Wie die deutsche Sprache nach Brasilien kam

Blumenau, eine brasilianische Großstadt im Bundesstaat Santa Catarina im Süden des Landes, wurde 1850 von deutschen Einwanderern gegründet.

Vor 200 Jahren wanderten die ersten Deutschen nach Brasilien aus. Doch dass so viele junge Menschen dort heute Deutsch lernen möchten, hat meist andere Gründe.

Am 25. Juli 1824 landete ein Küstenschiff südlich von Porto Alegre in Rio Grande do Sul, dem südlichsten Bundesstaat Brasiliens. Von Bord gingen acht Familien und einige alleinstehende Männer – die ersten Einwanderer aus dem deutschsprachigen Raum, die die kaiserliche Regierung Brasiliens gezielt als Siedler angeworben hatte. Sie gründeten die deutsche Kolonie São Leopoldo. Bis in die 1930er Jahre wanderten insgesamt mehr als 200.000 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum nach Brasilien aus, die meisten, weil sie sich dort ein besseres Leben erhofften. Etwa fünf Prozent der heutigen Bevölkerung Brasiliens sind deutscher Herkunft. Der 200. Jahrestag der Einwanderung aus dem deutschsprachigen Raum wird 2024 landesweit mit vielen Veranstaltungen gefeiert.

Sprache hat einen hohen kulturellen Identifikationswert und stiftet soziale Zugehörigkeit.
Dr. Peter Rosenberg, Experte für Migrationslinguistik an der Europa-Universität Viadrina

Mehr als eine Million Brasilianerinnen und Brasilianer sprechen Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache. „Nach wie vor ist Brasilien das Land mit den meisten Deutschsprechenden in Lateinamerika“, sagt Dr. Peter Rosenberg, Experte für Migrationslinguistik an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Als Alltagssprache spiele Deutsch jedoch nur noch in wenigen Orten eine Rolle – eine Folge der Assimilation der deutschsprachigen Minderheit, die ab 1938 von der Regierung forciert wurde. „Die junge Generation hat die deutsche Sprache in der Regel nicht oder zumindest nicht vollständig von ihren Eltern gelernt.“ Viele hätten aber Kindheitserinnerungen an den hunsrückischen oder pommerschen Dialekt ihrer Großeltern, sagt Rosenberg: „Für diese jungen Menschen ist ihre Herkunft oft ein Motiv, Deutsch zu lernen. Denn Sprache hat einen hohen kulturellen Identifikationswert und stiftet soziale Zugehörigkeit.“

Bessere Karrierechancen durch Deutschkenntnisse

In den stark durch die deutsche Einwanderung geprägten Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Espírito Santo ist das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur traditionell groß. Andere Regionen haben besonders enge wirtschaftliche Verbindungen mit Deutschland: Im Großraum São Paulo unterhalten mehr als tausend deutsche Unternehmen Niederlassungen. Die Hoffnung auf bessere Karrierechancen ist deshalb landesweit ein wichtiges Motiv dafür, Deutschkenntnisse zu erwerben. Dr. Reseda Streb, Referentin für die Förderung der deutschen Sprache an der DAAD-Außenstelle in Rio de Janeiro, beobachtet nach einem durch die Pandemie bedingten Rückgang wieder ein zunehmendes Interesse am Deutschlernen: „Einer der Gründe dafür ist die Migration brasilianischer Fachkräfte nach Deutschland, etwa im Pflegebereich.“

Deutschkurse bieten in Brasilien etwa 160 Institutionen der Erwachsenenbildung an; das Goethe-Institut ist an fünf Standorten vertreten. „Ein großes Problem ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften“, sagt Streb. Diese Herausforderung trifft auch viele Schulen. 2020 erhielten etwa 80.000 Schülerinnen und Schüler in Brasilien Deutschunterricht, fast 40 Prozent von ihnen – ein sehr hoher Anteil – wählt Deutsch sogar als erste Fremdsprache. In Brasilien gibt es 43 Schulen, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat. Sie gehören der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) an und werden vom Goethe-Institut und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen betreut. Wegen ihres guten Rufs seien diese Schulen sehr gefragt, sagt die Sprachwissenschaftlerin Professorin Mônica Savedra von der Universidade Federal Fluminense (UFF) in Rio de Janeiro: „Dort begegnen sich Schülerinnen und Schüler, die aus unterschiedlichen Gründen Interesse an der deutschen Sprache haben. Die Mehrheit hat keinen deutschen Familienhintergrund.“

