For Life!
Was ihnen ihre Förderung durch den DAAD bedeutet, haben viele DAAD-Alumnae und -Alumni seit Anfang Juli unter #IgotFundedByDAAD auf Twitter geteilt. Ein DAAD-Alumnus hatte den Hashtag initiiert, inzwischen finden sich dort dazu mehr als 1.800 Tweets. In ausführlicheren Statements bringen ehemalige Geförderte nun in einer DAAD-Aktuell-Serie genau dies zum Ausdruck: wie ein Stipendium des DAAD ihren Berufs- und Lebensweg beeinflusst hat, aber auch, welche Rolle der DAAD als Förderorganisation im Kontext des internationalen wissenschaftlichen Austauschs einnimmt. Lesen Sie hier einen Beitrag von Dr. Mark Schiffhauer, Chief Creative Officer der ZEIT Verlagsgruppe und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Studio ZX.
Ich konnte nicht ahnen, dass dieser unscheinbare Aushang im Studierendensekretariat der Goethe-Universität Frankfurt mein Leben verändern würde. Es war 1993, ich hatte gerade meine ersten Monate als Student der Germanistik und Amerikanistik hinter mir, als ich die auf A4 kopierte Information des DAAD las, dass man sich ab sofort um Stipendien im Nordamerika-Programm bewerben könne. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich gerade frisch für die Literatur Kaliforniens, insbesondere John Steinbecks begeistert und wusste: Da muss ich mich bewerben. Das tat ich dann auch, kam tatsächlich durch die Vorauswahl und stand irgendwann in einer repräsentativen Villa in Bonn einem vierköpfigen Gremium aus verdienten Professorinnen und Professoren eine Stunde lange Rede und Antwort – und erhielt das Stipendium. Den Tag, an dem der Brief des DAAD kam und mir mitgeteilt wurde, dass ich im akademischen Jahr 1995/1996 an der University of California at Santa Cruz studieren dürfe, erinnere ich noch heute als einen der schönsten Momente.
Um es vorwegzunehmen: Ich hatte ein fantastisches Jahr in Kalifornien, habe so viel gelesen, studiert und gelernt wie selten zuvor und danach in meinem Leben und – rein akademisch betrachtet – alles herausgeholt. Ich habe später über „American Environmental History“ promoviert und wäre, wenn nicht das Leben dazwischengekommen wäre, vielleicht sogar Professor für amerikanische Literatur geworden. Bin ich aber nicht – warum, das ist eine andere Geschichte. Aus mir ist trotzdem etwas geworden: Ich arbeite heute als Chief Creative Officer in der Geschäftsleitung der ZEIT Verlagsgruppe, und auch wenn ich es nicht beweisen kann: Die Erfahrungen, die ich dank des DAAD in den USA sammeln durfte, haben meine Karriere maßgeblich beeinflusst und gefördert. Dafür allein bin ich dem DAAD sehr dankbar. Da es seit 20 Jahren Teil meines Berufes ist, in großen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Diskussionsformaten kluge Menschen zusammenzubringen, um Lösungen für die diversen Herausforderungen unserer Welt zu erörtern, hat es sich vielleicht sogar ein bisschen für Deutschland und die Welt gelohnt, dass mich der DAAD damals gefördert hat. Aber auch das kann ich nicht ursächlich beweisen.
