Herausfordernde Kooperationen

V.l.n.r.: Deutschlandfunk-Redakteurin Kate Maleike im Gespräch mit Armin Reinartz (Leiter der Abteilung Europäische und internationale Zusammenarbeit im BMBF), Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless (Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts) und Ralf Beste (Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft im Auswärtigen Amt)

Am 12. Dezember 2023 kamen Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik im Berliner Quadriga Forum zu einem Policy Talk des DAAD-Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) zusammen, um über die Bedeutung von internationaler Wissenschaftszusammenarbeit und Science Diplomacy in geopolitisch herausfordernden Zeiten zu diskutieren.

Internationale Wissenschaftskooperation und auswärtige Politik stehen schon lange in enger Wechselwirkung, wenngleich sich eine direkte Einflussnahme der Politik auf die Wissenschaft aus Gründen der Wissenschaftsfreiheit verbietet. Gleichwohl müssen sich internationale Forschungskooperationen in einer geopolitisch neu sortierten Welt einem Realitätscheck unterziehen. Wissenschaft, Forschung und Innovationskraft, so heißt es in der im Juni 2023 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der deutschen Bundesregierung, seien essenziell für die Stärkung der Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Eben deshalb müsse Wissenschaft dringend vor illegitimer Einflussnahme und Wissensabfluss geschützt werden. Dafür sieht sich die Politik in der Verantwortung, wie es DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks in seinem Grußwort zum KIWi Policy Talk „Wissenschaft und Politik im Dialog: Internationale Wissenschaftskooperationen und Science Diplomacy in geopolitisch herausfordernden Zeiten“ am 12. Dezember in Berlin ansprach und dazu aus dem Strategiepapier der Bundesregierung zitierte: „Wir stärken unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Wissenschaftsdiplomatie, die unseren Austausch mit der Welt über Werte und Interessen vorantreiben und damit Deutschlands Chancen zur Vernetzung und Verständigung sicherstellen.“

Für den Wissenschaftsbereich heißt dies: Wer in Zukunft als deutsche Hochschule oder als deutsches Forschungsinstitut mit Partnern aus einem anderen Land zusammenarbeitet, kann und darf die potenziell politischen Implikationen seines Handelns nicht mehr ausklammern. Das allerdings ist oft leichter gesagt als getan. Die an Hochschulen gerichteten Erwartungen seien inzwischen extrem hoch, berichtete Professorin Annabella Rauscher-Scheibe, Präsidentin der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin, auf der anschließenden Podiumsdiskussion. Der Druck, sich außenpolitisch zu positionieren, wachse und erzeuge eine gewisse Verunsicherung bei vielen Hochschulmitarbeitenden, so Rauscher-Scheibe. Einerseits sei oftmals gar keine entsprechende Kompetenz vorhanden. Andererseits sehe sie das Risiko, durch eine zu deutliche außenpolitische Positionierung die eigene wissenschaftliche Neutralität aufzugeben.

Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik

Dass Science Diplomacy unter den geschilderten Bedingungen für Akteure der internationalen Wissenschaftszusammenarbeit, aber auch für Mittlerorganisationen durchaus herausfordernd sei, gab auch Ralf Beste, Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft im Auswärtigen Amt, zu. Gleichzeitig regte er einen offenen Dialog über das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik im Rahmen einer Science Diplomacy an. Man müsse gemeinsam und von Fall zu Fall entscheiden, wie die grundsätzliche Neutralität von Forschung mit den politischen Implikationen möglicher Partnerschaften zusammenzudenken ist. „Wissenschaftsfreiheit ist keine Carte blanche, sondern ein Mandat der Demokratie für einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Freiheit.“ Den Handlungsrahmen von Hochschulen und Mittlerorganisationen sieht Ralf Beste dabei nicht grundsätzlich eingeschränkt. Eine „Brücke“ könne auch einmal einstürzen oder nicht befahrbar sein. Gerade dann sei es wichtig, auf „kleine Personenfähren“ zurückgreifen zu können, um den Kontakt zu halten.

Ralf Beste vom Auswärtigen Amt regte einen offenen Dialog über das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik an.

