Erfolgreiche ost-westliche Partnerschaft

Etablierte Kooperation: Ein Team der Universität Hamburg kam in den vergangenen Jahren wiederholt mit ukrainischen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Psychologie zusammen.

Das DAAD-Programm Ost-West-Dialog ermöglicht Austausch zu Konfliktforschung und -bewältigung – und bietet insbesondere ukrainischen Hochschulen wertvolle Unterstützung.


In der Ukraine gibt es nach dem jüngsten Bericht der Internationalen Organisation für Migration rund fünf Millionen Binnenvertriebene. Viele leben am Existenzminimum und leiden unter Stress und Depressionen. Männer, die von der Front zurückgekehrt sind, sind oft traumatisiert und ihren Familien entfremdet. Aus all diesen Gründen kommt es nicht nur in Vertriebenenfamilien zu mehr und stärkeren Spannungen. Auch zwischen Geflüchteten und Einheimischen entstünden viele Konflikte, sagt Marianna Todorova von der State University of Intellectual Technologies and Communications in Odesa. Hintergrund sei der Kontrast der Lebenssituationen: „In den Regionen, wo es wie in Odesa relativ ruhig und sicher ist, leben die Einheimischen weitgehend ihr normales Leben weiter. Angesichts dessen entwickeln die Geflüchteten, die alles verloren haben, oft Aggressionen.“

Die Pädagogin ist an dem Projekt „Konflikte im Kontext der psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten“ beteiligt, in dem die Universität Hamburg mit zehn ukrainischen und einer moldawischen Hochschule zusammenarbeitet. „In Online-Workshops entwickeln wir gemeinsam Konzepte zur dialogischen Konfliktbehandlung, in die verschiedene Arbeitsmethoden einfließen“, erläutert Alexander Redlich, emeritierter Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Hamburg. „Den Menschen zuzuhören, ohne sie zum Reden zu drängen, aggressive Ausbrüche nicht zu eskalieren – das versuchen wir zu vermitteln.“ In Weiterbildungen werden die Konzepte und Materialien Sozialarbeitern und Freiwilligen in der Ukraine zugänglich gemacht, die Binnenflüchtlinge betreuen. „Wir erzielen gute Ergebnisse“, sagt Marianna Todorova.

Niedrigschwelliger Einstieg ins Programm

Ermöglicht wird die Kooperation durch das mit Mitteln des Auswärtigen Amts finanzierte DAAD-Förderprogramm Ost-West-Dialog, das 2017 durch die Zusammenführung der thematisch ähnlichen Programme Unterstützung der Demokratie in der Ukraine und Konfliktprävention in der Region Südkaukasus, Zentralasien und Moldau entstand. Aus geförderten Workshops mit Partnern in Moldau ab 2009 entstanden immer mehr Kontakte zu ukrainischen Kolleginnen und Kollegen, erinnert sich Alexander Redlich. Seit 2015 gab es jedes Jahr gemeinsame Projekte mit ukrainischen Hochschulen. Ein Vorteil des Ost-West-Dialogs sei der niedrigschwellige Einstieg, meint die zuständige DAAD-Referentin Monika Przybysz: „Man kann damit Veranstaltungen auf die Beine stellen, um erste Kontakte aufzubauen. Daraus kann später vieles entstehen – bis hin zu Kooperationen, die in Krisen tragfähig sind.“ 

