Von Heidelberg in alle Welt: 100 Jahre DAAD

Zwei Männer in Anzügen stehen vor einem Gebäude mit Holztür, neben ihnen ein Plakat zur DAAD-Jubiläumsveranstaltung 2025 in Heidelberg.

Der 13. Januar 1925 ist der Geburtstag des DAAD. Gegründet wurde er an der Universität Heidelberg, wo sich im Jubiläumsjahr 2025 DAAD-Alumnus Professor Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee zum Interview für das DAAD Journal trafen.

Lieber Herr Professor Harbarth, lieber Herr Professor Mukherjee, wir treffen uns heute an der Universität in Heidelberg, an der der DAAD vor einhundert Jahren gegründet wurde. Sie, lieber Herr Harbarth, sind hier Professor. Warum Heidelberg, warum 1925?

Harbarth: Dies hat viel mit Carl Joachim Friedrich zu tun, der damals Student am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften war, später Politikprofessor in Harvard und Heidelberg. In den Jahren 1922/23 bekam Friedrich die Gelegenheit, auf Einladung einer amerikanischen Studentengruppe mit anderen Studentinnen und Studenten aus weiteren europäischen Ländern für mehrere Monate in die USA zu reisen – eine Erfahrung, die ihn prägte: Noch im Jahr 1923 gründet er zusammen mit Alfred Weber und Arnold Bergstraesser die „Staatswissenschaftliche Austauschstelle beim Institut für Sozial- und Staatswissenschaften“. Es war also auch die Unterstützung durch die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, die bei der Grundsteinlegung für den DAAD mitwirkte. Denn aus der von Carl Joachim Friedrich begründeten Austauschstelle ging letztlich der DAAD hervor.

Mukherjee: Heidelberg hatte zudem als eine der ältesten Universitäten Europas bereits seit dem Mittelalter grenzüberschreitende Wissenschaftsbeziehungen – sehr früh auch in die USA. Der spätere US-Botschafter Jacob Gould Schurman, ein ehemaliger Heidelberger Student, spendete beispielsweise eine beträchtliche Summe zum Bau der Neuen Universität. In diesem Umfeld entwickelte sich die Idee, nach dem Ersten Weltkrieg internationale Verständigung durch Wissenschaftsaustausch zu fördern und die Isolation Deutschlands zu überwinden. Besonders bemerkenswert: Die Idee der Austauschstelle ging ganz überwiegend von deutschen und US-amerikanischen Studierenden aus. Heidelberg und die Vereinigten Staaten waren also die Grundpfeiler des DAAD – und stehen sinnbildlich für unser zentrales Motto: Wandel durch Austausch.

Welche Herausforderungen der Zeit wollten die Gründer Ihrer Meinung nach damals angehen?

Harbarth: Die Herausforderungen der damaligen Zeit – in deren Kontext die Bestrebungen zum internationalen Austausch zu sehen sind – waren komplex. Die frühen 1920er Jahre standen unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und des Versailler Vertrags. Die Besetzung des Ruhrgebietes, die Hyperinflation und zahlreiche Putschversuche destabilisierten Staat und Gesellschaft; Deutschland war international weitgehend isoliert. Erst mit den Verträgen von Locarno im Jahr 1925 wurde Deutschlands Isolation überwunden und unter anderem die Vereinbarung über die Aufnahme in den Völkerbund getroffen. Ab Mitte der 1920er Jahre setzte dann allmählich ein Geist des Aufbruchs ein, die „Goldenen Zwanziger“ kamen. Carl Joachim Friedrich leitete wohl der Wunsch, die bereichernde Erfahrung, die er bei seinem Austausch in den USA machen konnte, auch anderen zu ermöglichen. Allerdings ging es nicht nur um das für den DAAD heute zentrale Ziel, einen freien wissenschaftlichen Austausch mit dem Ziel einer freien Entwicklung zu schaffen. Vielmehr wollte man auch die internationale Geltung Deutschlands im wissenschaftlichen Bereich wiederherstellen.

Mukherjee: Die Gründung des DAAD war auch ein mutiger Schritt in der damaligen Zeit: ein bewusstes Zugehen auf ehemalige Gegner und Feinde, zudem auch eine kluge, strategische Entscheidung. Man näherte sich den USA an, die in den kommenden Jahrzehnten zu einer Supermacht im Bereich der Wissenschaft aufsteigen sollten. Das war in den frühen 1920er-Jahren so noch nicht abzusehen, die weltweit führenden Spitzenuniversitäten lagen wie seit Jahrhunderten in Frankreich und Großbritannien. Die Gründung des DAAD war ein wichtiger Schritt, der Deutschlands Rückkehr in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft unterstützte – wenngleich dies zunächst nur bis 1933 und der freiwilligen Unterordnung des DAAD unter die Ideologie der Nationalsozialisten währte.

Lassen Sie uns auf das Heute blicken: Die aktuellen globalen Krisen wie Klimawandel, Artensterben und geopolitische Spannungen erfordern grenzüberschreitende Lösungen. Wie tragen Wissenschaftsaustausch und der DAAD angesichts dieser Spannungen und Herausforderungen zu möglichen Lösungen bei?