Auch zeigte sich schnell in der Diskussion: Die Perspektiven einzelner Wissenschaftsakteure im Feld der Science Diplomacy sind durchaus unterschiedlich. Für Professorin Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, gehört das Modulieren von forschungs- und politikgeleitetem Handeln schon seit jeher zu ihrem Fachgebiet. „Eigentlich hat sich für uns nichts Wesentliches verändert. Wir hatten schon immer, je nach Land, mit eher günstigen und ungünstigen Begegnungen und Voraussetzungen zu tun.“ Allerdings sei die Archäologie hier auch speziell, so Fless, schließlich greife man durch das Graben sogar regelrecht physisch in die Länder ein. Und besonders seien auch die Beziehungen der Forscherinnen und Forscher untereinander. Wer einmal zusammen mehrere Wochen in einem Grabungsabschnitt gearbeitet habe, lerne sich auf eine sehr intensive Art und Weise kennen. „Das bricht nicht plötzlich ab, nur weil die politische Großwetterlage sich ändert“, so Fless. Wie wichtig große Ausgrabungsprojekte im Sinne einer Science Diplomacy sein können, erläuterte Ralf Beste am Beispiel der im Libanon, nahe der syrischen Grenze gelegenen Tempelanlage Baalbek, an deren archäologischer Erschließung sich Deutschland bereits seit 25 Jahren beteiligt. Deutschland entfalte hier in einer sicherheitspolitisch herausfordernden Region eine dauerhafte Präsenz, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern Vertrauen schafft und dauerhaft Brücken baut, so Beste.

Drei Dimensionen von Science Diplomacy

Ein weiteres positives Beispiel für Science Diplomacy sahen sowohl Ralf Beste als auch Armin Reinartz, der als Leiter der Abteilung Europäische und internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) an der Veranstaltung teilnahm, in der Beziehung Deutschlands zu Israel. Wissenschaftliche Kooperationen hätten historisch betrachtet überhaupt erst den Boden dafür bereitet, dass sich diese beiden Staaten politisch annähern konnten, so die Einschätzung von Reinartz. Und für Beste ist es überaus positiv und als Beweis einer gelungenen Science Diplomacy zu bewerten, dass der aktuelle Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Patrick Cramer, Ende November die Gedenkstätte Yad Vashem besuchte – als erster Vertreter einer großen deutschen Wissenschaftsorganisation seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023.

Prof. Dr. Dr. h. c. Friederike Fless tauschte sich mit DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks (Mitte) und dem stellvertretenden DAAD-Generalsekretär Dr. Michael Harms (rechts) aus.

In der Einordung des Begriffs Science Diplomacy selbst, die DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks in seiner Einführung zur Veranstaltung vornahm, decken diese beiden Beispiele gelungener Außenwissenschaftspolitik einen von drei Aspekten ab, wie sie die britische Royal Society bereits 2010 definierte: „Science for Diplomacy“, also Wissenschaft als Brückenbauer für Diplomatie. Auch der DAAD selbst ist in diesem Handlungsfeld sehr aktiv, seine vielfältigen Programme zur Unterstützung der Ukraine ließen sich darunter subsumieren, so Sicks. „Diese sollen nicht nur eine leistungsstarke Verbindung zwischen den Hochschulen unserer Länder knüpfen, sondern eben auch Expertinnen und Experten für den Wiederaufbau der Ukraine ausbilden und die Annäherung an die Europäische Union erschließen.“

Darüber hinaus kann Politik einen Rahmen schaffen für internationale Wissenschaftskooperationen („Diplomacy for Science“). Ein bekanntes Beispiel hierfür: die Reise einer Delegation des BMBF 1978 nach China, die dort die ersten Hochschulkooperationen zwischen den beiden Ländern anbahnte. Die dritte Dimension von Science Diplomacy („Science in Diplomacy“) spielt auf die wichtige Beraterrolle der Wissenschaft im politischen Entscheidungsprozess an: „Nur wenn wissenschaftliche Expertise bereitgestellt wird, können wir verstehen, wie Klimawandel zustande kommt, wie Kriege entstehen und was wir an Handlungsoptionen haben, um dem zu begegnen“, so Sicks. Auch hier spielt der DAAD mit seinen Förderprogrammen eine wichtige Rolle, etwa durch sein Engagement bei der Generierung von Wissen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung, wie es das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ (Instituto Colombo-Alemán para la Paz) in Bogotá schon seit vielen Jahren leistet, das von Ralf Beste im Laufe der Diskussion als „Leuchtturm für Außenwissenschaftspolitik“ bezeichnet wurde. Soeben erst wurde DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee unter anderem dafür mit dem San-Carlos-Orden der Republik Kolumbien ausgezeichnet.