Deutschlehrkräfte dringend gesucht

An fast 60 brasilianischen Hochschulen kann man Deutsch lernen, meist studienbegleitend im Sprachenzentrum. 17 Hochschulen bieten grundständige Germanistik- oder Deutsch-als-Fremdsprache-Studiengänge (DaF) an. Allerdings strebt nur ein Teil der Deutsch-Studierenden eine Zukunft als Sprachlehrkraft an, da dieser Beruf in Brasilien vergleichsweise schlecht bezahlt ist. Angesichts des Lehrkräftemangels ist die Förderung der Deutsch-Lehramtsausbildung an Hochschulen ein Schwerpunkt des DAAD in Brasilien. An den brasilianischen Hochschulen arbeiten neun DAAD-Lektorinnen und Lektoren. Fortgeschrittene Deutsch-Lehramtsstudierende können Stipendien für Winterkurse in Deutschland erhalten.

Der Erfolg der virtuellen DAAD-Nachwuchsakademie während der Coronapandemie führte dafür, dass das Format auch weiter fortbesteht und sogar um Vernetzungstreffen in Präsenz ergänzt wurde.

Dr. Robert Schade ist Lektor an der germanistischen Fakultät der Universidade Federal do Rio Grande do Sul (UFRGS). „Als die Winterkurse wegen der Pandemie ausfallen mussten, haben wir die ‚DAAD-Nachwuchsakademie‘ ins Leben gerufen“, sagt der Literaturwissenschaftler. Engagierte Studierende erhielten dadurch die Möglichkeit, an virtuellen Kursen zu Deutsch als Wissenschaftssprache teilzunehmen. Das sehr erfolgreiche Angebot wurde nach dem Ende der Pandemie beibehalten und um ein Vernetzungstreffen in Präsenz ergänzt.

DAAD-Zentrum mit vielen Kontakten

Robert Schade entschied sich auch deshalb für das Lektorat in Porto Alegre, weil dort 2017 das DAAD-Zentrum für Deutschland- und Europastudien (CDEA) gegründet wurde, das von der UFRGS und der Pontifícia Universidade Católica do Rio Grande do Sul gemeinsam getragen wird. „Das CDEA pflegt vielfältige und enge Kontakte zu Deutschland, es gibt einen regen Austausch von Gastdozierenden“, sagt er. Auch viele andere brasilianische Hochschulen arbeiten mit deutschen Partnern zusammen. Laut der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bestehen rund 650 offizielle Kooperationen zwischen deutschen und brasilianischen Hochschulen. Zu den Schwerpunkten der wissenschaftlichen Zusammenarbeit gehören Bioökonomie, erneuerbare Energien, Rohstoffe, Biodiversität und Klimaforschung.

Deutsche Hochschulen als gefragte Kooperationspartner

Das 2012 eröffnete Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo, das vom DAAD geleitet wird, fördert den Austausch zwischen wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland und Brasilien. Marcio Weichert, Programmleiter beim DWIH São Paulo, erinnert an deutsche Forschende in Brasilien im 19. Jahrhundert: So lieferte etwa der Biologe Fritz Müller, der in die deutsche Kolonie Blumenau eingewandert war, wichtige Beweise für Darwins Evolutionstheorie. „Auch aufgrund dieser historischen Verbindungen hat Deutschland als Wissenschaftsland bis heute große Bedeutung für Brasilien. Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind gefragte Kooperationspartner“, so Weichert.

Im Juli 2024 veranstaltet das DWIH São Paulo während der Jahrestagung der brasilianischen Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft einen Runden Tisch, an dem unter anderen eine Wissenschaftlerin der Kunstgeschichte und eine Klimaforscherin aus Deutschland teilnehmen werden, die unbefristet an brasilianischen Hochschulen arbeiten. „Anlässlich des Jubiläums wird viel in die Vergangenheit geschaut“, sagt Marcio Weichert. „Wir wollen über Gegenwart und Zukunft der wissenschaftlichen Zusammenarbeit diskutieren, zum Beispiel über die Frage, was Brasilien zu einem attraktiven Zielland für Forschende aus Deutschland macht.“

Miriam Hoffmeyer (06. Juni 2024)

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