Wissenschaftsdiplomatie weiterdenken

Prof. Dr. Joybrato Mukherjee bei seiner Rede an der Universidad Externado de Colombia in Bogotá zum Thema Science Diplomacy

Vom 16. bis zum 19. September besuchte DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee Kolumbien. Dort traf er sich mit Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Botschaft sowie der kolumbianischen Wissenschaftsministerin, eröffnete eine Repräsentanz der Justus-Liebig-Universität Gießen und sprach an der Universidad Externado de Colombia in Bogotá über Science Diplomacy - ein Thema, das auch den DAAD in Zeiten neuer geopolitscher Herausforderungen stark beschäftigt. Mit im Publikum saß auch Prof. Dr. Stefan Peters, Leiter des Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut – Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ). Das vom DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes geförderte Institut ist für viele ein Beispiel für gelungene Wissenschaftsdiplomatie.

Dass Wissenschaft politisches Handeln benötigt, um sich bestmöglich zu entfalten, ist seit Langem bekannt. Man könnte etwa, wie DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee in seiner Rede am 19. September an der Universidad Externado de Colombia in Bogotá, auf den deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt verweisen. Dieser reiste vor etwas mehr als 200 Jahren in die damaligen spanischen Kolonien in Lateinamerika – akkreditiert durch eine vom spanischen König ausgestellte Verfügung und damit unterwegs als einer der ersten Wissenschaftler mit „Diplomatenpass“, wie man heute sagen würde. Mukherjee sprach auf Einladung des kolumbianischen Außenministeriums und der Diplomatenschule zum Thema „Wissenschaftsdiplomatie: die deutsche Perspektive in Zeiten geopolitischen Wandels“.

Trotz der weit zurückreichenden Geschichte sei es wichtig, das Konzept der Wissenschaftsdiplomatie weiterzudenken, so der DAAD-Präsident. Im Raum stehe keine geringere Herausforderung als die Frage, wie wir politisches und wissenschaftliches Handeln im Interesse der grundlegenden Menschenrechte, des friedlichen Zusammenlebens und im Einklang mit der Natur zum Schutz unseres Planeten am besten gestalten können. Die Antwort habe die britische Wissenschaftsakademie Royal Society bereits 2010 gegeben, so Mukherjee: mit einer noch engeren Zusammenarbeit von Wissenschaft und Diplomatie. Außenpolitische Ziele sollen durch wissenschaftliche Beratung unterstützt (Science in Diplomacy), internationale Wissenschaftskooperationen durch Außenpolitik erleichtert (Diplomacy for Science) und die internationalen Beziehungen zwischen Ländern durch eben solche Kooperationen intensiviert werden (Science for Diplomacy). Gebündelt spricht man seither von Science Diplomacy als neue Strategie traditioneller Außenwissenschaftspolitik.

Drei Dimensionen von Science Diplomacy

Im Publikum an der Universidad Externado saß auch Stefan Peters, Professor für Friedensforschung an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen, und konnte den Ausführungen Mukherjees viel abgewinnen. Seit 2018 leitet Peters das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut – Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ). Als binationales Konsortium aus aktuell zehn deutschen und 19 kolumbianischen Universitäten forscht CAPAZ zu Friedensprozessen, Konflikttransformation, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit. „Im Grunde sind wir in allen Dimensionen von Science Diplomacy aktiv“, so Peters. Und dies auf Grundlage unabhängiger Forschung. „Wir werden zwar gefördert, sind in unserem wissenschaftlichen Handeln aber an keine Vorgaben gebunden. Das heißt, wir können auch schwierige Themen ansprechen, was im Falle der wissenschaftlichen Begleitung von Friedensprozessen essenziell ist.“

Prof. Dr. Stefan Peters, wissenschaftlicher Leiter des Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ)

Ein großer Teil der Arbeit von CAPAZ besteht in einer wissenschaftsbasierten Politikberatung. Dazu ist man mit verschiedenen Institutionen in Kolumbien vernetzt, tauscht sich mit dem Auswärtigen Amt aus und begleitet hochrangigen, politischen Besuch aus Deutschland, aber auch viele zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort bis hinunter auf die Ebene von Kommunalverwaltungen oder Opferorganisationen. Dieser Zugang zum Feld der „low politics“, wie Peters es nennt, ist entscheidend, um tatsächlich auf politische Prozesse einwirken zu können. „Wir wollen lokale Opferorganisationen über unsere wissenschaftliche Beratung dabei unterstützen,  ihre Interessen in den Transitional Justice Prozessen effektiv zu artikulieren.“ Damit gemeint sind sämtliche Maßnahme, die darauf abzielen, in Diktatur und Krieg begangenes Unrecht aufzuarbeiten, anzuerkennen und zu ahnden. Gleichzeitig spüre man die Unterstützung der Politik, sowohl vonseiten der deutschen als auch der kolumbianischen Regierung. „Das hilft uns, Gesprächsräume in einem herausfordernden Friedensprozess zu eröffnen.“