Umgang mit China

Besonders komplex, da waren sich alle Teilnehmenden einig, ist der aktuelle Umgang mit China, besonders im Handlungsfeld „Science for Diplomacy“. Inwieweit können deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier tatsächlich als Akteure von Außenwissenschaftspolitik agieren? Wann ist es noch sinnvoll, engere Kooperationen einzugehen, und in welchen Fällen sollte man von einer Zusammenarbeit gänzlich absehen? Für Armin Reinartz ist das eine Einzelfallentscheidung, auch wenn Hochschulen sich nicht selten mit der Hoffnung an seine Abteilung wenden, eine konkrete Liste offiziell genehmigter Kooperationspartner und Themen zu erhalten. „So funktioniert das leider nicht.“

Prof. Dr. Annabella Rauscher-Scheibe (Präsidentin der Hochschule für Technik und Wissenschaft, Berlin) findet die außenpolitische Dimension von Wissenschaftskooperationen herausfordernd.

Kommt es zu einem Austausch mit China, empfiehlt Reinartz den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zunächst, offen für die deutsche Perspektive zu werben. „Das schafft Verständnis, das ist ein echter Mehrwert.“ Genauso wichtig sei es, sehr bedacht zu kommunizieren, um eine politische Vereinnahmung von chinesischer Seite zu vermeiden. Und drittens sei es entscheidend, „im Team deutsche Wissenschaft zu spielen“, sich möglichst nicht nur in der eigenen Blase zu bewegen, sondern offen zu sein für den interkulturellen Austausch. Generell empfiehlt Reinartz, sich am Dreiklang Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, wie er in der China-Strategie der Bundesregierung formuliert ist, zu orientieren. „Wenn man dies auf geplante Kooperationen anwendet, merkt man relativ schnell, in welchen Fällen es vielleicht problematisch werden könnte und man sich Unterstützung holen sollte.“ Denn, wie auch Ralf Beste vom Auswärtigen Amt noch einmal betonte: „Wir haben natürlich Interesse an einer Kooperation mit China, und es gibt auch schon entsprechende Handreichungen.“ Wichtige Akteure in diesem Zusammenhang sind das KIWi sowie die BMBF-geförderten China-Kompetenzzentren an deutschen Hochschulen.

Sichere Räume schaffen

Wie lässt sich dies nun konkret in die Praxis umsetzen? Die Professorinnen Annabella Rauscher-Scheibe und Friederike Fless wiesen auf eine Reihe von Herausforderungen hin: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreckten inzwischen vor einem Aufenthalt in Ländern wie China zurück, da sie die permanente Überwachung fürchten, so Rauscher-Scheibe. Friederike Fless beobachtet ein noch immer fehlendes Wissen über die Konsequenzen des eigenen Handelns – sowohl bei Studierenden als auch bei Lehrenden. Vielen sei nicht bewusst, welche Folgen beispielsweise das Posten von Beiträgen auf Social Media haben kann, etwa für die Gefährdung von Einzelpersonen. Hier müsse mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, so Fless.

Genauso wichtig sei es, da waren sich am Ende alle einig, sichere Räume für gefährdete Studierende und Forschende aus dem Ausland zu schaffen, wie sie bestimmte Stipendien des DAAD und der Alexander von Humboldt-Stiftung schon bieten. Der Traum von einem freien, internationalen Wissenschaftssystem, in dem Länder weltweit kooperieren, um globale Herausforderungen zu meistern – er sei trotz allem weiterhin relevant, so Armin Reinartz. „Ich denke nach wie vor, dass wir ihn in einem angepassten und sicheren Rahmen in Zukunft mit vielen Ländern verwirklichen können.“

Klaus Lüber (12. Januar 2024)

 

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