Langzeitdozentur in Peru: Wissenschaftliche Leuchtturmprojekte auf internationalem Niveau
Neue Werkstoffe für eine nachhaltige Zukunft: Professor Rolf Grieseler arbeitet als Ingenieur und Materialwissenschaftler unter anderem an der grünen Transformation des Energiesektors. Dabei hat er als DAAD-Langzeitdozent an der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru (PUCP) am Fachbereich Physik wichtige Aufbauarbeit geleistet und ein hochmodernes Labor in Betrieb genommen.
Knapper werdende Rohstoffe, der Klimawandel sowie drängende Fragen in den Bereichen Mobilität, Kommunikation und Gesundheit fordern innovative Lösungen. Mit der Entwicklung effizienter, nachhaltiger und ressourcenschonender Materialien kann die Werkstofftechnik für die Herausforderungen der Zukunft einen entscheidenden Beitrag leisten und beispielsweise die Basis für leistungsfähige Elektroautos, Solarmodule oder Medizinprodukte legen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Forschung ist dabei nicht nur die Ausstattung der Hochschulen mit hochwertigen Geräten: „Ebenso entscheidend ist, dass laserbasierte Messsysteme, Röntgenapparate oder Rasterelektronenmikroskope in all ihren Funktionen sachgerecht und sicher in Betrieb genommen werden können“, sagt Professor Rolf Grieseler.
Der Ingenieur und Werkstoffwissenschaftler, der von 2017 bis Juni 2023 als DAAD-Langzeitdozent an der PUCP am Fachbereich Physik arbeitete und nun dort als Dozent angestellt ist, unterstützte seine Kolleginnen und Kollegen darin, sich mit neuem Equipment vertraut zu machen und eine Organisationsstruktur zu etablieren. „Unser Labor steht allen Fachbereichen der Universität offen“, erläutert er. „Wir arbeiten beispielsweise mit Architekten zusammen, die basierend auf lokalen Ressourcen neue Materialien für Baustoffe entwickeln.“ Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Hochschulen profitierten von der Einrichtung. Für die peruanische Industrie hat dies ebenso Vorteile: „Insbesondere der Bergbau, aber auch die Agrarwissenschaften sind an unserer Messtechnik und unseren Analysen interessiert“, berichtet Grieseler.
Bei seiner Ankunft in Lima wusste er, was ihn erwartet: Grieseler studierte und promovierte an der Technischen Universität Ilmenau, die bereits seit Ende der 1990er-Jahre im Rahmen eines DAAD-geförderten studentischen Austauschprogramms eng mit der PUCP kooperiert. Im Zuge seiner Diplomarbeit reiste er 2007 zum ersten Mal nach Peru. Mit seiner Promotion vertiefte der Experte für Dünnschichttechnik die Zusammenarbeit der beiden Universitäten und stellte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der TU Ilmenau und der PUCP ein durch den DAAD gefördertes Doppelmasterprogramm in den Bereichen Werkstoffwissenschaft, Maschinenbau, Mechatronik und Automatisierungstechnik auf die Beine. „Durch die Langzeitdozentur habe ich die Möglichkeit bekommen, das Programm und die Studierenden weiter zu betreuen – und das im Rahmen einer Festanstellung für sechs Jahre.“
Kulinarische Vielfalt, faszinierende Landschaft
An das Leben in der peruanischen Metropole musste er sich dennoch erst gewöhnen. „Ilmenau hat etwa 25.000 Einwohner, in Lima leben hingegen fast 10 Millionen Menschen“, erklärt Grieseler. „Das ist schon ein gewaltiger Unterschied, der sich beispielsweise im Straßenverkehr bemerkbar macht.“ Überrascht und beeindruckt hat ihn auch die kulturelle und kulinarische Vielfalt: „Das Essen hier ist wirklich ausgezeichnet und vereint Einflüsse aus der regionalen Küche mit der aus Europa, Asien und Afrika. Im Juni 2023 wurde ein hier ansässiges Lokal von einer internationalen Gourmet-Jury zum besten Restaurant der Welt gekürt.“ Faszinierend sei auch die abwechslungsreiche Landschaft der Andenrepublik, die mit Wüsten, Hochgebirge und Dschungel 80 der weltweit vorkommenden 100 verschiedenen lokalen Klimazonen (Mikroklimata) abdecke. Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Ausland an seine Universität kommen, mache er gerne mit dem Land vertraut. „Ein touristisches Muss ist der Besuch von Machu Picchu, der weltberühmten Inka-Stadt in den Anden“, sagt Grieseler.
