„Deutsche Hochschulen rennen hier offene Türen ein“

Blick über die georgische Hauptstadt Tbilissi

Am 9. Juni 2022 ist die neue DAAD-Außenstelle Tiflis eröffnet worden. Während es zuvor Informationszentren in Georgien, Armenien und Aserbaidschan gab, ist nun die Außenstelle in der georgischen Hauptstadt für alle drei Länder im Südkaukasus verantwortlich. Außenstellenleiter Gebhard Reul berichtet von politischen Unsicherheiten, dem hohen Ansehen deutscher Hochschulen und Perspektiven für die Region.

Herr Reul, im Juni wurde die DAAD-Außenstelle Tiflis offiziell eröffnet. Wie haben Sie die Feierlichkeiten erlebt?
Als ein wichtiges Ereignis für den DAAD in der Region, das organisatorisch eine Herausforderung war. Die Eröffnung der Außenstelle war eine Hybridveranstaltung mit 80 Gästen in Tbilissi. So heißt die Hauptstadt auf Georgisch. Der DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks ist extra angereist, und aus allen drei Ländern haben wir verschiedene Rektorinnen und Rektoren sowie Alumni eingeladen, die zum Teil wichtige Posten haben. Wir hatten auch viele Gäste aus deutschen Partnerorganisationen, wie den politischen Stiftungen und dem Goethe-Institut vor Ort. Leider ist es uns trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, einen offiziellen Vertreter aus Armenien für ein Grußwort zu gewinnen. Wegen des Konfliktes um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist es nicht immer leicht, alle drei Länder unter einen Hut zu bringen. Trotz dieser Herausforderungen bin ich sehr froh, dass wir Delegationen aus Armenien und Aserbaidschan in Tbilissi begrüßen konnten und dass ich diese Außenstelle leiten kann. Auch wenn es nicht immer möglich ist, werden wir auch zukünftig alles daransetzen, Menschen aus allen drei Ländern zusammenzubringen. Wie unser Generalsekretär bei der Eröffnung sagte: „Wir müssen Visionen entwerfen, wie es einmal sein könnte. Unsere Kinder müssen in der Welt leben, die wir ihnen hinterlassen.“ In Gesprächen versuche ich klarzumachen, dass die Universitäten eine gesellschaftliche Rolle erfüllen, eine Vorreiterfunktion.

 

„Deutsche Hochschulen rennen hier offene Türen ein“

Der DAAD eröffnete bereits 2004 Informationszentren in den Ländern des Südkaukasus, die nun in der neuen regionalen DAAD-Außenstelle Tiflis zusammengefasst sind. Wie kam es dazu?
Diese Veränderung ist als Teil eines größeren Prozesses zu sehen, da der DAAD seit einigen Jahren dabei ist, sein Außennetzwerk neu zu strukturieren, was besonders die Informationszentren betrifft. So wurden Ende 2020 die Informationszentren in Armenien und Aserbaidschan geschlossen, und nach Absprache mit dem Auswärtigen Amt wurde das Informationszentrum in Tbilissi im Juli letzten Jahres in eine Außenstelle umgewandelt, die für alle drei Länder zuständig ist. Vor dem Hintergrund des Konfliktes um Bergkarabach ist Georgien in Bezug auf diese beiden Länder ein neutrales Land; eine Außenstelle in Aserbaidschan oder Armenien wäre nicht möglich gewesen. Da wir nun für alle drei Länder des Südkaukasus zuständig sind, habe ich bereits viele Reisen unternommen, um mir ein besseres Bild von der Hochschulsituation zu machen. Viele Universitäten kommen mit Ideen auf uns zu, die wir zu ermöglichen versuchen. Gleichzeitig wollen wir auch Impulse für die regionale Zusammenarbeit geben. 

Wie erleben Sie die politische und hochschulpolitische Lage vor Ort?
Als sehr divers. Nehmen wir die Hochschulen: In Georgien ist die Hochschullandschaft unterteilt in Lehr- und Forschungsuniversitäten, nur an Letzteren kann man promovieren. Die Forschungsuniversitäten haben fast alle Forschungsinstitute übernommen, die früher in der Akademie der Wissenschaften zusammengefasst waren. Das ist in Armenien und Aserbaidschan ganz anders: Dort sind die Forschungsinstitute noch unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften, und die Hochschulen sind überwiegend Lehruniversitäten. 
Große Unterschiede gibt es nach dem Academic Freedom Index (AFI) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Varieties of Democracy (V-Dem) Institute der Universität Göteborg auch bei der Wissenschaftsfreiheit. Ebenso gehen die Länder bei der Umsetzung der Bologna-Reformen mit verschiedenen Geschwindigkeiten vor. Auch die politische Entwicklung verläuft sehr unterschiedlich. Die Länder im Südkaukasus waren in ihrer Geschichte fast immer fremdbestimmt. Noch heute, nachdem sie die Unabhängigkeit de jure erlangt haben, ist der Einfluss von außen immens, insbesondere der Einfluss Russlands. Politische Beobachterinnen und Beobachter haben in Georgien einen Rückbau demokratischer Strukturen konstatiert. Dadurch entfernt sich das Land immer weiter von den Werten und Zielen der Europäischen Union, beantragt aber zugleich die Aufnahme in die EU.

 

„Deutsche Hochschulen rennen hier offene Türen ein“

Worin sehen Sie die wichtigsten Aufgaben der Außenstelle in Tbilissi?
Die Aufgaben der Außenstelle entsprechen den strategischen Zielen des DAAD insgesamt: Potenziale fördern, die Wissenschaft vernetzen und unsere Expertise einbringen. Wir bekommen rund 1.000 Bewerbungen in den verschiedenen Stipendienprogrammen, und damit ist sehr viel Beratungsarbeit verbunden. Eine andere wichtige Aufgabe ist die Vernetzung der Wissenschaft und die Kontaktpflege zu den Hochschulen, die wir auch in Sachen Internationalisierung beraten. Die institutionellen Kooperationen mit deutschen Hochschulen zu stärken, ist eines unserer wichtigsten Ziele. Unsere Expertise ist gerade in ein neues Produkt des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) geflossen: der Kooperationsleitfaden für die Region Südkaukasus. Er bietet deutschen Hochschulen wichtige Informationen, stellt bestehende Kooperationen vor und enthält Erfahrungsberichte beteiligter Personen.

Was macht den Südkaukasus für Hochschulkooperationen interessant?
Der Südkaukasus ist noch weitgehend ein weißer Fleck auf der Landkarte der Hochschulkooperationen. Die deutschen Hochschulen können den Studierenden einen Austausch mit Ländern bieten, in denen noch kaum jemand war. Auch ist das dortige Bildungsniveau vergleichsweise gut. Zudem gibt es im Bereich der Projektförderung viele DAAD-Programme, die für Hochschulkooperationen mit dieser Region genutzt werden können. Und es können einzelne Fächer für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland äußerst interessant sein: Der Südkaukasus ist beispielsweise einer von zehn Hotspots für Biodiversität. Deutsche Hochschulen haben in der Region einen sehr guten Ruf, und besonders in Georgien ist Deutschland traditionell das wichtigste Zielland. Deutsche Hochschulen rennen hier also offene Türen ein, und es gibt noch nicht so viel Konkurrenz.

Interview: Christiane Weidemann (14. Juli 2022)