Als ich dann pünktlich zum neuen Semesterstart in Campinas ankam, wurde ich direkt am Flughafen von meinen Betreuern Norma und Paulo in Empfang genommen. Dies war natürlich sehr nett und praktisch, da der Flughafen Viracopos relativ weit außerhalb liegt und es mit dem Auto sehr viel einfacher ist. Die beiden luden mich noch am selben Abend zum Essen ein und so hatte ich die Möglichkeit, beide besser kennenzulernen. Die ersten Tage war ich dann auch bei Norma in Barão Geraldo untergebracht, da mein WG-Zimmer noch nicht frei war.

Bald zog ich aber dann in meine neue WG ein, die sehr nah am Campus lag und gut per Fahrrad oder zu Fuß zu erreichen war. In Barão fühle ich mich generell sehr viel sicherer als in Rio, obwohl man natürlich trotzdem oft von Überfallen hört. Empfehlenswert für Barão ist es, sich ein Uber-Konto (private Taxi-App) anzulegen, da es sehr viel günstiger ist als ein Taxi.

Der Campus der Universidade Estadual de Campinas ( kurz UNICAMP) ist sehr weitläufig. Es gibt viele Grünflächen, drei große Mensen, sowie kleinere Kantinen und zweimal pro Woche einen kleinen Markt mit verschiedenen Essensangeboten. Mit dem Fahrrad erreicht man alles sehr schnell, es gibt aber auch einen kostenlosen Shuttleservice auf dem Unigelände.

Meine Arbeit am Centro de Ensino de Línguas in Campinas

Einige Tage später begann ich dann meine Tätigkeit am Centro de Ensino de Línguas (CEL) im Projekt „Alemão para fins acadêmicos: da distância à imersão, gerenciando as habilidades conexas“. Insgesamt besteht die Deutschabteilung aus drei festen Dozenten: Paulo (der in diesem Semester aber streikbedingt nicht am CEL unterrichtete), Norma und Anisha. Nach einer Einführung in die Struktur des Hauses, hospitierte ich in der ersten Woche bei Norma und Anisha in den regulären Kursen Deutsch I, II, IV und VI, um einen groben Überblick über die Niveaustufen zu bekommen.

Im Laufe des Semesters hospitierte ich dann in drei festen Niveaustufen, um den didaktischen Ansatz der Deutschabteilung besser kennen zu lernen. Auch führte ich einzelne beobachtete Unterrichtssequenzen und Vertretungen durch, wobei ich im Anschluss stets ein detailliertes Feedback seitens der jeweiligen Lehrkraft bekam. Generell kann ich sagen, dass ich eine exzellente Betreuung durch Norma erfahren habe und viel über die Sprachlehre am CEL lernen konnte. Natürlich war es zu Beginn etwas ungewohnt für mich, zurück in die „Lernerposition“ zu treten, da ich vorher schon selbstständig als freiberufliche Lehrkraft in Berlin gearbeitet habe. Zum Ende des Semesters erachte ich die Hospitationen und Lehrproben jedoch als überaus positiv und hilfreich; sowohl sprachlich als auch in der Hinsicht, dass sich der didaktische Sprachlehransatz an der UNICAMP doch stark vom gängigen Ansatz unterscheidet.

Nischenlehrwerk „Blaue Blume 

Die Deutschabteilung am CEL arbeitet nämlich, nicht wie an vielen Standorten üblich, mit kommunikativen Lehrwerken, sondern mit der brasilianischen Ausgabe des auf akademisches Publikum zugeschnittenen Blaue Blume, einem Nischenlehrwerk.

Dabei wird von Anfang an mit authentischen Texten gearbeitet. Auch haben die rezeptiven Fertigkeiten klar Vorrang vor den produktiven und die Muttersprache der Lernenden wird im Unterricht stark berücksichtigt. Die Abteilung begründet dies in den Bedürfnissen der Lerner: Viele lernen Deutsch für ihr geisteswissenschaftliches Studium, um zum Beispiel deutschsprachige Literatur lesen zu können. Auch haben sie in Brasilien kaum Kontakt zur gesprochenen deutschen Sprache, weshalb zum Beispiel kommunikative Inhalte wie eine Wegbeschreibung oder Redemittel für den Arztbesuch überflüssig sind. Zudem ist die UNICAMP eine der renommiertesten Universitäten Brasiliens, wobei das Niveau und der Anspruch in der Lehre vergleichsweise hoch sind.

Da sich viele Studierende jedoch trotzdem auch kommunikative Inhalte wünschen, bestand eine meiner Hauptaufgaben in diesem Semester darin, unterstützende Angebote anzubieten, die komplementär zu den regulären Kursen lagen. Mein besonderer Fokus lag hierbei auf den Fertigkeiten Hören und Sprechen der verschiedenen Niveaustufen. Diese Aufgabe bewältigte ich als ein Zusatzangebot im Workshop-Format, bei dem ich zweimal wöchentlich auf freiwilliger Basis verschiedene Themen, wie zum Beispiel Artikeltraining, Lernen mit Musik, Kommunikation, Landeskunde etc. behandelte.

Studenten- und Dozentenstreik an der Uni

Leider traten viele der Studenten zur Mitte des ersten Semesters in Streik. Später gab es an der UNICAMP auch einen Dozentenstreik. Im Allgemeinen ist das CEL nicht von Streiks betroffen und der Unterricht kann hier normal weiterlaufen. Jedoch kamen nur noch wenige Studenten zum Unterricht und somit war es auch für die Dozenten der Deutschabteilung schwierig, den Unterricht normal weiterzuführen.

Das Interesse am Kontakt zur deutschen Sprache und zu Deutschen ist in Brasilien sehr hoch. Vor allem da in diesem Semester nur sehr wenige deutsche Austauschstudenten an der UNICAMP waren, bekam ich im Laufe des Semesters viele Anfragen für Tandemangebote. - (Julia Haack)

Die Vernetzung der internationalen Studenten an der UNICAMP ist sehr gut, es gibt viele von der UNICAMP organisierte Aktivitäten. Aber man kommt auch sehr schnell mit brasilianischen Studenten in Kontakt.

Unabhängig davon, wie sich die Streiksituation entwickelt, werde ich im kommenden Semester unter der Betreuung von Norma einen Kurs Alemão II übernehmen. Auch werde ich mein Workshopangebot weiterführen und größere Wochenendseminare anbieten. Außerdem haben wir beschlossen, dass ich in den mir bisher unbekannten Niveaustufen hospitieren werde. Weil es mir bisher sehr gut an der UNICAMP gefallen hat und ich didaktisch sowie sprachlich bereits aus diesem Semester sehr viel mitgenommen habe und lernen konnte, möchte ich meinen Aufenthalt unbedingt um ein weiteres Jahr verlängern.

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