Bildungschancen für Palästina

Der Krieg in Gaza bedroht die Bildungsperspektiven vieler junger Palästinenserinnen und Palästineser.

Die Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung, insbesondere im Gazastreifen, spitzt sich zu. Zu der akuten Bedrohung durch Kampfhandlungen, Hunger und Krankheiten kommt der fast vollständige Zusammenbruch der Bildungsinfrastruktur, die Bildungsperspektiven und Zukunftschancen einer ganzen Generation stehen auf dem Spiel. Der DAAD will nun mit einer Reihe von Maßnahmen gegensteuern.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat das Land schwer getroffen. Sehr schnell hat auch der DAAD seine Solidarität mit Israel bekundet. „Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien, und wir sprechen all jenen unser aufrichtiges Beileid aus, die Angehörige verloren haben oder um sie bangen“, so DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee in einer Erklärung nur wenige Tage später. „Wir stehen fest in Solidarität an der Seite aller Israelis, in besonderer Weise unserer so zahlreichen Freunde und Partner an den israelischen Hochschulen.“ Die Sicherheitslage in der Region beeinflusst seither auch das Förderhandeln des DAAD maßgeblich.  

Im Verlauf der letzten Wochen und Monate ist deutlich geworden, dass die legitime Selbstverteidigung Israels ein hohes Risiko für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit sich bringt. Deren Lage hat sich in den letzten Wochen zugespitzt. Zur akuten Gefährdung durch Bomben, Hunger und Krankheit kommt die mittel- und langfristige Bedrohung der Bildungsperspektiven und Zukunftschancen einer ganzen Generation junger Menschen in den palästinensischen Gebieten. Gespräche mit DAAD-geförderten Palästinenserinnen und Palästinensern zeichnen das Bild eines weitgehend kollabierten Bildungssystems, viele Universitäten sind zerstört. 

Individualförderung läuft weiter

Was bedeutet das für das Förderhandeln des DAAD in den betroffenen Gebieten? „Was die Individualstipendien angeht, haben wir auch nach dem 7. Oktober die Unterstützungsleistungen für Palästinenserinnen und Palästinenser weitergeführt“, erklärt Dr. Christian Hülshörster, Leiter der Stipendienprogramme Süd im DAAD. „Der Gazastreifen hatte vor dem Krieg ein relativ gut entwickeltes Hochschulsystem vorzuweisen.“ Die Hälfte der Schülerinnen und Schüler im Gazastreifen wechselten nach ihrem Abschluss auf die Universität, 60 Prozent der Studierenden waren Frauen. Der DAAD hat über viele Jahre die Kontakte zwischen deutschen Universitäten und denen im Gazastreifen gefördert und Studierendenaustausch ermöglicht. Aktuell sei die Individualförderung allerdings nur im Westjordanland möglich, so Hülshörster. „Bei Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Gazastreifen sind uns derzeit die Hände gebunden, denn eine Ausreise ist hier im Augenblick so gut wie unmöglich.“ Derzeit befinden sich insgesamt 22 palästinensische Geförderte in Deutschland, davon fünf aus dem Gazastreifen, die bereits vor dem 7. Oktober ausgereist waren.

Auch für Geförderten aus den palästinensischen Gebieten, die bis dato über das Surplace-/Drittlandstipendienprogramm des DAAD in der Region unterstützt wurden, stellt sich die Lage im Gazastreifen als schwierig dar. Mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollen Entwicklungsländer bei der Ausbildung von Fach- und Führungskräften und beim Aufbau leistungsfähiger und weltoffener Hochschulen unterstützt werden. „Nur gibt es im Gazastreifen keine funktionierenden Hochschulen mehr, sodass wir das Programm für diese Region pausieren mussten“, erklärt Hülshörster.

Dr. Christian Hülshörster (Leiter der Stipendienprogramme Süd) sieht eine Chance in der Ausweitung von Drittlandstipendien.

Zusätzliche Hilfe über Drittlandstipendien geplant

Dennoch sieht er gerade in den Drittlandstipendien einen wichtigen Hebel, um die individuelle Förderung von Studierenden und Promovierenden aus Gaza und dem Westjordanland zu gestalten. So könnten die seit Jahren bestehenden intensiven Kontakte zu Universitäten in der Region, allen voran in Jordanien, dazu genutzt werden, dort palästinensischen Studierenden ein Studium zu ermöglichen. „Wir hatten für Palästina, sowohl Westjordanland als auch Gaza, immer Stipendien in den Nachbarländern. Diese Stipendien, die wir für sehr sinnvoll halten, würden wir gerne auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder fortsetzen“, so Hülshörster. Auch wird geprüft, ob Studierende aus Gaza mithilfe von DAAD-Stipendien ihre Studien im Rahmen von Transnationalen Bildungsprojekten (TNB) in der Region fortsetzen können. Über TNB fördert der DAAD die Kooperation deutscher Hochschulen mit Partnerinstitutionen im Ausland. Hinzu kommen die Möglichkeiten von Online-Lehr- und Lernangeboten, wie sie sich während der Coronakrise bewährt haben.

Ebenso wichtig ist Hülshörster die Unterstützung der Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich derzeit in Deutschland aufhalten. Nach aktuellen Zahlen sind dies 1.500 Studierende. Viele dieser jungen Menschen stehen nun vor der Herausforderung, dass sie nach Abschluss ihres Studiums zunächst nicht in die Heimat zurückkehren können. Hier möchte der DAAD in Zukunft einerseits beratend zur Seite zu stehen und zum anderen die Lage mit einer kurzfristigen, finanziellen Unterstützung entschärfen. „Man könnte darüber nachdenken, ob man zum Beispiel durch sogenannte Brückenstipendien den Menschen zumindest etwas unter die Arme greifen kann.“

Projektförderung an Hochschulen wieder aufgenommen

Nicht nur in der Individualförderung, auch in der Förderung von Hochschulkooperationsprojekten bemüht sich der DAAD um Kontinuität. Nach einem kurzfristigen Stopp der Kooperationen deutscher mit palästinensischen Hochschulen wurden diese nun mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes wieder aufgenommen. Für die deutschen Partner gilt allerdings, dass das Auswärtige Amt vor Reisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete warnt. Deutschen Staatsangehörigen, die sich derzeit im Gazastreifen und im Westjordanland aufhalten, empfiehlt das Auswärtige Amt die Ausreise.

Akademischer Austausch und Kooperationen können, so jedenfalls die Hoffnung, am Ende auch einen Beitrag dazu leisten, beiden Konfliktparteien eine Annäherung zu ermöglichen. Aus diesem Grund bleibt der DAAD natürlich auch sensibel für die Perspektive der israelischen Partner im akademischen Austausch, der seit Jahrzehnten auf einem hohen Niveau gelebt wird. „Zentral muss sein, dass wir sowohl unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der israelischen Seite auf bekannt hohem Niveau fortsetzen als auch die Lage der palästinensischen Seite im Blick behalten“, so Hülshörster. „Wissenschaftlicher Austausch bleibt gerade in kriegerischen Zeiten wichtig. Wobei wir inständig hoffen, dass es bald zu einem Waffenstillstand kommt und das Leid auf beiden Seiten aufhört.“ 

Klaus Lüber (16. April 2024)


 

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