Ziel des Programms ist es, zu Dialog und Verständigung, zur Konfliktforschung sowie zur Entwicklung von Konzepten zur Konfliktbewältigung und -prävention in den Zielländern beizutragen. Auch Demokratisierungsprozesse, Rechtsstaatlichkeit oder gute Regierungsführung stehen im Fokus des Ost-West-Dialogs. Finanziert werden Fachkurse, Workshops, Seminare, Studienreisen oder Sommerschulen, nach Möglichkeit unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure und der Öffentlichkeit. „Wichtig ist, dass die Projekte Begegnungen ermöglichen“, sagt Monika Przybysz. Ein Beispiel sind mehrere Sommerschulen, die der Chemiker Professor Matthias Epple von der Universität Duisburg-Essen seit 2015 für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern organisiert hat. Themen waren die faire Begutachtung von Forschungsanträgen, Gleichstellung oder Mitbestimmung an Hochschulen. „Junge Menschen sind Multiplikatoren, sie können zur Modernisierung des Wissenschaftssystems in ihren Ländern beitragen“, sagt Epple. Studierende oder Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sollen in alle Ost-West-Dialog-Projekte einbezogen werden. Dahinter steht der Gedanke, dass aus ihnen Entscheidungsträgerinnen und -träger werden können, die Veränderungen in ihren Ländern vorantreiben.

Das Programm wurde nach dem russischen Angriff flexibilisiert

An 18 deutschen Hochschulen werden derzeit Projekte mit Hochschulen in den Zielländern gefördert. Nach der russischen Invasion wurde das Programm flexibilisiert: Bereits bewilligte Mittel konnten umgewidmet werden – etwa in Stipendien für ukrainische Studierende – und Veranstaltungen verlegt werden. So trafen sich die Beteiligten am Projekt „Transnational Biosphere Forests“ schon zweimal in Rumänien statt in der Ukraine, wo das Karpaten-Biosphärenreservat den größten Buchenurwald Europas beherbergt. 2007 wurden die Gebiete in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen. Nach einer Erweiterung umfasst das Weltnaturerbe „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ heute Waldgebiete in 18 europäischen Ländern, rund 30 Prozent liegen in der Ukraine. 

Teilnehmende des Projekts Transnational Biosphere Forests im im rumänischen Cozia-Buchenurwald im August 2022 bei der Feier des 15-jährigen Bestehens der Welterbestätte Biosphärenreservat Karpaten

Seit 2014 veranstalten die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und die Nationale Forsttechnische Universität der Ukraine (UNFU) in Lviv mit Partnern in Moldau und Rumänien Projekte im Rahmen des Ost-West-Dialogs. „Wir interessieren uns für ganzheitliche Fragestellungen, die Ökologie, Ökonomie und Politik verbinden“, sagt Professor Pierre Ibisch vom „Biosphere Reserves Institute“ der HNEE, das kürzlich zum UNESCO-Institut ernannt wurde. Neben der Entwicklung von Strategien zur ökosystembasierten Anpassung an den Klimawandel geht es in den Projekten beispielsweise darum, wie die Bürgerbeteiligung am Management von Biosphärenreservaten gestärkt oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Schutzgebietspartnern verbessert werden kann. 

„Grenzüberschreitendes Netzwerk“

„Durch die Projekte ist ein grenzüberschreitendes Netzwerk entstanden, das immer weitergewachsen ist“, sagt Ibisch. Heute gibt es zwischen der HNEE und der UNFU auch einen regen Erasmus+ Austausch von Studierenden und Lehrenden, gemeinsam wurden ein Blended-Learning-Modul und ein Trainingskurs zur Vorbereitung wissenschaftlicher Anträge entwickelt. Die Zusammenarbeit ist für die UNFU auch deshalb wichtig, weil die nationale Gesetzgebung zur Waldbewirtschaftung an EU-Standards angepasst werden soll. „In Forstpolitik ist Deutschland sehr stark, daher ist die Kooperation auf diesem Gebiet für uns besonders interessant“, meint der UNFU-Vizerektor für Forschung und internationale Zusammenarbeit, Professor Vasyl Lavnyy. Für die Zukunft planen die beiden Hochschulen einen gemeinsamen Masterstudiengang „Forestry System Transformation“ mit Doppelabschluss, sagt Lavnyy: „Ich hoffe, dass wir unsere erfolgreiche Zusammenarbeit nach dem Krieg weiter vertiefen können.“

Miriam Hoffmeyer (2. November 2023)
 

 

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