Es gibt aber ein gewichtigeres Argument, warum mir das DAAD-Stipendium noch heute besonders wertvoll erscheint, und dieses kann ich tatsächlich auch belegen. Ich war, so wie es damals in der Einführungswoche in Chicago allen rund 50 Stipendiatinnen und Stipendiaten verdeutlicht wurde, nicht nur zum Selbstzweck in den USA, ich war auch Botschafter unseres Landes. Diesen kulturellen Auftrag empfand ich – und empfinde ich noch heute – als den bedeutsameren Teil der „DAAD-Mission“. Ich bin in dem Jahr meines USA-Aufenthalts vielen Menschen begegnet, für die ich zum Teil der erste Deutsche war, mit dem sie sich jemals unterhalten haben. Ich bin mir sehr sicher, dass ich das Deutschlandbild dieser Menschen im positiven Sinne mitgeprägt habe (und sie natürlich umgekehrt mein Bild von den USA). Selbst eine kleine Auswahl dieser Menschen und Begegnungen hier darzustellen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Aber einen sehr besonderen Moment möchte ich festhalten: Ich hatte mich in eine Frau aus San Francisco verliebt, und es stand der Besuch bei Elizabeth an, der polnisch-stämmigen, jüdischen Mutter ihrer besten Freundin. Deren Mutter war während des Holocausts von den Nazis in Treblinka ermordet worden, ihren Vater hatten die Sowjets umgebracht. Elizabeth selbst wurde vom Kindermädchen über Schweden und Kuba nach New York in Sicherheit gebracht und überlebte. Jetzt saß ich bei ihr am Wohnzimmertisch, war nervös und angespannt. Sie hat mir dann Tee angeboten und mich in ein Gespräch über die Literatur Thomas Manns verwickelt, mir erzählt, wie schön sie Lübeck fand, und es mir, als Nachfahre des Tätervolks, einfach gemacht, eine „normale“ Unterhaltung zu führen. Elizabeths Weisheit und Größe ist mir bis heute in Erinnerung geblieben, und ich denke, diese Begegnung ist von großer Bedeutung in einem übergeordneten Sinn. Mit ihrer Tochter Robin bin ich noch immer in Kontakt.
Aber ein Bild fasst das, was ich zum Ausdruck bringen will, am besten zusammen. Ich habe in dem Jahr in den USA das Apartment B13 am Oakes College auf dem Campus der UC Santa Cruz mit vier Menschen geteilt: Roberto Cruz-Hernandez aus San Jose (USA), Brian Marr aus Redwood City (USA), Ruyi Sule aus Nigeria und Angus Glover-Wilson aus England. Als wir damals realisierten, welch wunderbare Mischung die Leute beim Housing Department der Uni da in unserem Apartment zusammengewürfelt hatten, hat sich jeder von uns gefragt, wie eine solche Wohngemeinschaft von Menschen aus komplett unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus funktionieren soll. Aber es hat funktioniert, denn wir haben aus unserem Verschiedensein eine Tugend gemacht und aus unserem Anderssein eine Story: Die Boy Group aus B13 wurde am Oakes College ein bisschen „famous“. Am Ende des Jahres haben wir uns mit dem Schwur „B13 for Life“ verabschiedet und im Juni 1996 das untenstehende Bild aufgenommen.
Dann sind wir auseinandergegangen, und wenn wir uns nie wiedergesehen hätten, würde ich heute immer noch an die vielen gemeinsamen Erinnerungen und Erfahrungen mit den vieren zurückdenken. Aber – und das ist die vielleicht etwas pathetische, dennoch wahre Geschichte – wir haben uns nie aus den Augen verloren, haben uns zu unseren Hochzeiten besucht und wann immer sich sonst die Gelegenheit für ein Wiedersehen bot.
Im August dieses Jahres bin ich 50 geworden und habe mit vielen Freundinnen und Freunden, Weggefährtinnen und Weggefährten gefeiert. Drei der vier B13-Freunde sind aus Seattle, San Diego und New York mit ihren Familien angereist, um dabei zu sein. Den Fünften im Bunde, der es nicht geschafft hat, haben wir um Mitternacht angerufen. B13 for Life.
Für diese sehr besondere Freundschaft, die ein wirkliches Geschenk ist, bin ich dem DAAD bis heute dankbar. Die Verbindungen, die aus meinem Jahr in den USA entstanden sind und die bis heute die Leben von Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks bereichern, zeigen auch, dass der kulturelle Wert solcher Programme nicht überschätzt werden kann. Im Gegenteil: Gerade in krisenhaften Zeiten wie diesen, in denen wir Krieg in Europa erleben und unsere Demokratien verteidigen müssen, brauchen wir mehr denn je Institutionen wie den DAAD. Denn einer der wichtigsten Grundpfeiler für Freiheit, Demokratie und die Verständigung zwischen den Nationen ist (kulturelle) Bildung.
P. S.: Unsere Tochter Paulina hat sich während der schönen Tage, die wir als Familien rund um meinen Geburtstag hier in Frankfurt am Main verbrachten, mit Brians Tochter angefreundet. Sie schicken sich heute per Instagram und Whatsapp Nachrichten und wollen sich bald in Seattle wiedersehen. Die nächste Generation steht bereit.
Mark Schiffhauer (31. Oktober 2022)