Die Welt wieder auf den Campus bringen

DAAD/David Ausserhofer

Welche Lehren lassen sich für Hochschulen aus der Pandemie ziehen? Lehrende und Studierende diskutierten im Rahmen einer DAAD-Konferenz Anfang November in Berlin.

Die Pandemie hat die Lehre und den internationalen Austausch an den Hochschulen stark beeinträchtigt. Darunter leiden Lehrende ebenso wie Studierende. Dies kam auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der DAAD-Konferenz „Internationalen Austausch in post-pandemischen Zeiten gestalten“ zur Sprache. Deutlich wurde aber auch, wie eine nachhaltige Perspektive für die Zukunft aussehen könnte, in der sich digitale und reale Welt miteinander verbinden lassen.

Die Pandemie hat das Leben an den Hochschulen durcheinandergewirbelt. Zum Beispiel die Umstellung auf die digitale Lehre: Sie stellt nicht nur Hochschulen und Lehrende vor neue Herausforderungen, sondern vor allem die Studierenden. Wie bewerten beide Seiten diese Veränderungen? Und wie wirkt sich die Ausnahmesituation auf den internationalen Austausch aus, wenn Studierende beispielsweise im Ausland interkulturelle Erfahrungen sammeln möchten? Fragen, auf die eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Die Covid-Krise als Quantensprung in die (internationale) digitale Hochschulzukunft oder die Geburt einer ‚lost generation‘?“ im Rahmen der DAAD-Konferenz Anfang November Antworten suchte. Der DAAD hatte dazu Projektbeteiligte in Präsenz und virtuell eingeladen, die in den Programmen für strukturierte Auslandsmobilität wie „Lehramt.International“, „Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss“ oder „Internationale Studien- und Ausbildungspartnerschaften“ (ISAP) gefördert werden.

Prof. Dr. Matthias Barth, Präsident der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, wies in seiner Keynote auf die Bedeutung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit für die Internationalisierung hin: „Wir sind den Studierenden schuldig, die internationalen Themen nicht mehr lokal, sondern in globalen Zusammenhängen zu erklären. An der Schnittstelle von Digitalität und Nachhaltigkeit gibt es einen reichen Fundus an Themen, die sich Studierende in Deutschland mit einer internationalen und interkulturellen Perspektive erarbeiten können. Dazu gehören etwa Fragen nach den Auswirkungen des digitalen Wandels auf unser Zusammenleben sowie auf die Art und Weise, wie wir wirtschaften. So bringt man die Welt auf den Campus.“ Doch klar sei auch: „Wir können unseren Studierenden den Austausch nicht durch die Digitalisierung ersetzen, wir müssen sie rausschicken.“ In Zukunft brauche es also Programme, die beides ermöglichen: reale und virtuelle Begegnungen.

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Prof. Dr. Matthias Barth, Präsident der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Schulpraktikum im Onlinemodus
Eine, die gern ins Ausland gegangen wäre, dies jedoch nicht konnte, ist Maite Küpper. Die Lehramtsstudierende der Universität zu Köln wollte für ein Lehramtspraktikum an eine Schule in Peru, doch der Aufenthalt vor Ort wurde infolge der Pandemie kurzerhand zu einem virtuellen Praktikum vom heimischen Schreibtisch aus. Die Bilanz der Studentin: „Eigentlich lebt eine Schule davon, ein Ort der Begegnung zu sein, in Kontakt zu treten mit den Schülerinnen und Schülern. Das ging mehr oder weniger“, sagte sie auf dem Podium. Zwar sei es nicht möglich gewesen, so sozial zu interagieren, wie sie sich das gewünscht habe, aber der Unterricht im Onlinemodus habe sie trotzdem emotional berührt und ihr für den weiteren beruflichen Weg viel gebracht.

