig kein rein deutsches Phänomen. Die Befunde der EUROSTUDENT-Befragungen zeigen, dass in fast allen europäischen Ländern ein vergleichbarer Trend zu beobachten ist. Auch vor diesem Hintergrund haben wir uns im DAAD vorgenommen, die Gründe für den Rückgang der Credit Mobility gemeinsam mit dem DZHW wissenschaftlich näher zu untersuchen.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ansatzpunkte, um den rückläufigen Trend bei der Credit Mobility in Deutschland wieder umzukehren?
Wir müssen den Studierenden vermitteln, wie wichtig Auslandsaufenthalte in einer globalisierten Welt sind. Befragungsdaten zeigen, dass viele Studierende heute einem studienbezogenen Auslandsaufenthalt eine niedrigere Bedeutung für die persönliche und berufliche Entwicklung beimessen, als dies noch vor 15 oder 20 Jahren der Fall war. Mit der Kampagne „studieren weltweit – ERLEBE ES!“ wirkt der DAAD diesem Trend entgegen. Denn wir sind überzeugt davon, dass internationale Studienerfahrungen vor dem Hintergrund der heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen wichtiger sind denn je.
Da unsere Zielgruppe diverser geworden ist, müssen wir auch unser Angebot an diese gestiegene Diversität anpassen. Für viele Studierende sind beispielsweise längere Auslandsaufenthalte nicht umsetzbar, häufig auch aufgrund sozialer Verpflichtungen. Diesen Personen müssen wir flexible Mobilitätsangebote machen, die zu ihrer Lebenswirklichkeit passen.
Glücklicherweise helfen uns bei der Anpassung unseres Angebotsportfolios die zunehmenden Möglichkeiten digitaler Instrumente. Hier hat gerade auch die Coronapandemie gezeigt, dass sehr viel mehr digital möglich ist, als man dies vor der Pandemie für möglich gehalten hat. Unsere bisherige Erfahrung zeigt dabei, dass besonders die kluge Verbindung von virtuellen und physischen Austausch- und Mobilitätsformaten erfolgversprechend ist. Gerade in dieser Kombination liegt aus unserer Sicht der Schlüssel zur Trendwende bei der Entwicklung der Credit Mobility.
(24. Mai 2023)