Mukherjee: Allen Spannungen und Spaltungstendenzen zum Trotz: Wir leben gemeinsam auf diesem begrenzten Planeten und die großen Herausforderungen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zur geopolitischen Instabilität – lassen sich nur gemeinschaftlich und auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse bewältigen. Der DAAD ermöglicht internationalen Austausch von Talenten und fördert die Zusammenarbeit deutscher Hochschulen mit Partnern weltweit. So entsteht ein globales Netzwerk, das an Lösungen für die Zukunft arbeitet – offen, evidenzbasiert und kooperativ. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Mobilität: Wir fördern transnationale Bildungsprojekte sowie gezielte Programme zur nachhaltigen Entwicklung, zur globalen Gesundheit oder zum Biodiversitätsschutz. Unser Beitrag ist klar: Wissen teilen, Perspektiven eröffnen und Austausch gestalten. 

Zwei Männer und eine Frau im Gespräch an einem Tisch mit weißer Tulpe, im Hintergrund weitere Gäste der Veranstaltung.

Sie, lieber Herr Harbarth, haben mit Unterstützung des DAAD an der Yale Law School einen Master of Laws erworben. Wie hat dieser internationale Austausch Ihr Verständnis des deutschen Rechtssystems beeinflusst und welche Bedeutung messen Sie solchen Erfahrungen für Juristinnen und Juristen bei?

Harbarth: Die intensive Beschäftigung mit einem ganz anderen Rechtssystem war ungemein bereichernd. Das Hin- und Herwandern des Blicks zwischen der eigenen und der fremden Rechtsordnung, ihren Ähnlichkeiten und Unterschieden, ist eine fruchtbare Reflexionsmethode, um das eigene Recht besser zu verstehen. Ich kann einen Auslandsaufenthalt aber auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung nur empfehlen. Durch das in der Regel an eine Vielzahl von internationalen Studentinnen und Studenten gerichtete Angebot lernt man Kulturen und Anschauungen aus nahezu allen Teilen der Welt kennen. Offenheit für Neues und interkulturelle Kompetenz sind gerade in einer immer stärker vernetzten Welt von großer Bedeutung. 

Sie haben beide umfängliche internationale Erfahrungen – gibt es ein Schlüsselerlebnis während Auslandsreisen oder -aufenthalten, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Harbarth: Das eine Schlüsselerlebnis gibt es nicht. Es gibt unzählige Eindrücke von Ländern, aber vor allem von Menschen – von tiefgründigen Gesprächen, von ihrer Hilfsbereitschaft, ihrer intellektuellen Neugier. Und besonders schön: Es sind viele Freundschaften entstanden.

Mukherjee: Für mich sind es oft die kleinen, persönlichen Begegnungen, die lange in Erinnerung bleiben. Ich denke zum Beispiel an eine ehemalige äthiopische DAAD-Stipendiatin, die ich während eines Aufenthalts in Kenia traf. Sie berichtete, wie der Austausch mit Studierenden in Deutschland und später aus ganz Afrika ihr nicht nur neue fachliche Perspektiven eröffnete, sondern sie auch bestärkte, später selbst Verantwortung in ihrem Land zu übernehmen. Solche Gespräche zeigen, wie konkret und nachhaltig internationale Bildung wirkt – für einzelne Biografien, aber auch für Gesellschaften insgesamt.

Mit Blick auf die zunehmende Komplexität globaler Probleme: Welche Rolle kann – muss – internationaler Wissenschaftsaustausch in den nächsten Jahren spielen, um grenzübergreifende Zusammenarbeit weiterhin sicherzustellen und wirksam zu gestalten?

Harbarth: Die Liste der Herausforderungen wird länger: von der Rückkehr des Kriegs nach Europa bis zum Klimawandel, von Künstlicher Intelligenz bis zu Sorgen um ländliche Räume, Migration, sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stärke. Hinzu kommt: Das politische und gesellschaftliche Klima ist rauer geworden, unterschiedliche Anschauungen und Lebenswelten prallen scheinbar unversöhnlich aufeinander, liberale Demokratien stehen zunehmend unter Druck. Ohne internationalen Wissenschaftsaustausch auf Basis einer freien Wissenschaft werden wir diese Herausforderungen kaum in den Griff bekommen.

Mukherjee: Internationaler Wissenschaftsaustausch wird in den kommenden Jahren nochmals an Bedeutung gewinnen – in Zeiten von Zöllen, Abschottung und dem Ende der bislang bekannten Weltordnung. Was wir brauchen, ist eine „Außenwissenschaftsrealpolitik“, die sehr genau prüft, mit welchen Partnerländern eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. Politische Unterschiede dürfen kein pauschaler Ausschlussgrund sein. Genauso wichtig sind stabile Förderlinien und verlässliche Partnerschaften. In einer komplexen Welt brauchen wir Differenzierungsfähigkeit und Dialogbereitschaft, auch wenn das unangenehme Entscheidungen und Abwägungen bedeutet. Wissenschaftsdiplomatie ist kein Luxus, sondern ein Gebot der internationalen Verantwortung.

Interview: Michael Flacke (22. April 2025)