Mit der Geschichte Perus beschäftigt sich der Ingenieur auch im Labor: Dank des multidisziplinären Ansatzes der PUCP unterstützt er den Fachbereich Archäologie mit seinen Kenntnissen in der Werkstoffanalytik. „Bei Ausgrabungen sind die Kolleginnen und Kollegen auf die ältesten Backsteine Perus gestoßen“, sagt Grieseler. „In einem gemeinsamen Projekt haben wir herausgefunden, mit welchen Techniken und Materialien die damalige Hochkultur vor über 5.000 Jahren die Vorläufer unserer modernen Mauerziegel hergestellt hat, die in abgewandelter Form auch in späteren Jahrhunderten für Monumentalbauten zum Einsatz kamen. Noch heute sind in Südamerika Backsteine ein beliebter Baustoff.“
Beste Voraussetzungen für erneuerbare Energien
Mit seinem Forschungsschwerpunkt zu Halbleitern und Solarmodulen fördert der Werkstoffingenieur zudem den Wandel hin zu erneuerbaren Energien, für den Peru über beste Voraussetzungen verfügt. „Die Sonneneinstrahlung ist in Peru im Durchschnitt zweieinhalbmal höher als in Deutschland und an den Küsten Perus sogar die höchste weltweit, sodass mit einem geringen Einsatz von Fläche eine hohe Menge an Energie gewonnen werden kann“, verdeutlicht Grieseler. „Auf dem Campus der PUCP haben wir deshalb zu Forschungszwecken Solarfelder aufgebaut, um die Effizienz verschiedener Konzepte und Module zu prüfen.“
Zudem beschäftigt er sich mit dem Speichern des Stroms in Form von grünem Wasserstoff. „Unsere Arbeitsgruppe entwickelt Materialien, die diesen Prozess erleichtern oder günstiger machen“, sagt er. Ein weiteres Standbein des Ingenieurs ist die Bio-Medizintechnik: Auf Grundlage von Nanomaterialien arbeitet er an speziellen Sensoren für ein nicht-invasives Medizinprodukt, das Menschen mit Diabetes helfen soll. „Dank der äußerst sensiblen Sensoren wird es in Zukunft möglich sein, mittels einer Smartwatch aus dem Schweiß von Patienten den Glukose-Gehalt zu ermitteln“, erklärt er. „Ist der Zuckerwert zu hoch oder zu niedrig, schlägt die Uhr Alarm.“
Spitzenforschung an peruanischen Hochschulen
Auf fachlichen und interdisziplinären Austausch setzt Grieseler dabei auch mit anderen Hochschulen – national und in anderen Ländern Lateinamerikas: Im Laufe seiner DAAD-Langzeitdozentur ist es ihm gelungen, mit Werkstoffwissenschaftlern in Chile, Brasilien und Kolumbien ein stabiles Netzwerk aufzubauen. In der Zusammenarbeit mit seinen europäischen Kolleginnen und Kollegen räumt er gerne mit Vorurteilen gegenüber Peru auf: „An peruanischen Hochschulen existieren zahlreiche wissenschaftliche Leuchtturmprojekte auf internationalem Niveau, die werden oft nicht wahrgenommen“, sagt er. „Zudem sind die Studierenden, die ich in Modulen zu Biomaterialien, Werkstoffen sowie Dünnschichttechniken unterrichte, sehr motiviert. Das Studium gilt hier als Sprungbrett in ein besseres Leben.“ Dabei biete sein Fachbereich ein Best-Practice-Beispiel für digitales Lernen: Veranstaltungen des Masterstudiengangs Werkstoffwissenschaften werden weitestgehend online abgehalten. „In Peru ist es üblich, ein Masterstudium berufsbegleitend abends nach Feierabend zu absolvieren“, erklärt Grieseler. „Mit unseren Online-Seminaren können selbst Studierende, die in Regionen abseits von Lima oder anderen südamerikanischen Ländern tätig sind, einen Masterabschluss an unserer Universität erwerben.“
Engagierte Studierende, ein hochmodernes Labor, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über die eigene Hochschule hinaus sowie eine staatliche Forschungsförderung: Das Angebot der PUCP auf eine Anstellung als Dozent hat Rolf Grieseler gerne angenommen. „Das gibt mir unter anderem die Möglichkeit, meine Promotions- und Masterstudierenden weiter zu betreuen und wissenschaftliche Projekte zu Ende zu führen.“
(Christina Pfänder, 20. Juli 2023)