Leibniz-Preis für DAAD-Alumna: Professor Michèle Tertilt im Porträt

Anna Logue

Das DAAD-Stipendium hat in der Karriere von Michèle Tertilt einen bedeutenden Stellenwert

Neue Perspektiven auf die Entwicklungsökonomie: Michèle Tertilt, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mannheim, erhält den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2019 für die Integration der Familienökonomie in die Forschung über wirtschaftliche Entwicklung.

Für Michèle Tertilt war das DAAD-Stipendium eine wichtige Weichenstellung in ihrer Karriere: Bereits nach dem Vordiplom in Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld ging sie mit dem Stipendium 1994−1995 an die renommierte Purdue University und nahm dort an einem PhD-Programm teil. Sie promovierte an der University of Minnesota zu dem Thema Polygamie als Wirtschaftsfaktor und brachte damit die Familien- mit der Makroökonomie zusammen. Dieser bis dahin eher wenig beachtete Ansatz brachte sie schließlich bis nach Stanford, wo sie sieben Jahre als Assistenzprofessorin lehrte und forschte.

USA: neue Perspektiven
Der Schritt über den Atlantik mithilfe des DAAD-Stipendiums von Bielefeld zur Purdue University hat bei Michèle Tertilt den Blick geweitet für die Möglichkeiten in Karriere und Forschung. Ihre dortige Mitarbeit in einem PhD-Programm inspirierte und motivierte sie, sich in der Folge selbst auf eines zu bewerben. „Ohne das Stipendium würde ich nicht da stehen, wo ich heute stehe“, sagt Tertilt rückblickend.   

Nach ihrem Diplom beschäftigte sie sich mit der wirtschaftlichen Rolle von Familienstrukturen. „Während der Dissertationsphase in Minnesota hat mir mein Doktorvater in diesem Bereich viel zu lesen gegeben, als ich mein Thema ,Polygyny and Poverty' herausarbeitete“, sagt Tertilt. „Bald tauchte bei mir aber die Frage auf: Halt mal, in Entwicklungsländern sehen diese Konzepte doch bestimmt ganz anders aus.“

Geschlechterrollen und wirtschaftliches Wachstum
Kondensierte man die Forschung von Michèle Tertilt zu einem zentralen Objekt, so würde am Ende die Frage stehen, welchen Einfluss Geschlechterrollen und Familienstrukturen auf wirtschaftliches Wachstum, Investitionen in Humankapital und ökonomische Entwicklung haben.

„Während meiner Zeit in Stanford untersuchte ich etwa die Gründe für die erfolgreiche Durchsetzung von Frauenrechten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in den USA“, sagt Tertilt. Das Ergebnis war eindeutig: „Durch den technologischen Fortschritt wurde das Humankapital, also die Bildung, immer wichtiger. In diesem Zusammenhang übertrugen Männer gerne den Frauen etwas Verantwortung, damit genug in die Kinder investiert wurde. Das führte dann wiederum zu mehr Bildung und zeitgleich zu einem Rückgang der Geburtenrate.“
 
Der Ruf der Heimat
Nach sieben Jahren in Kalifornien und insgesamt 13 Jahren in den USA wollte Michèle Tertilt gerne wieder nach Deutschland zurück. „Für mich kam 2010 der Ruf der Universität Mannheim gerade recht“, sagt sie. Dort ist Tertilt derzeit Projektleiterin im DFG-geförderten Sonderforschungsbereich „Economic Perspectives on Societal Challenges“. „Wir erforschen, in welcher Wechselwirkung Familienpolitik mit ökonomischer Entwicklung in Industrieländern steht und welche Gesetze und ökonomischen Faktoren die Familienplanung beeinflussen“, sagt sie.

Ihre USA-Connection hat Michèle Tertilt nie aufgegeben. Zusammen mit zwei ehemaligen Kommilitonen aus Minnesota forscht sie über Verbraucherkreditmärkte, ihr zweites wichtiges Forschungsfeld.

Relevante Stimme in der ökonomischen Debatte
Ihre Expertise bringt die DAAD-Alumna regelmäßig auch in den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs ein: Bis vor zwei Jahren war Tertilt – übrigens als erste in Deutschland lehrende Wissenschaftlerin – leitende Herausgeberin des „Review of Economic Studies“, einer der renommiertesten Zeitschriften der Ökonomie.

Ihr Verdienst, zwei Forschungsrichtungen der Ökonomie miteinander zu verknüpfen und auf diese Weise neue Erkenntnisse und Perspektiven auf wirtschaftliche Entwicklung zu gewinnen, macht Michèle Tertilt zu einer wichtigen Figur in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte.

Torben Dietrich (13. März 2019)

Zur Person

Michèle Tertilt, Universität Mannheim

Forschungsfeld: Wirtschaftswissenschaften
Leibniz-Preis für: die Eröffnung neuer Perspektiven für die Wirtschaftswissenschaften durch die Integration der Familienökonomie
Stationen: Universität Bielefeld, University of Minnesota, Stanford University, Universität Mannheim

Weitere Informationen

Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland und wird jährlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) auf Vorschlag Dritter vergeben. Die Preisträger erhalten die Möglichkeit, ihre Forschung zu erweitern, zu intensivieren und besonders begabte Nachwuchswissenschaftler zu beschäftigen. Der Leibniz-Preis ist mit bis zu 2,5 Millionen Euro pro Preisträger dotiert.