Großes Vertrauen in Hochschulen

Insbesondere die Universitäten spielen in diesem Kontext eine entscheidende Rolle, so Peters. Sie sind diejenigen Institutionen, die bei jungen Menschen im Land das größte Vertrauen genießen. Dies zeigte sich etwa während der Proteste im Mai 2021, als kolumbianische Studierende auf die Straße gingen, um gegen eine Steuerreform der Regierung zu protestieren. „Wir haben dann, durchaus erfolgreich, das Gespräch mit den Protestierenden gesucht und Dialogräume geöffnet.“ In Kolumbien haben deutsche Hochschulen einen hervorragenden Ruf und eine große Anziehungskraft auf junge Kolumbianerinnen und Kolumbianer, wie auch Joybrato Mukherjee in seiner Rede betonte. Im Jahr 2022 wurden so viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer durch den DAAD gefördert wie noch nie zuvor: Über 2.000 Förderungen positionieren Kolumbien in Lateinamerika damit klar auf den ersten Platz, so der DAAD-Präsident. Anlass seiner Reise war neben der Einladung des kolumbianischen Außenministeriums und der Universidad Externado auch die Eröffnung einer Repräsentanz der JLU Gießen, der Mukherjee als Präsident vorsteht.

Prof. Dr. Joybrato Mukherjee im Gespräch mit Reinhard Babel, Leiter der DAAD-Außenstelle Bogota, und Ignacio Mantilla, ehemaliger Rektor der Universidad Nacional und DAAD-Alumnus

Besonders hervorheben möchte Peters die Impulse, die CAPAZ bezogen auf die juristische Aufarbeitung des Konflikts zwischen Regierung und der ehemaligen FARC-Guerrilla in Kolumbien geben konnte. Dies betrifft etwa die Behandlung genderbasierter und sexualisierter Gewalt sowie der Auswirkungen des Konfliktes auf die Umwelt „Wir haben mit unserer Arbeit einen bescheidenen Beitrag geleistet, auch die Natur als Opfer des Konflikts anzuerkennen.“ Dazu arbeitet das Konsortium eng mit indigenen und afrokolumbianischen Gruppierungen zusammen, deren politischer Einfluss durch wissenschaftliche Begleitung vergrößert wird. Seiner Meinung nach zeige das Beispiel auch mit Blick auf die Klimakrise noch einmal besonders deutlich, dass Wissenschaft inzwischen wesentlich mehr ist als ein „nice to have“, auf das im Zweifel auch verzichtet werden kann, wenn die Mittel dafür fehlen. Insbesondere in Zeiten geopolitischer Konflikte komme der Wissenschaft dagegen viel eher die Rolle einer „harten Währung“ für die internationale Zusammenarbeit zu, wie Professor Mukherjee es bei seinem Gastbesuch in Kolumbien ausdrückt: „Akademischer Austausch und internationale Wissenschaftskooperationen finden nicht in einem apolitischen Raum statt.“

Andere Perspektiven zulassen

In diesem Sinne ist Science Diplomacy immer auch eine Strategie, die eine starke Bezugnahme nach außen beinhaltet, eine Praxis des Forschens, die den Kontakt zu den Menschen sucht, statt sich zu sehr auf sich selbst zu fokussieren. „Besonders in Konfliktgebieten ist es essenziell, über partizipative Methoden mit der historisch marginalisierten Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten“, betont Stefan Peters. „Hier kommt man nur dann weiter, wenn es gelingt, partizipativ mit den Menschen in Kontakt zu treten.“ So tritt die Wissenschaft nicht nur in den Dialog mit Expertinnen und Experten, sondern auch mit der breiten Öffentlichkeit in den Regionen des Landes.

Zur generellen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kolumbien im Sinne einer Science Diplomacy zog der DAAD-Präsident am Ende eine positive Bilanz. Es seien gerade verlässliche Partnerländer wie Kolumbien, die zeigten, dass eine neue wertebasierte und dabei multilaterale Wissenschaftsdiplomatie dazu beitragen kann, die großen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Voraussetzen dürfe man die positiven Effekte internationaler Wissenschaftskooperation freilich nicht, sondern müsse sein Handeln laufend kritisch hinterfragen und dabei auch andere Perspektiven zulassen. „Weder ist internationaler akademischer Austausch in jeder Konstellation ‚gut‘, noch dient er selbstverständlich immer ‚westlichen‘ Werten, Interessen und der Verbreitung von Frieden, Freiheit und Demokratie. Wissenschaftsfreiheit, wissenschaftliche und ethische Integrität oder das Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten lassen sich nicht von allein ‚by exchange‘ vermitteln.“

Klaus Lüber (4. Oktober 2023)


 

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