„Die Entdeckung in der Cheops-Pyramide verdanken wir auch dem DAAD“

Die damalige Leiterin der DAAD-Außenstelle Kairo, Isabell Mering (1. Reihe, 2. v. l.), besuchte im Februar 2022 Prof. Dr. Christian Große (1. Reihe, 1. v. l.) von der TU München und Prof. Dr. Hany Helal (1. Reihe, 3. v. l.), Koordinator des ScanPyramids-Projekts von der Universität Kairo, am Ort des spektakulären Fundes: der Cheops-Pyramide.

Christian Große, Professor für Zerstörungsfreie Prüfung an der Technischen Universität München (TUM), gehört zu dem internationalen Team, das die neue Kammer in der großen Pyramide von Gizeh entdeckt hat. Im Interview erzählt er, wie es zu dem spektakulären Fund kam.

Herr Professor Große, die Entdeckung der neuen Kammer in der Cheops-Pyramide auf dem Gizeh-Plateau sorgt weltweit für Schlagzeilen. Erstaunlich, dass man dort überhaupt noch etwas entdecken konnte. Welche Umstände haben Ihre neuen Messungen in Ägypten ermöglicht?
Die 4.500 Jahre alten Pyramiden auf dem Plateau von Gizeh sind eigentlich nur zu rund 10 Prozent untersucht. Man weiß kaum etwas über die Bauweise und innere Konstruktion. Im ScanPyramids-Projekt haben ägyptische, japanische und französische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit 2016 neue Techniken angewendet und zwei Hohlräume entdeckt. Ab 2020 haben wir gemeinsam mit den ägyptischen Teammitgliedern dann mit Ultraschall- und Radartechnik diese Entdeckung versucht zu validieren, präziser zu lokalisieren und ins Innere hineinzuleuchten. Tatsächlich hat kaum jemand daran geglaubt, dass wir dies schaffen. Für den Einsatz von zerstörungsfreien Prüftechniken an den ägyptischen Kulturgütern hatten wir unzählige Anträge bei Förderinstitutionen gestellt – sie wurden alle abgelehnt. Erst der DAAD hat an uns geglaubt und uns gefördert. Die Entdeckung der neuen Kammer der Cheops-Pyramide verdanken wir also auch dem DAAD.

2016 startete zunächst das internationale Projekt ScanPyramids, das mit Hilfe der sogenannten Myonentomografie Spuren zu Hohlräumen nachging. Wie funktioniert diese Technik?
Myonentomografie arbeitet mit den Elementarteilchen Myonen, die tagein, tagaus vom All aus auf die Erde treffen und durch sie hindurchgehen. Man hat festgestellt, dass sie während ihres Fluges durch dichte Materie von dieser ganz leicht abgebremst beziehungsweise abgelenkt werden. Durch weniger dichte Materie oder Hohlräume fliegen sie entsprechend schneller und geradliniger. Teilchendetektoren können die Myonen nachweisen, und nach der Verarbeitung der Daten mit Hochleistungsrechnern zeichnen sich unter anderem Unterschiede in der Dichte eines Objekts ab. Die Methode wird in Japan dazu eingesetzt, um ins Innere von Vulkanen zu schauen und Magmakammern zu entdecken. Das ScanPyramids-Team fand auf diese Weise Anomalien in der Dichte der Cheops-Pyramide. 

Wie kam das Team der TUM mit ins Boot?
Die Myonentomografie kann nicht auf den Zentimeter genau sagen, wo ein Hohlraum ist. Es wurde zudem auch eingewandt, dass die Anomalie vielleicht nur an der unterschiedlichen Dichte der verbauten Steine liegen könnte. Befunde alleine basierend auf Myonentomografie haben den Ägyptologen und Archäologen nie ausgereicht. Also hat uns das Team von ScanPyramids um eine zweite Meinung auf Grundlage alternativer Techniken gebeten. Die zerstörungsfreie Prüftechnik, die im Alltag zum Beispiel in der Automobilindustrie zum Einsatz kommt, ist sehr gut geeignet. Denn wir dürfen ja nichts an den Pyramiden zerstören, die zum Weltkulturerbe gehören. Selbst die kleinste Bohrung ist so gut wie unmöglich.

Blick in die neu entdeckte Kammer in der Cheops-Pyramide.

Wie haben Ihre Untersuchungsmethoden dann vor Ort ausgesehen?
2020 und 2022 haben wir gemeinsam mit den ägyptischen Kolleginnen und Kollegen insgesamt drei Messkampagnen mit elektrischer Widerstandstomografie, Ultraschall und Radar an der Cheops-Pyramide durchgeführt und auch in unseren Daten im sogenannten North-Face-Korridor Hinweise auf einen Hohlraum gefunden. Das konnten wir mit Radar- und Ultraschalltechnik genauer lokalisieren. Dann haben wir uns weit aus dem Fenster gelehnt und gesagt: Der Hohlraum liegt so nah an der Oberfläche – da könnte man auch mit Videoendoskopie etwas sehen. Vielleicht kommen wir mit dem Endoskop, das nur sechs Millimeter Durchmesser hat, durch winzige Spalten des Mauerwerks.