Betroffen von den Ausschlägen der Pandemie war auch Paul Nicklas. Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin begann 2019 im Rahmen des Studiengangs „Europäischer Jurist“ ein Masterstudium an der Universität Paris 2 Panthéon-Assas in Präsenz, um es dann online zu beenden. Derzeit steht er kurz davor, sein „Master of Law“-Studium (LL.M.) in London zu beenden, das er komplett digital absolvierte. „Für das Studieren im virtuellen Raum eignet sich die Rechtswissenschaft vordergründig ganz gut“, sagte er. Doch was zu einem nachhaltigen Auslandsaufenthalt fehlte, waren andere Dinge: etwa die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen und Netzwerke aufzubauen, die er später nutzen kann. „Es braucht einen ersten Schritt, ein reales Treffen, um zusammenzukommen.“ Wie so etwas funktionieren kann, hat er bei einer Summer School erlebt, zu der Studierende und Forschende der acht Partneruniversitäten der European Law School an der Humboldt-Universität zusammenkamen. Forschende hatten vor der Sommerschule über das digitale Format der „Digital Ideas Lunch Series“ drei Monate lang einmal wöchentlich den Stand ihrer Forschung vorgestellt; Studierende konnten dies kommentieren. Im vergangenen Sommer traf man sich dann vor Ort in Berlin. „Diese Verknüpfung von digitaler und realer Welt hat hervorragend funktioniert, weil wir Studierende aktiv eingebunden waren. Das war toll“, bilanzierte Nicklas.

Die Welt wieder auf den Campus bringen

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Diskutierten auf dem Podium: Maite Küpper, Prof. Dr. Matthias Barth, Moderatorin Katie Gallus, Prof. Dr. Evamarie Hey-Hawkins, Paul Nicklas, Prof. Dr. Kirsten Kramer (v. l.).

Steile Lernkurve
Den Umständen entsprechend kamen auch die Studierenden der Chemieprofessorin Dr. Evamarie Hey-Hawkins von der Universität Leipzig durch die Pandemie. „Die Chemie ist ein experimentelles Fach. Deshalb haben wir nach einem kurzen Lockdown ab Mitte des Sommersemesters 2020 wieder die Praktika für unsere Studierenden unter entsprechenden Hygienebedingungen durchgeführt. Sie haben sich auf das gemeinsame Miteinander in diesem praktischen Teil sehr gefreut“, berichtete sie. Für sie selbst sei die digitale Lehre eine sehr steile Lernkurve gewesen. „Am Anfang ging so manches schief, aber mit Unterstützung unserer Vorlesungsvorbereitung konnte dann im Laufe des Sommersemesters auch ein nahezu perfektes Streaming organisiert werden“, sagte sie. 

Schwerer als die Naturwissenschaften hatten es während der Onlinesemester die Geisteswissenschaften. „Dass die Kommunikation unter den Studierenden weggefallen ist, war schwierig, denn sie ist sehr wichtig für den Lernerfolg“, sagt Prof. Dr. Kirsten Kramer, Romanistin an der Universität Bielefeld. Viele Kolleginnen und Kollegen hätte die veränderte Situation aber auch zu Denkanstößen für neue Lehr- und Lernformate inspiriert. „Instrumente wie die Breakout-Sessions haben sehr geholfen, weil dort ein anderes Lernklima herrscht und Studierende untereinander kommunizieren, sodass dadurch das Leistungsgefälle ausgeglichen werden kann“, sagte sie.  

Lernen ist mehr als 90 Minuten Seminar
Viel Verständnis für die Lage der Studierenden äußerten die Hochschullehrenden auf dem Podium. „Die Hauptbelastung liegt aufseiten der Studierenden. Wir können die Versäumnisse des Lernstoffs zum Teil durch die Verbesserung der Betreuungsverhältnisse ausgleichen, aber das Peergroup-spezifische Lernen, dass sich also vor Ort junge Menschen treffen, können wir nicht kompensieren“, sagte Kirsten Kramer. Bestätigt wurde das von Matthias Barth: „Lernen beschränkt sich nicht auf das, was in den 90 Minuten des Seminars passiert. Das Entscheidende ist das gemeinsame Verarbeiten, das Reflektieren, das Diskutieren im Nachgang, und das fehlte.“ Notwendig sei, dass die Hochschulen wieder Räume öffnen, damit sich die Studierenden treffen können.

Auch dass durch die Pandemie die psychische Belastung der Studierenden deutlich zunahm, wurde thematisiert. „Dieser Druck wird offen unter den Studierenden diskutiert, das beschäftigt viele“, berichtete Paul Nicklas. Maite Küpper will sich aber trotz der Pandemie nicht unterkriegen lassen. „Ich will natürlich ins Ausland, wenn es wieder möglich ist“, sagte sie. Dafür habe sie extra ihren Reisepass neu beantragt, sodass es nächstes Jahr losgehen könne.

Benjamin Haerdle (18. November 2021)