Beschreiben Sie uns bitte einmal den Moment der Entdeckung.
Das ScanPyramids-Team unter Leitung meines Kollegen Professor Hany Helal hatte das zuständige ägyptische Ministerium eingeladen, um unsere Ergebnisse zu präsentieren. Am Abend zuvor wollten wir sichergehen, ob wir die Videoendoskopie wagen können, und haben uns vorsichtig und zerstörungsfrei durch den winzigen Spalt vorgearbeitet – das war gar nicht so leicht. Aber auf einmal sahen wir die Kammer tatsächlich vor uns! Was für eine Bestätigung! Am nächsten Tag waren wir entsprechen euphorisch. Das Treffen fand in einem Gebäude neben der Pyramide statt. Nach der Präsentation haben wir dann alle zur Demonstration direkt an der Pyramide gebeten – und für enorme Überraschung gesorgt. Denn bis zu dem Moment, in dem die Videoendoskopie den letzten Beweis erbrachte, waren die ägyptischen Ministerien dem Verfahren gegenüber eher kritisch eingestellt. Das war der Durchbruch.

Welche Bedeutung hat dieser Fund für Ihr Team vom Münchener Lehrstuhl und Ihre ägyptischen Partner?
Der Erfolg ist eine bedeutsame Anerkennung nicht nur für uns, sondern für das gesamte ScanPyramids-Team und die eingesetzten Methoden. Unser Credo war immer schon, dass man technische Verfahren kombinieren muss. Erst das bringt Sicherheit und Lösungen. Auch mein ägyptischer Kollege Professor Hany Helal, Geotechniker an der Universität Kairo und ehemaliger Minister für Hochschulbildung, hat dies immer gesagt und im Projekt in ausgezeichneter Weise umgesetzt. Das gibt allen Beteiligten jetzt viel Auftrieb für künftige Forschungen mit der Myonentomografie und unseren komplementären Methoden.

Die Kombination unterschiedlicher Techniken und Methoden machte die neuen Einblicke in die Pyramide möglich.

Sie haben erwähnt, dass eine DAAD-Förderung die Messungen vor Ort begünstigt hat. Was genau hat diese Förderung möglich gemacht?
Wir sind unendlich dankbar für die DAAD-Förderung, die letztlich entscheidend für die Messungen und die Validierung dieses einmaligen Ganges war. 2019 bewilligte uns der DAAD die Förderung für einen Kurzbesuch in Ägypten zur Vernetzung. Dieser musste aufgrund der Coronapandemie zunächst noch verschoben werden. Während der Pandemie haben wir mit der Universität Kairo ein Partnerschaftsprojekt auf die Beine gestellt, das ebenfalls vom DAAD finanziert wurde. Besonders freut mich all dies für die Partner in Ägypten. Denn ich will betonen: In erster Linie sind wir mit der DAAD-Förderung für die Ausbildung nach Ägypten gekommen. Mithilfe der Partnerschaft haben wir sehr gut ausgebildete ägyptische und deutsche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Team für die Untersuchungen vor Ort gehabt und ihre Kompetenzen im Hinblick auf moderne Untersuchungsmethoden gestärkt. Das eröffnet ihnen langfristig die Chance, alle Kulturgüter ihres Landes zerstörungsfrei und erfolgreich zu untersuchen und damit weltweite Anerkennung in einschlägigen Journalen zu bekommen. Vor etwa einem Jahr hat die Universität Kairo dafür auch mit ägyptischen Mitteln ein Zentrum für Zerstörungsfreie Prüftechnik eingerichtet. Das ist aus meiner Sicht Capacity Building „at it’s best“. Unser spektakulärer Erfolg ist vielleicht kurzlebig – aber was wir bewirken konnten, wird für unsere ägyptischen Partner dauerhaft wertvoll sein. 

Ein Teil der Forschungsgruppe direkt vor dem Fundort (v. l. n. r.): Johannes Rupfle (TUM), Prof. Dr. Kunhiro Morishima (Universität Nagoya), Prof. Dr. Hany Helal (Universität Kairo), Prof. Dr. Christian Große (TUM), Prof. Dr. Jean-Baptiste Mouret (Inria, Frankreich), Prof. Dr. Mohamed Elkarmoty (Universität Kairo).

Was haben Sie als Nächstes vor?
Natürlich hoffe ich, dass wir dieses Konzept fortführen und auch in andere Bereiche übertragen können. Im Tal der Könige könnte eine Untersuchung Hinweise auf einen bevorstehenden Hangrutsch erbringen. Dafür bräuchten wir zunächst wieder eine Förderung. Aber wir wollen auch weiter auf dem Gizeh-Plateau arbeiten, sofern die ägyptischen Partner dies genehmigen. Demnächst werden aus unserem jungen Team noch 15 weitere Artikel in einschlägigen Journalen veröffentlicht. Das wird spannend – das kann ich schon mal versprechen!

Interview: Bettina Mittelstraß (22. März 2023)